Drittes Projekt „Industrieprozesse“ (SynErgie)
Der wachsende Anteil volatiler Stromerzeuger macht einen effizienten Ausgleich zwischen Energieangebot und –bedarf erforderlich. Um die Versorgungssicherheit zu garantieren, ist ein ausgewogener Technologiemix nötig. Viele der Lösungsbausteine sind teuer und ziehen gesellschaftliche Akzeptanzprobleme nach sich, wenn die Kosten auf Nutzer umgelegt werden. Mit 44 Prozent des Nettostrombedarfs und 25 Prozent des Wärmebedarfs weisen Industrieprozesse in Deutschland und große Einzelanlagen in energieintensiven Branchen beträchtliche Flexibilisierungshebel auf. Die mittel- und kurzfristige Flexibilisierung der Stromnachfrage, das sogenannte Demand-Side-Management (DSM), bietet eine Chance, den Umbau des Energiesystems kosteneffizient und gesellschaftlich akzeptiert zu ermöglichen.
Heribert Hauck von trimet Aluminium stellte unter der Überschrift “Kompensationsreaktion bei industriellen Lasten“ eine praktische Problemlösung seines Unternehmens vor: Durch Lastflexibilität Angebot und Nachfrage immer auszugleichen und dabei die Aluminium-Elektrolyse als virtuellen Stromspeicher zu benutzen. Leider gebe es keine Planungssicherheit, klagte Hauck, „denn der Markt kann nicht wissen, welche Produkte denkbar sind“. Die besondere Situation von trimet sei: Anlagen zu bauen, und zur Verfügung zu stellen, es bleibe aber die Frage, unter welchen Bedingungen werde was ein Business-Case? Im Fall trimet sei das eine 800 m lange 90MW-Aluminium-Elektrolyse – ein virtueller Speicher mit stets gleicher Last. Trimet leiste mit der Elektrolyse einen Beitrag durch Laststeuerung so groß wie ein mittlerer deutscher Pumpspeicher. Technische Hürden seien noch ein Stabilitätsproblem durch das starke Magnetfeld, sowie hydrodynamische und thermodynamische Probleme. Außerdem bleibe ein betriebswirtschaftliches Problem – trotzdem zeigte sich Hauck überzeugt, dass es funktioniere.
Trimet wolle eine Botschaft an die Politik senden: „Wir stellen Euch jetzt mal was ins Fenster, wir wollen die Politik positiv treiben“, so Hauck – die soll dann die Rahmenbedingungen entsprechend gestalten. „Mit Hilfe der Politik will trimet aus Vernünftigem etwas betriebswirtschaftlich Sinnvolles machen“. Wichtig seien dabei System- und Datensicherheit – das gelte für alle Prozesse. Die erste umgebaute Anlage stehe ab der 2. Jahreshälfte in Essen zur Verfügung. Wenn der Gesamtstandort Essen einbezogen würde, kämen 3,24 GWh Flexibilisierungspotenzial zusammen. Alle deutschen Aluminiumhütten zusammen ergäben 13,2 GWh, das seien ein Drittel der deutschen Pumpspeicherkapazität 40 GWh).
Prof. Eberhard Abele von der TU Darmstadt erläuterte, zur Zeit seien 100 GW Leistung an Erneuerbaren Energien installiert, bald seien es 130 GW. Bislang könne man die volatilen Erneuerbaren Energien nur speichern oder mit Lastveränderung antworten; Die Industrie verbraucht 47 % des gesamten Stroms: nun sei die Frage, wer komme für Flexibilisierung in Frage? Abele nannte Alu-Elektrolyse, Roh- und Zementmühlen, Luftverflüssigung, Glasschmelze, Papierindustrie, Werkzeugmaschinen (300.000 in Deutschland) – kurz: Schlüsselproduktionsprozesse vieler Branchen – oder „überall wo geschmolzen, gegossen oder gehärtet wird, gibt es Potenzial“. Diese Anlagen müsse man so flexibel synchronisieren, ihre Produktionsinfrastruktur mittels IKT vernetzen, dass Effizienzsteigerungen erfolgen. Diese Flexibilisierung des Markt- und Stromsystems gelinge aber nur, wenn Unternehmen Vorteile davon hätten.
[note SynErgie ist ein interdisziplinär zusammengesetztes Konsortium mit breiter Beteiligung der energieintensiven Industrie. Unter Federführung der TU Darmstadt und der Universität Stuttgart arbeiten mehr als 80 Kooperationspartner aus Wissenschaft, Industrie und Zivilgesellschaft bis hin zu Gewerkschaften – aus Produktions- und Verfahrenstechnik, Energiewirtschaft, (Wirtschafts-)Informatik und der Sozial-, Rechts- und Wirtschaftswissenschaften – gemeinsam daran, energieintensive Industrieprozesse in das zukünftige Energiesystem zu integrieren. Die „Energieflexible Region Augsburg“ wurde als Demonstrationsbeispiel für die Umsetzung der erarbeiteten Konzepte der industriellen Nachfrageflexibilisierung ausgewählt – unter den Aspekten Wirtschaftlichkeit und soziale Ausgewogenheit.]
Durch die Anwendung von Flexibilitätsmaßnahmen könnten die Energieversorgungskosten der Industrie bis 2020 um mehr als 10 Mrd. € gesenkt werden. Darüber hinaus ließen sich die CO2-Emissionen erheblich reduzieren. Es könnten bereits heute etwa 60 % der positiven Regelleistung (Stromnachfrage > Angebot) und ca. 2% der negativen Regelleistung (Nachfrage < Stromangebot) gedeckt werden. Dieses Potenzial lasse sich durch notwendige technologische Innovationen noch steigern, indem etwa „überschüssige“ Erneuerbare Energie effektiv in wertschöpfenden Prozessen gebunden werde. Schätzungen gingen aktuell von einem Potenzial von 6,9 GW positiver und 4,0 GW negativer Regelleistung für energieintensive Industrieprozesse in den nächsten Jahren aus. Bisher seien diese Potenziale in Deutschland größtenteils ungenutzt. Mit dem Projekt SynErgie würden erstmals branchenübergreifend Flexibilisierungsmaßnahmen in der Industrie demonstriert und neue Möglichkeiten für DSM-Maßnahmen am Industriestandort Deutschland eröffnet.
Folgt: Viertes Kopernikus-Projekt „Systemintegration“: Energiewende-Navigationssystem ENavi