Aus friedlichem Miteinander wird plötzlich Konkurrenz
Wissenschaftler sind sich einig darüber, dass der Klimawandel nicht nur Hitzewellen und Überschwemmungen verursacht, sondern auch die biologische Vielfalt verringert. Doch die spezifischen Prozesse, die zum Artenverlust führen, sind jedoch noch wenig erforscht. Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig und der Universität Leipzig haben nun in einem verblüffenden Experiment eine der möglichen Ursachen für den Artenverlust durch Klimawandel gefunden: Bei steigenden Temperaturen verändern sich die komplexen Beziehungen zwischen den Arten. Beutetiere werden nicht nur zu stärkeren Konkurrenten um knappe Ressourcen, sondern auch noch begehrter als Beute für ihre Räuber. Die Forschungsergebnisse wurden im Fachjournal Proceedings of the Royal Society B veröffentlicht.
Einfaches Experiment
Um herauszufinden, wie sich steigende Temperaturen auf die Artenvielfalt auswirken könnten, entwickelten die Biologen ein einfaches Experiment: Sie füllten mehrere Petrischalen mit etwas Streumaterial, setzten jeweils zwei Spezies an Springschwänzen – also wenige Millimeter große Gliederfüßer – hinein und gesellten Milben hinzu, die sich von Springschwänzen ernähren. Gleichzeitig erhöhten sie bei einigen Petrischalen die durchschnittliche Umgebungstemperatur von ursprünglich 13,5 auf 18,5 Grad, bei anderen Petrischalen auf 23,5 Grad – die Temperaturen waren also um fünf beziehungsweise zehn Grad höher als jene, denen die Tiere in Langzeitkulturen über Jahre ausgesetzt waren. So entstanden vereinfachte Ökosysteme im Miniaturformat unter Klimawandel-Bedingungen, in denen die Milben die Räubertiere repräsentierten, die in freier Natur in friedlicher Koexistenz nebeneinander lebenden Springschwanz-Arten die Beutetiere. Zwei Monate beobachteten die Forscher, wie sich das Beziehungsgeflecht der drei Arten bei unterschiedlichen Temperaturen entwickelte.
„Eigentlich hatten wir erwartet, dass die kleinere der beiden Springschwanz-Arten besser mit den höheren Temperaturen zurechtkommen würde als die größere. Ihr Bedarf an Nahrung ist generell geringer, sodass er sich auch unter den neuen Bedingungen weniger stark erhöhen sollte“, erklärte Madhav P. Thakur, Erstautor der Studie, der als Wissenschaftler am Forschungszentrum iDiv und an der Universität Leipzig arbeitet, die Ausgangshypothese der Leipziger Wissenschaftler. Die tatsächlichen Ergebnisse überraschten sie daher umso mehr: Nach zwei Monaten war in den wärmeren Petrischalen die kleinere Springschwanz-Art komplett verschwunden, die größere Art hatte es hingegen geschafft, zu überleben.
Die Studienautoren vermuten nun, dass der kleineren Art zweierlei Dinge zum Verhängnis wurden: Zum einen eine höhere Gefahr, gefressen zu werden. Unter höheren Temperaturen erhöht sich durch den allgemein beschleunigten Stoffwechsel auch der Bedarf des Räubers nach Nahrung. Kleinere Beutetiere sind hier vermutlich ein leichteres Fressen als größere Tiere, da sie weniger schnell entkommen können. Zum anderen gelang es der kleineren Art deutlich schlechter, sich an die veränderten Bedingungen anzupassen – und das, obwohl eine kleine Körpergröße als Vorteil bei höheren Temperaturen gilt.
„Dieses scheinbare Paradox könnte sich dadurch erklären, dass die kleinere Springschwanz-Art sich bei steigenden Temperaturen weniger gut akklimatisieren, also ihren Stoffwechsel anpassen, konnte. Gleichzeitig wurde sie auch noch häufiger gefressen. Die größere Springschwanz-Art kam hingegen besser mit den hohen Temperaturen zurecht und war auch noch erfolgreicher darin, den Beutegreifern zu entwischen“, so Thakur.
Übertragen auf die Natur könnten diese Erkenntnisse nach Meinung der Forscher bedeuten, dass die steigenden Temperaturen einigen Tierarten in Zukunft nicht nur dadurch zu schaffen machen, dass sie ihren Energiebedarf erhöhen. Gefahr droht ihnen auch seitens der veränderten Beziehungen zwischen den Arten: So erhöht sich bei steigenden Temperaturen nicht nur die Konkurrenz um knappe Ressourcen zu Arten auf der gleichen Stufe in der Nahrungskette, sondern auch die höhere Wahrscheinlichkeit, selbst gefressen zu werden. „Diese Studie führt uns einmal mehr vor Augen, wie wenig wir über die komplexen Beziehungen zwischen Arten unter zukünftigen Umweltbedingungen verstehen und vorhersagen können. Weitere Studien mit komplexeren Gemeinschaften und verschiedenen Modellsystemen sind dringend notwendig, um hier ein generelleres Verständnis zu generieren“, gibt Seniorautor Prof. Nico Eisenhauer zu bedenken – er ist Professor für Experimentelle Interaktionsökologie am Forschungszentrum iDiv und der Universität Leipzig.
Für ihre Untersuchungen hatten sich die Wissenschaftler bewusst für Springschwänze als Beobachtungsobjekte entschieden. Diese Tiere sind nicht nur gut im Labor zu halten, sondern spielen vor allem als Zersetzer von totem Tier- und Pflanzenmaterial in der Natur eine ganz wesentliche Rolle. Nimmt ihre Artenzahl aufgrund des Klimawandels ab, könnten ihre Funktionen wegfallen und viele Prozesse innerhalb der Ökosysteme könnten in Wanken geraten.
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