Oder: Wie wir alle das post-faktische Zeitalter verhindern können
Weltweit demonstrierten am 22.04.2017 Tausende beim „March for Science“ für freie Wissenschaft. Doch die Demonstrationen könnten nur ein erster Schritt gewesen sein, argumentiert der Hamburger Kommunikationsforscher Michael Brüggemann in einem Gastbeitrag für Klimafakten. Die Wissenschaftskommunikation müsse sich auf die veränderten gesellschaftlichen und medialen Rahmenbedingungen einstellen – und mit ihr jeder Wissenschaftler.
„Wissenschaftliches Wissen ist vor allem dann nötig, wenn es um Probleme geht, die mit Alltagsbeobachtung nicht wahrnehmbar und mit Common Sense allein auch nicht lösbar sind. Der menschengemachte Klimawandel mit seinen langen Zeitspannen und globalen Wechselwirkungen ist der Prototyp eines solchen Phänomens, das wir ohne Wissenschaft nicht sinnvoll beschreiben, verstehen und bearbeiten können. Unter Wissenschaftlern ist diese Begründung des Sinns von Wissenschaft eine banale Selbstverständlichkeit – überflüssig zu erwähnen oder gar dafür zu demonstrieren.“
Doch Brüggemann warnt: Es reiche für Wissenschaftler heutzutage aber nicht mehr, „exzellente Wissenschaft hervorzubringen“. Denn die Rahmenbedingungen in Politik und Medien hätten sich geändert. Das habe Graham Readfearn im britischen Guardian mit einem anschaulichen Schlagwort illustriert: „We are approaching the Trumpocene, a new epoch where climate change is just a big scary conspiracy.“ Trump eröffne den Europäern eine Vorschau auf ein neues Erdzeitalter.
Das Trumpozän: Leugnung von Verantwortung und Rückzug in Subjektivität
Um das Trumpozän als neue Ära zu verstehen, helfe ein Blick auf die Idee des Anthropozäns: Die Menschheit erkenne ihren prägenden Einfluss auf die Erde und damit auch auf das Klimasystem und übernehme dafür Verantwortung. Ulrich Beck habe das Reflexivität genannt: ein Bewusstsein für die problematischen Folgen gesellschaftlichen Fortschritts – Voraussetzung dafür, Problemen wie dem Klimawandel angemessen zu begegnen.
Hier spiele vor allem auch Wissenschaftskommunikation eine zentrale Rolle; allerdings seien damit ein paar Dutzend Wissenschaftsjournalisten in Elite-Medien und wenige zu Wort kommende Wissenschaftler überfordert. Denn sie haben es nicht nur mit einem sich verändernden politischen Umfeld sondern auch mit einer veränderten digitalen Medienwelt zu tun.
Brüggemann wörtlich: „Das Trumpozän als Schreckensvision ist im Kern durch die Leugnung von Verantwortung und einen Rückzug in Subjektivität und Selbstbezogenheit gekennzeichnet. Menschliches Handeln wird hierbei vor allem von persönlichen Bedürfnissen, Reflexen und Aversionen gesteuert, und auch Politik bedarf hier keiner Orientierung an Fakten oder Normen, auf die sich die Gesellschaft verständigt hätte. Politik im Trumpozän ist also post-faktisch und post-moralisch. Ihr Horizont endet an der Grenze des Gesichtsfelds des jeweiligen Politikers: Globale oder langfristige Prozesse wie der Klimawandel sind aus dieser Perspektive gar nicht wahrnehmbar. Damit werden gesellschaftliche Institutionen überflüssig, die der kollektiven Einigung auf Tatsachen und der Verständigung über Normen dienen. Wissenschaft, Journalismus, Gerichte, Parlamente geraten der persönlichen Selbstverwirklichung von Politikern in den Weg, die sich bereits im Trumpozän wähnen.“ Digitale Mediennetzwerke seien das natürliche Element des Menschen im Trumpozän, denn sie hätten zwei zentrale Eigenschaften:
- könne sich jeder Mediennutzer ungefiltert und in vollendeter Subjektivität äußern;
- lässt sich vielfache Bestätigung für die eigene Weltsicht finden.
Folgt: Verführung, eigene Meinung für mehrheitsfähig zu halten