Wachstum im Wandel – Erfahrungen mit der Kommunikation integrierter
Nachhaltigkeitspolitik in Österreich, Elisabeth Freytag-Rigler, Ministerium für ein lebenswertes Österreich, Wien
Der Untertitel „Diskurse über Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität“ erinnerte an eine Enquete-Kommission des Bundestages. „‚Wachstum im Wandel‘ ist eine Initiative, die Menschen aus Institutionen, Organisationen und Unternehmen einlädt, sich mit Fragen zu Diskursen über Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität auseinanderzusetzen. Wir sind keine Degrowth-Initiative, wenden uns aber gegen Wachstum als Ziel.“ Inzwischen ist die Initiative auf europäischer Ebene angekommen, wo Freytag-Rigler in vielen Gruppierungen und auf vielen Ebenen mitarbeitet. Herz der Initiative sind Konferenzen, aber auch Zukunftsdossiers, Bücher. „Workshops verkaufen wir für 10.000 Euro – da kann jeder machen, was er will, solange es irgendwie zum Thema passt“. Leider seien die personellen und finanziellen Ressourcen begrenzt.
Ziele („mit Verzicht werden wir nichts erreichen“) seien „Erfüllendes Leben, Menschenrechte, Frieden, Gesundheit, Empowerment, kulturelle Diversivität, persönliche Entwicklung, Respekt, benutzen, teilen oder besitzen“. Höheres Wirtschaftswachstum werde laut einer Umfrage im Rahmen eines Kongresses weder von Experten noch von der Gesamtgesellschaft für besonders wichtig gehalten. Was soll demnach wachsen? Bildung, Mut, Kooperation, Gestaltungsspielräume, Partizipation, Ganzheitlichkeit. Auf die Frage „was soll sterben“? antworteten von 600 Konferenzteilnehmern: Konsumrausch, Ressourcenverbrauch, Gier…
„Wer erzählt die Geschichten zur Großen Transformation? Beispiele aus Politik, Wissenschaft und Medien
Unter der Moderation von Dagmar Dehmer vom Berliner Tagesspiegel hieß am Nachmittag das erste Thema:
„Der gut informierte Bürger“ – Die Umweltbewusstseinsstudie als Spiegel
Darüber sprach Gerd Scholl vom Institut für Ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW), Berlin. Das IÖW hatte eine Fragebogen-Umfrage durchgeführt und kam zu einer ersten Erkenntnis, nämlich, dass Klimaschutz und Umweltbewusstsein in Deutschland krisenfest etabliert seien. Das Bewusstsein dafür sei hoch und globale Umweltrisiken würden sehr ernst genommen. Unterschiede hätten sich aber dann bei Wichtigkeit und Erreichbarkeit von Zielen ergeben: 52 Prozent nähmen Treibhausgasneutralität sehr wichtig, aber nur 3 Prozent hielten sie für durchsetzbar. Die konkreten Beiträge der Akteure zu Umwelt und Klimaschutz seien sehr kritisch beurteilt worden. Auf die Frage, inwieweit Umwelt- und Klimaschutz als wichtige Erfolgsfaktoren für andere Politikfelder beurteilt würden, antworteten viele mit „sehr wichtig“. Dabei empfänden sich sozial Benachteiligte als stärker belastet.
Fazit:
- Umweltbewusstsein weiterhin auf hohem Niveau
- Mehrheit sieht Synergien zwischen Umwelt- und Klimaschutz und anderen politischen Aufgaben
- Aber: noch wird zu wenig für Umwelt- und Klimaschutz getan
- Und: Umwelt und Klimaschutz ist auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit
Torsten Schäfer, Hochschule Darmstadt: „Grüner Journalismus – zum Spannungsfeld – zwischen Neutralität und Transformation
„Grüner Journalismus“ sei ein Projekt der Darmstädter Hochschule, berichtet der Professor, der selbst noch journalistisch tätig ist. Nachhaltigkeit brauche ein doppeltes „l“ wegen des Nachhalls. Schäfer ist für starke Nachhaltigkeit – das sei auch Lebensqualität, letztendlich ein Freiheitsbegriff. Nachhaltigkeit ist für Schäfer eine holistische Dimension, als universeller Wert „tiefgehend eingebunden“ in Märkte und Gesellschaft(en). Auf jeden Fall kein Thema, das in Konkurrenz zu anderen stehe. Der Nachhaltigkeitsbegriff werde sehr technokratisch, „kalt“ diskutiert; Menschen hätten eine grundsätzliche Hinwendung zur Natur. Teilweise entstehe Ablehnung, wenn zu sehr naturaffin argumentiert werde.
