Alternativen zum Wachstum als Leitbild der Kommunikation – eine Tagung der Evangelischen Akademie zu Berlin
Die Menschen verändern den Planeten in einem nicht gekannten Ausmaß, so dass von einem neuen Erdzeitalter – dem Anthropozän – gesprochen wird. Zugleich erreichen uns paradoxe Bilder: Einerseits vertreten viele Entscheidungsträger in Wirtschaft und Politik die Vision eines linearen Fortschritts. Andererseits erreichen uns Bilder rauchender Regionen, öder Ökosysteme und uns unbekannter, aber bereits weggestorbener Arten. Bilder und Hinweise auf Problemlösungen, auf Handlungspotenziale in Richtung einer „Großen Transformation“, um der Verantwortung im Anthropozän gerecht zu werden, sind angesichts dessen selten. Eine Tagung*) in der Evangelischen Akademie zu Berlin untersuchte am 10. und 11.07.2017 Bedingungen und Ursachen entlang der Frage: „Wie kommuniziert man die Wende, das Neue Anthropozän?“
Die Tagung thematisierte die Rolle der Medien im anstehenden Transformationsprozess, ihr Versagen bei der Darstellung komplexer Sachverhalte und fragte, wie alternative gesellschaftliche Leitideen initiiert werden, die von einem anderen Fortschritt erzählen.
*) in der Tagungsstätte Schwanenwerder der Evangelischen Akademie zu Berlin, konzipiert vom Forschungszentrum für Umweltpolitik der FU Berlin (FFU), dem Wissenschaftsjournalisten Manfred Ronzheimer und unterstützt von BUND, BMUB und UBA.
Akademie-Direktor Michael Hartmann ging in seiner Eröffnung auf den Titel der Tagung „Die „Frage der Alternativen zum Wachstum als Leitbild der Kommunikation“ ein – man könne auch „Narrativ“ sagen oder „Mythos der Wachstumsgesellschaft“. Der sei allerdings inzwischen „zu einer dreckigen Shortstory verkommen“. Einige Chaoten beim Hamburger Gipfel hätten auf die Frage, was sie denn wollten, „China vor 76“ gesagt – und Zustände vor der Kulturrevolution gemeint. Unter anderem um solche Verirrungen zu verhindern, müssten wir aktiv werden.Roland Zieschank vom ffh wies in seiner Eröffnungsansprache darauf hin, dass zwischen 2009 und 2016 für weltweite Ankurbelung der Wirtschaft 23 Billionen US-Dollar (davon neun allein von China) ausgegeben worden seien. Die G20-Beschlüsse führen im gleichen Fahrwasser. Als schlagende Beispiele führte er den Drei-Schluchten-Damm in China und ein Zitat des Unternehmens Statoil an, eine „Entkoppelung von Energieverbrauch und Wirtschaftswachstum könnte nicht möglich sein“. Paul Crutzen habe schon 2011 gesagt: „Das Konzept des Anthropozäns stellt erstmals die Menschheit völlig in das Zentrum der weiteren planetaren Evolution, als die zentrale Kraft.“ In diesem Zusammenhang zitierte Zieschank aus einer Rede von Ex-Bundespräsident Horst Köhler zum 25jährigen Bestehen der Deutschen Bundesstiftung Umwelt in Berlin 2016, der damals Kohleausstieg, Abschied von Verbrennungsmotor und Fleischkonsum gefordert habe. Die Natural Capital Coalition hat zwei Jahre lang an einem Rahmenwerk gearbeitet, das am 13.07.2017 online gehe.
Laut Zieschank sind weitere Lösungsvorschläge:
- Neue Schiffsantriebe (auf Flüssiggas-Basis)
- Kläranlagen der Zukunft (Biobrennstoffzellen liefern sauberes Wasser und Energie
- Mindestgröße bei der Tierhaltung
- Verknüpfung der Verkehrswende mit der Energiewende (Mobilität als Funktion, anstatt Pkw als Besitz)
- Günstig: Nichts tun. Verzicht auf Erweiterungsinvestitionen
„Der Wissenschaft kommt eine Schlüsselrolle bei der Gestaltung einer nachhaltigen Entwicklung zu,“ habe Kanzleramtschef Peter Altmaier im BMBF-Forum für Nachhaltigkeit 2017 konstatiert. Hierin liegt dann aber eine Herausforderung: Denn viele Ergebnisse der Umweltforschung lägrn zwar vor, aber seien in der Gesellschaft zu wenig bekannt und würden nicht auf ihren Beitrag zur Lösung von Umwelt- und auch sozialen Problemen hin diskutiert. Dies liege auch an einem Strukturwandel der Medien, der es erschwert, komplexere Zusammenhänge überhaupt darzulegen. Im Ergebnis könne es sogar zu einer Entkopplung von Wissenschaft und Kommunikation kommen. Die Tagung befasst sich deshalb mit der Frage: Wer kommuniziert überhaupt „Die Große Transformation“, und ist dies besser mit oder ohne die Medien zu bewerkstelligen?
