Dieselgipfel mit Kommunen sollte für saubere Luft sorgen – „missglückter Harmonieversuch“ (Spiegel)
Der Bund unterstützt die Kommunen bei der Umsetzung von Verkehrskonzepten und der Umrüstung des öffentlichen Nahverkehrs mit weiteren 500 Millionen Euro, melden Bundesregierung in einer Medienmitteilung als Ergebnis des Treffens von Vertretern der Länder und Kommunen zur Luftreinhaltung im Kanzleramt. SPD-Vizekanzler Gabriel fordert die Autobranche auf, sich an der Aufstockung zu beteiligen. Doch „Fahrverbote drohen noch immer und die Autoindustrie zieht nicht ohne Weiteres mit“ – so das Nachrichtenmagazin Spiegel.
„Wir sind alle der Meinung, dass wir pauschale Fahrverbote für einzelne Antriebsarten oder Kfz-Typen ablehnen und deshalb alles denkbar Mögliche unternehmen wollen, um solchen Fahrverboten vorzubeugen,“ fasste Bundeskanzlerin Angela Merkel den breiten Konsens des Treffens mit Vertretern der Kommunen und den Ministerpräsidenten der Länder nach den Gesprächen im Kanzleramt zusammen.
[note Der Spiegel: „Die Kanzlerin wollte Harmonie verbreiten auf dem heutigen Dieselgipfel im Kanzleramt. Das war ihr eine hübsche Summe wert, genau genommen eine halbe Milliarde Euro. Es ist atemberaubend, wie locker das Geld im Bundeshaushalt auf einmal sitzen kann – wenn die Regierung angesichts des Skandals um manipulierte Dieselautos und überhöhte Schadstoffwerte auf deutschen Straßen ein Problem hat, und in knapp drei Wochen Bundestagswahlen stattfinden. Kanzlerin, Ministerpräsidenten und Bürgermeister wollen mit insgesamt einer Milliarde Euro dafür sorgen, dass der Verkehr flüssiger fließt, weniger Autos auf der Suche nach Parkplätzen herumkurven, mehr Menschen Fahrrad fahren. Vor allem sollen die Flotten der öffentlichen Hand, also Busse, Lieferwagen, Dienstfahrzeuge, auf Elektroantrieb umgestellt sowie genügend Ladesäulen für E-Fahrzeuge aufgebaut werden. Die Taktik von Angela Merkel wäre heute Nachmittag fast aufgegangen. Doch so schön die Kanzlerin ihren Harmoniekurs geplant hatte – kritische Stimmen stören ihn schon jetzt. Der Betrogene ist der Dieselfahrer: Denn alles, was Merkel heute angekündigt hat, wirkt nicht dagegen, dass Verwaltungsrichter Fahrverbote verhängen werden. Da hilft alles Geld und aller Pomp nichts. Denn Elektrobusse und „Verkehrsverflüssigung“ reichen nicht aus, wenn die Dieselautos nicht sauberer werden. Gerade das offenbart das zentrale Problem des neuen Geldsegens: Es fehlt an einer Strategie, wie die Mobilität in den Städten der Zukunft aussehen kann. Hier hat die Bundesregierung bislang nichts anzubieten.“]
Die Runde hatte laut Bundesregierung erörtert, wie sich die Grenzwerte bei der Luftqualität möglichst schnell einhalten lassen. „Die Zeit drängt, und wir sind uns alle einig, dass es ein großer Kraftakt ist, denn wir haben auf der einen Seite eine sehr individuelle Situation in den einzelnen Kommunen, aber auf der anderen Seite auch systemische Effekte, die von dem hohen Anteil des NOX – Ausstoßes (Stickstoffdioxid) der Pkws in den Städten ausgeht.“
Zu dem Treffen im Kanzleramt hatte Merkel die Oberbürgermeister und Oberbürgermeisterinnen von rund 30 Städten eingeladen, deren Luftqualität besonders von Stickstoffbelastungen beeinträchtigt ist. Auch Vertreter der kommunalen Spitzenverbände sowie die Regierungschefs von Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen nahmen teil. Der Bund war neben Bundeskanzlerin Merkel durch Vizekanzler Gabriel und die betroffenen Fachminister vertreten – Verkehrsminister Dobrindt, Umweltministerin Hendricks, Wirtschaftsministerin Zypries und Finanzminister Schäuble.
Eine Koordinierungsstelle aus Vertretern des Bundes, der Länder und der Kommunen soll über förderfähige Projekte der einzelnen Kommunen beraten können. Die Mittel stehen prinzipiell jeder der mehr als 80 Kommunen zur Verfügung, bei denen der Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel überschritten wird.
Individuelle Lösungen finden
Die individuellen Möglichkeiten der Städte und Kommunen, die Luftwerte mit Hilfe dieser Fördermittel in ihrer Region zu verbessern sind breit: In Frage kommen der Öffentliche Nahverkehr, die Umstellung auf Elektromobilität und Verbesserung der Ladestruktur, Verkehrsführung und Verkehrsleitung in den Innenstädten, effiziente Logistik oder Parkplätze, wie auch umfassender Ausbau des Fahrrad- und Fußgängerverkehrs.
Vizekanzler Sigmar Gabriel betonte, „dass die Lasten der Probleme, die wir in den letzten Monaten zu sehen bekommen haben, nicht an den Kommunen und Verbrauchern und auch nicht bei den Beschäftigen hängen bleiben“. Er strich heraus, dass heute die Diesel- wie auch die Ottomotoren erheblich weniger Abgase produzierten als noch vor einigen Jahren. Eine Umstellung auf Elektromobilität sei nicht so schnell zu machen, daher brauche man auch zukünftig die Verbrennungsmotoren als Brückentechnologie.
Bund, Länder und Kommunen beraten gemeinsam weiter
Merkel kündigte ein weiteres Treffen mit den Kommunen für Ende Oktober oder Anfang November an. Diese erneute Zusammenkunft müsse sehr sorgfältig vorbereitet werden, um spezifische Reduktionsmöglichkeiten bei der Stickoxidbelastung auszuloten, sagte sie. Die Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg, Laschet und Kretschmann, Berlins Regierender Bürgermeister Müller und der Oberbürgermeister von München Reiter, wiesen darauf hin, dass das Treffen sowie der Austausch über die Probleme von großer Sachlichkeit getragen waren. Die Kommunen würden nun ihre Luftreinhaltepläne weiter konkretisieren. Gleichzeitig sei jedoch die Situation beispielsweise im Öffentlichen Nahverkehr bei der Ausstattung mit Bussen völlig unterschiedlich. Die zusätzlichen Mittel, die die Bundesregierung zur Verfügung stelle, würden helfen, die Situation in den Städten und Kommunen zu verbessern. Die Vertreter der Länder und Kommunen forderten, dass sich auch die ausländischen Autohersteller, die 35 Prozent des deutschen Marktes abdecken, an dem Mobilitätsfonds sowie an der Nachrüstung beim Software-Update beteiligen.
Folgt: Dokumentation der Pressekonferenz zum Gespräch der Bundeskanzlerin mit Vertretern der Kommunen