Neue journalistische Formen kämen eben auf – vom „Nature Writing“ bis zum Comic-Journalismus. Entscheidend: Wie kommen wir vom Wissen zum Handeln? Allerdings könne Journalismus kaum Verhaltensveränderungen verursachen. Mehrfache Restriktionen der Medien-Unternehmen: Mit weniger Personal und geringeren Mitteln seien mehr Themen fundierter zu behandeln – und dazu noch mit möglichst großem wirtschaftlichen Erfolg. Viele neue Initiativen, vielfach im Internet, machten ihn dennoch optimistisch. Seit kurzem gebe es sogar ein journalistisches Netzwerk Nachhaltigkeit als neue Metaebene.
Petra Pinzler von der Hauptstadtregion der ZEIT sprach über die Frage: „Wie kommt das Anthropozän in die Redaktion?“ Sie kündigte „keinen wissenschaftlichen Vortrag“ an, sondern erzählte aus dem Alltag der Redaktion. Dazu ließ sie die letzten drei Tage Revue passieren: Alle diskutierten über einen möglichen Rücktritt des Hamburger Bürgermeisters, aber niemand über einen nötigen Rücktritt der Bundeskanzlerin, die seit Jahren gegen die Klimaziele der Republik gehandelt habe. Das Problem Anthropozän entziehe sich der üblichen journalistischen Darstellung – und es sei nicht neu. Gelegentlich gebe es Anlässe, das Thema zu „verkaufen“ – Beispiel: die Klage eines peruanischen Bauern gegen RWE wegen deren (Teil-)Verantwortung für den Klimawandel.
„Was ist nachhaltiger Journalismus? Was ist nachhaltiges Handeln?“ Das sei noch nicht ausdiskutiert. Beispiel: Die Finanzkrise, Produkt eines Wirtschaftssystem, das in einer endlichen Welt auf Unendlichkeit, auf ewiges Wachstum, angelegt sei. Die Diskussion sei eher gestorben, weil keiner der Beteiligten einen Weg wisse. Man könne als Journalist nicht Debatten fordern, die nicht stattfänden. Anders die TTIP-Proteste – die hätten große Debatten darüber erzeugt, wie wir (unendlich) Handel treiben wollten in einer endlichen Welt – offen sei geblieben, was wir eigentlich anders machen wollten.
Noch nicht ganz fertig sei die Debatte über die Verkehrswende – die sei wieder angeregt worden durch den Dieselskandal, da habe die zuerst abstrakte Diskussion plötzlich eine ganz konkrete Wende genommen, nämlich, dass man von den Stickoxiden Krebs bekommen kann. Pinzler sei gespannt, ob dieses Problem technisch gelöst werde, oder ob es in der Tat („großer Begriff“) in einer großen Transformation münde: „Ich bin nicht sicher, wie es ausgeht“. Wenn das Thema Anthropozän in die Redaktionen komme, verpuffe es häufig. „Vieles, was wir schreiben, ist halt in den Köpfen unserer Leser, Politiker, Mitbürger noch nicht angekommen. Das „Schneller, Höher, Weiter“ sei noch in zu vielen Köpfen drin.
Die Frage, wie wir mit dem Anthropozän umgingen, „frisst sich in ganz vielen kleinen Artikeln allmählich durch; viele Kollegen ’schnuppern‘ schon dahin. Die vielen Geschichten sind aber noch nicht Ausdruck einer systematischen Grundhaltung. Wir müssen aus den Nischen raus: Es darf keine Geschichte von ein paar grün angehauchten Umweltjournalisten sein. Das Anthropozän muss Problem-Hintergrund für alle Schreibenden sein. Und für die alltägliche Lebenserfahrung der Leser.“
In der politischen Debatte – wie umbauen? Da müsse sie „ganz einfach passen“. Erst wenn das Anthropozän in der Politik selbst angekommen sei, seien wir einen entscheidenden Schritt weiter.
Folgt: Manfred Ronzheimer: Partizipativer Journalismus – Bürger schreiben über Zukunftsthemen