Schlüsselreaktion zur Entstehung von Leben
Die katalytische Ammoniaksynthese hat nicht nur wegen ihrer technischen Relevanz, sondern auch als eine Schlüsselreaktion zur Entstehung von Leben und als die prototypische Modellreaktion6 zur Erlangung eines grundsätzlichen Verständnisses der Katalyse überhaupt eine wichtige wissenschaftlich- kulturelle Bedeutung. Vor allem dieses Argument treibt die Ammoniaksyntheseforschung derzeit enorm weiter, unter anderem, weil der mögliche Nachweis einer nichtempirischen Verbesserung der Katalysatoren erhebliche Signalwirkung für die Katalyseforschung auf anderen Gebieten hätte.
Für den technisch nach wie vor hauptsächlich bedeutsamen Eisenkatalysator kann nun ein umfassendes Bild seiner Struktur und seiner Wirkung als Beschleuniger der Dissoziation von Distickstoff als dem kinetisch kritischen Schritt gezeichnet werden. Die Pionierexperimente an Eiseneinkristallen7 bei niedrigen Drücken wurden durch Hochdruckexperimente quantitativ bestätigt8. Das Fehlen einer „Drucklücke“ erlaubte die theoretische Beschreibung der Stickstoffaktivierung und damit die quantitative Extrapolation der Kinetik von Ultrahochvakuum (UHV) zu technischen Bedingungen9-11. Weiterhin zeigte die Arbeit an Einkristallen8, dass das Fehlen der Drucklücke nur im Bereich geringer Bedeckungen mit Stickstoff gilt, während bei hohen Bedeckungen die Bildung einer Subnitrid-Oberflächenphase erhebliche Abweichungen vom theoretischen Adsorptionsverhalten hervorruft. Unter praktischen Synthesebedingungen ist die Bedeckung mit Stickstoff zwar gering (daher gilt die theoretische Behandlung), aber der Katalysator ist im Volumen nitridiert und weist daher eine gestörte Kristallstruktur auf. Diese wurde durch geeignete Vorbehandlungen auch bei den Modellexperimenten eingestellt, ohne dort allerdings näher strukturell untersucht worden zu sein. Im technischen Katalysator liegt nach der nötigen Aktivierung12 – ein Prozess, den man nun gut versteht13,14 – eine gestörte Eisenstruktur vor, die nachweislich essenziell für die katalytische Wirkung ist15. Die Störung bezieht sich sowohl auf die Bildung metastabiler Plättchen in (111)-Orientierung16, welche sich durch topotaktische Reduktion der Magnetitvorstufe bei extrem milden Bedingungen bilden12, 17, als auch auf die Bildung von Spannungszuständen in den hauptsächlich vorliegenden normal orientierten (100)-Bereichen18 des Ammoniakeisens*. Die Spannungszustände tragen dazu bei, die struktursensitive Aktivierung von Stickstoff, die auf (111)-Flächen besonders effizient ist19,20, auch auf anderen Flächenorientierungen und an spannungsinduzierten21,22 Stufendefekten23 ablaufen zu lassen. Diese Befunde geben Anlass dazu, die Diskussion um die Wirkung der Promotoren, und hier vor allem des Kaliums, die heute als abgeschlossen gilt24, im Lichte theoretischer25 und experimenteller13,26-29 Fakten als durchaus noch diskussionsbedürftig einzustufen.
Der moderne technische Eisenkatalysator ist ein nanostrukturierter metastabiler Feststoff, der bei der überraschend komplexen Synthese der Oxidvorstufe entsteht12, 18 und der sich von reinem Eisen trotz der sehr ähnlichen lokalen Struktur vor allem im mesoskopischen Bereich30 erheblich unterscheidet. Die Metastabilität bedingt seine ausgeprägte Empfindlichkeit gegen thermische Überbelastung bei der Aktivierung und der Oxidation des aktivierten Materials.
Die „unendliche Geschichte“ ist noch nicht zu Ende geschrieben. Neben Fragen zu den Elementarschritten der Reaktion und der Bedeutung von Realstruktur und Subnitriden für die Katalysatorwirksamkeit sowie der nun offenen Frage nach neuen Katalysatormaterialien gibt es auch Herausforderungen in der Entwicklung neuer Anwendungen.
Ammoniak wäre ein günstiges Speichermolekül für Wasserstoff zum Betrieb von Brennstoffzellen, da es frei von Kohlenstoffatomen ist und der gewonnene Wasserstoff daher die Brennstoffzellen nicht vergiftet sowie keine schädlichen Beiträge für die Umweltbilanz entstehen. Die Synthese von Ammoniak aus den Elementen und seine Spaltung in sie werden gut beherrscht. Gelänge eine praktikable und sichere Übertragung der industriellen Logistik74 in den Endverbraucherbereich, so stünde eine leistungsfähige Alternative für die heute diskutierten Kohlenwasserstoffe zur Herstellung von Wasserstoff für Brennstoffzellen zur Verfügung.
[note Robert Schlögl, 1954 in München geboren, promovierte 1982 an der Ludwig-Maximilians-Universität in München über Graphit-Interkalations-Verbindungen. Auslandsaufenthalte in Cambridge (Prof Sir John Thomas) und Basel (Prof Hans-Joachim Güntherodt) führten ihn in die Grenzgebiete zwischen Chemie und Festkörperphysik. Nach einer Industrietätigkeit folgten 1989 die Habilitation in Berlin (Prof G. Ertl) und der Ruf auf einen C4-Lehrstuhl für Anorganische Chemie in Frankfurt. 1994 wurde er zum Direktor am Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin ernannt. Darüber hinaus wurde er 2011 zum Gründungsdirektor des neu geplanten Max-Planck-Instituts für chemische Energieumwandlung berufen. Die Forschung von Robert Schlögl konzentriert sich auf die Untersuchung heterogener Katalysatoren mit dem Ziel, wissenschaftliche und technische Anwendbarkeit sowie die Entwicklung von nanochemisch optimierten Materialien für die Energiespeicherung zu kombinieren. Dazu kommt Anwendung der wissensbasierten heterogenen Katalyse für die großtechnische chemische Energieumwandlung. Schlögl ist Autor von etwa 800 Publikationen und hält mehr als 20 Patentfamilien. Er ist Fellow der Royal Society of Chemistry und Mitglied zahlreicher internationaler Organisationen. Seine Forschungsaktivitäten wurden mit zahlreichen internationalen Preisen ausgezeichnet.]
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30 G. Weinberg, B. Beran, M. Muhler, R. Schlögl, A. Dent, T. Rayment, Appl. Catal. A 1997, 163, 83 – 99.
->Quelle: Robert Schlögl: Katalytische Ammoniaksynthese – eine „unendliche Geschichte“? in: Angewandte Chemie 2003, 115, 2050 –2055 www.angewandte.de 2003, Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim – DOI: 10.1002/ange.200301553