FOCUS: „Tankstellen verschwinden, weil sie kaum noch einer mehr braucht“
1917 hat Rockefellers Standard Oil of Indiana (heute Amoco Corporation) die erste Zapfsäule vorgestellt, einen Prototypen, der – inzwischen natürlich mehrfach abgewandelt – bis heute in Gebrauch ist. Ziemlich genau ein Jahrhundert danach droht den klassischen Tankstellen jetzt das Ende. FOCUS-Online-Autor Christoph Sackmann läutet gleich einer ganzen Branche das Totenglöcklein.
Seit Bertha Benz bei ihrer Automobil-Überlandfahrt von Mannheim nach Pforzheim in der ersten „Tankstelle“ der Welt, der Stadt-Apotheke in Wiesloch 1888 das Leichtbenzin Ligroin einkaufte, war das deutsche Tankstellennetz 1970 auf 46.091 Tankstellen gewachsen. „Bald werden es nur noch einige tausend sein“, prophezeit Sackmann, „weil Autos immer sparsamer mit Benzin umgehen und Elektroautos erst gar keins mehr brauchen, verdienen schon heute die meisten Tanken ihr Geld nicht mehr mit Sprit.“ Seit 1970 nehme ihre Zahl schon ab.
Dafür gebe es viele Gründe: Zunächst seien die Tankstellen im Rahmen einer Konsolidierung bis 2000 weniger geworden, sie hätten aber immer noch mehr Sprit verkauft als vorher – bis die Autos immer sparsamer wurden, nun geht der Umsatz mehr und mehr zurück, noch weiter mit E-Autos, und Brennstoffzellen. Sollten nach dem Willen der Grünen ab 2013 keine Verbrenner mehr zugelassen werden, wäre die gute alte Tankstelle damit bald am Ende.
Nicht ganz, so Sackmann, denn Lkw und andere schwere Maschinen bräuchten weiterhin Diesel und machten fast die Hälfte des Umsatzes aus. Außerdem braucht der Wasserstoff ganz neue Formen von Zapfsäulen. Dazu kommen die sogenannten synthetischen Kraftstoffe, die rückstandsfrei in kaum veränderten Verbrennern verbrannt werden können und Zapfsäulen brauchen. Doch ob die sich durchsetzen werden, ist ungewiss.
Reiner Ropohl, der Vertriebsvorstand der Westfalen AG in Münster, ist laut Neuer Westfälischen überzeugt, dass der erwartete Siegeszug der Elektromobilität nicht das Ende der Tankstellen besiegeln wird: „Nein, aber das Gesicht der Tankstellen wird sich ändern.“ Ropohl rechnet damit, dass Benzin und Diesel noch jahrzehntelang nachgefragt werden: „Für den Erfolg der Elektroautos ist die Entwicklung der Reichweiten und der Ladeinfrastruktur entscheidend.“ Die Tankstelle der Zukunft ist nach Ropohls Überzeugung zudem ein Ort mit erweitertem Dienstleistungsangebot. Die Münsteraner setzen auf Services wie Paketstationen, vor allem aber auf Gastronomie. Während in der Vergangenheit das Shop-Angebot stetig erweitert wurde, wachsen künftig die Gastroflächen. Das sieht auch Sackmann so: „Drei Viertel des Umsatzes machen Tankstellen mittlerweile mit Zusatzgeschäften.“
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