Nahezu unglaubliche Vision: Schweizer könnten bereit sein, ohne Auto zu leben
Die Schweizer können unter bestimmten Bedingungen bereit sein, autofrei zu leben. Prof. Jacques Levy von der EPFL (École polytechnique fédérale de Lausanne – Eidgenössische Technische Hochschule) stellte dieses Ergebnis einer disziplinübergreifender Studie zur widersprüchlichen Beziehung der Schweizer zu Autos des Projekts PostCarWorld am 03.10.2017 in einer Sonder-Vorlesung vor, gefolgt von der Eröffnung einer Ausstellung, welche die Forschung seines Labors und die Ergebnisse der PostCarWorld-Initiative zeigt.
Lévy: „Wir verlagern uns aus einer objektzentrierten Welt, in der Autos ein Mythos und ein Traum sind, hin zu einer serviceorientierte Welt.“
Der Ort, den die Autos in den Herzen der Schweizer einnähmen, habe sich in den letzten Jahren erheblich gewandelt. Ihre diesbezüglichen widersprüchlichen Ansichten könnten sogar einen Wechsel von einer autozentrierten Gesellschaft hin zu einer serviceorientierten Gesellschaft vorwegnehmen. Die Schweizer könnten sehr wohl bereit sein, Autos hinter sich zu lassen, was dazu führen würde, dass ein Transportmittel außer Gebrauch käme, das seit langem Synonym für die Moderne sei. Darpberhinaus könne diese Verschiebung sogar noch wirtschaftlich lebensfähig sein. Dies sind die wichtigsten Schlussfolgerungen eines großen Forschungsprojektes mit dem Titel „PostCarWorld„.
Können Sie sich vorstellen, sich in einer Welt ohne Autos zu bewegen? Das war die anfängliche Frage an tausend Schweizer, darunter auch Fachleute für Stadtplanung und Mobilität. Sie wurden gebeten, sich ihr Leben in einer Gesellschaft vorzustellen, die sich entschieden habe, ohne Autos zu leben, nicht aus Umweltgründen oder wegen Kraftstoffmangels, sondern einfach aus freeien Stücken. Die Idee für diese Studie hatte mehrere Jahren in den Forschungsinstituten der Fakultät für Architektur, ziviles und Umweltingenierurwesen (ENAC) der EPFL“ gegärt“, bevor sie endlich das Licht des Tages erblickte. Jacques Lévy, Geograph und Leiter des Chôros-Laboratoriums der EPFL, leitete die über einen Zeitraum von vier Jahren durchgeführte Studie. Mittels eines interdisziplinären Ansatzes wurde die Qualität der Studie weiter verbessert: Geographen, Architekten, Stadtplaner, Ökonomen, Verkehrs- und Mobilitätsingenieure, politische Fachleute und Soziologen der EPFL, der ETH Zürich und der Università della Svizzera italiana (USI) arbeiteten zusammen und führten zu mehreren Thesen und wissenschaftlichen Publikationen und zahlreichen cross- und multidisziplinären Kooperationen.
Die aktuelle Situation beleuchten
Was haben sie herausgefunden? Lévy: „Der Vorteil dieser Art von prospektiver Studie ist, dass sie die aktuelle Situation beleuchtet. Bei der Aufforderung an die Schweizer, sich eine autofreie Zukunft vorzustellen, haben wir uns wirklich darum bemüht, mehr darüber zu erfahren, was gerade passiert – auch in Bezug auf die komplexe Beziehung der Menschen zu Autos“. Diese Beziehung wurde durch den rasch veränderten und widersprüchlichen Status der Autos in der Schweiz verkompliziert. Während die meisten Schweizer bereit sind, Alternativen zum Kauf eines Autos zu betrachten, brauchen sie aber lange, um sich zu ändern, die Menschen genießen immer noch das Fahren. Während Leasing, Car-Sharing, Carpooling, öffentliche Verkehrsmittel und Telearbeit an Boden gewinnen, müssen die Menschen um des Gefühls der Freiheit willen nicht mehr ein eigenes Auto besitzen. „Wir verlagern uns von einer objektorientierten Welt, in der Autos eine Erweiterung unseres Privateigentums darstellten, ein Mythos, ein Traum, in eine eine serviceorientierte Welt sind, die auf einem ganz neuen Mobilitätsansatz basiert“, erklärt Lévy .
Eine weitere Veränderung, die sie beobachteten, war eine erneute Fokussierung auf öffentliche Räume innerhalb der Städte. Die Ära des Automobils verwandelte unsere Städte und Landschaften seit fast einem Jahrhundert. Das Gelände wurde zwischen Autos und Fußgängern aufgeteilt – und bis vor kurzem wurde den Autos der Vorrang gegeben. „Es gab einen Konsens zwischen den Stadtplanern, die wir interviewten: Sie alle wollen unsere Straßen überdenken und mehr Wert auf gemeinsame Räume legen. Autos müssen sich an diese multimodale Welt anpassen, in der Fußgänger ihre Rechte zurückfordern und öffentliche Räume nicht mehr von Autos übernommen werden.“