Ferdinand Knauß: Wachstum über alles – Zur Etablierung eines Paradigmas durch die Medien
Knauß, Redakteur der Wirtschaftswoche in Düsseldorf, untersuchte den Begriff „Wachstum“, woher er kam, warum er unbefragt heute noch gemeinhin als Richtschnur für den Wirtschaftsjournalismus gilt. „Alle, vor allem Wirtschaftsjournalisten, halten Wachstum für das Wesentliche – wie kam es dazu?“ fragte Knauß und nannte als „tieferen Grund die historische Blindheit des Wirtschaftsjournalismus nicht nur gegenüber der Geschichte sondern auch gegenüber der historischen Bedingtheit der eigenen Überzeugung.“ In Wirtschaftslexika fehle jede historische Einordnung des Wachstumsbegriffs. Wenn es ein Bewusstsein dafür gäbe, dass Wirtschaftswachstum ein geschichtlich bedingtes Phänomen sei, dann sei das gleichzeitig eine Voraussetzung dafür, sich davon zu verabschieden.
Knauß hat die journalistische Vor- und Frühgeschichte des Wachstumsbegriffs anhand der Vossischen Zeitung untersucht (damals kam Wachstum noch kaum als häufiger Begriff vor – die Vorstellung einer stetigen Zunahme war nämlich noch kaum verbreitet) – danach erst kam die „lange Gegenwart des Wachstums-Paradigmas“. 1925 habe Ernst Wagemann in Berlin das Institut für Konjunkturforschung (IfK – Vorläufer des heutigen DIW) gegründet, fortan sei in der Vossischen Zeitung die Rede von Wachstum gewesen, meist kombiniert mit „natürlich“ oder „gesund“, aber fast immer im Zusammenhang mit dem IfK. Erst die Statistik mit seriösen Daten machte modernen Wirtschaftsjournalismus möglich. Die USA hatten schon in den 20er Jahren eine Vorbildsituation, dort wurde damals auch der Begriff BIP erfunden.
In den 50er Jahren begann laut Knauß die steile Zunahme der Verwendung des Begriffes Wachstum. In der FAZ (etwa durch Erich Welter), etwas verspätet auch in der ZEIT und vor allem im Spiegel. Knauß wörtlich: „Die FAZ wurde zur Unterstützung der Wirtschaftspolitik Erhards gegründet“. Sie sei zur neuen „mächtigen Zahl“ geworden – erfunden in Großbritannien, sei sie dann nach 1945 in die USA exportiert worden und von dort in den Rest der Welt. Von den Journalisten sei sie sofort angenommen worden, keiner habe je über diesen Prozess geschrieben. Die Zahl war d i e entscheidende Größe zur Benennung.
Die OECC (heute OECD) habe dann mit einer schlagkräftigen Presseabteilung die entscheidende Rolle gespielt. Die Wirtschaftsinstitute seien gegründet worden, der nie versiegende Datenquell stehe seitdem den Journalisten zur Verfügung, dahinter das Bewusstsein der großen Krise in den 30er Jahren als großer Katastrophe. Es habe kaum Kritik gegeben, höchstens kulturkritisch. In den 60er Jahren habe es nur ein Thema gegeben: Wachstumstheorie – und Bewunderung für Karl Schiller als Garant stetigen Wachstums, zunächst vom Spiegel als „Supernova der Politik“ gefeiert, „später fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel“.
Entscheidender Sieg sei dann das Stabilitätsgesetz 1967 gewesen – aus Wachstumsförderung sei ein Politikziel geworden – eine ökonomistische Selbstfesselung der Politik. 1972 erschienen dann zwar die „Grenzen des Wachstums“, die Studie habe einen unglaublichen Einfluss gehabt, sei viel diskutiert worden – mit unterschiedlichsten Reaktionen: der Spiegel schrieb zum Beispiel: „Mode, keine Substanz“ – die zentrale Botschaft sei aber stattdessen geworden: „Gerade um den Umweltschutz zu finanzieren, brauchen wir Wachstum. Beim Weltwirtschaftsgipfel 1978 in Bonn drehte sich dann alles um die Frage, wie man das Wirtschaftswachstum wieder ankurbeln könne. Alle Journalisten fanden das gut. Keiner kam auf die Idee, dass die zentrale Frage der Grenzen des Wachstums jetzt ignoriert wurde“. Fack (FAZ): „Unheilspropheten“, Stolte (ZEIT) war der gleichen Meinung. Ökonomen hätten den Angriff der Zweifler mit Hilfe der Wirtschaftsjournalisten abgeschmettert. Mit dem Scheitern des Club of Rome habe dann die lange Dauer des Wachstumsparadigmas begonnen. Grenzenloses Vertrauen in die endlose Erneuerungsfähigkeit des Menschen werde heute noch unentwegt bestärkt.
Heute sei das Narrativ der „Einwanderer als Wachstumsretter“ in vielen Wirtschaftsteilen präsent, eine alte Gläubigkeit gegenüber dem Expertenanspruch der Wirtschaftswissenschaft; „Karls Jaspers würde wohl von Wissenschaftsaberglauben sprechen“. Der Wirtschaftsjournalismus müsse die Gefolgschaft aufkündigen, die Krise von 2007 wäre Anlass genug. Die Gläubigkeit sei zwar im Abnehmen, aber man habe keine Alternative. Nach wie vor seien die Wirtschaftsjournalisten auf den Datenfluss aus den Instituten angewiesen. Empfehlung: kritische Distanz, „Feuilletonisierung“ der Wirtschaftsberichterstattung wäre hilfreich.
Folgt: Der Nationale Wohlfahrtsindex (NWI): Resonanz und Ignoranz – Roland Zieschank (ffu)