„Was wir ändern müssen, wenn wir bleiben wollen“

Kritisches

Prof. Johannes Hoffmann – Foto Gerhard Hofmann

Prof. Gerhard Scherhorn – Foto – Altius Verlag

Letzteres erinnert an die Forschungsgruppe Ethisch-Ökologisches Rating an der Frankfurter Johann Wolfgang Goethe-Universität. Leider sucht man deren Ergebnisse, wie etwa die dringend notwendige „Zurückdrängung der Externalisierung“ oder „starke Nachhaltigkeit“, und gesetzliche Maßnahmen dazu im Buch vergeblich. Ebenso die beiden Gründer der FGEÖR, Gerhard Scherhorn und Johannes Hoffmann. Die FGEÖR verfolgt in nunmehr 25 Jahren das Ziel, Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Politik davon zu überzeugen, dass die gesetzlichen Grundlagen der Wettbewerbsordnung die nachhaltige Entwicklung behindern, solange sie Investoren, Unternehmen und Konsumenten das fast uneingeschränkte Streben nach Wettbewerbsvorteilen erlauben, die aus der Abwälzung von Kosten (Externalisierung) auf Umwelt und Gesellschaft resultieren. Wenn heute noch zugelassen wird, dass die Marktleistung auf der Ausbeutung der Gemeingüter beruht, wird der Wettbewerb diskreditiert, und zugleich die Kapitalrendite; denn der Markterfolg trägt dann zum Verzehr der Substanz bei, zur Verelendung der künftigen Generationen. Deshalb brauchen wir Gesetze, die den Wettbewerb nur insoweit schützen, als er nachhaltig ist. Soweit das Ethisch-Ökologische Rating.

Auch Leonard Boffs „Überlebenswichtig – warum wir einen Kurswechsel zu echter Nachhaltigkeit brauchen“ hätte eine Erwähnung verdient gehabt, in seinem jüngsten Buch entwickelt der ehemalige Franziskaner ein neues zivilisatorisches Modell, ein neues Verhältnis der Menschen zur außermenschlichen Kreatur und zur Erde; dafür versteht er die Erde und die Natur als lebende Persönlichkeiten, als Partner des Menschen. Er begründet überzeugend, wie nur diese revolutionäre Sicht einer echten Nachhaltigkeit den drängenden Herausforderungen gerecht wird. Überhaupt hätte ein sorgfältiges Literaturverzeichnis dem Anspruch das Buchs gut getan.

Diese kritischen Anmerkungen schmälern nicht das Verdienst dieses umfassenden Werkes als Bestandsaufnahme, als Wegweiser durch die verschiedenen Antworten und Lösungsansätze. Dem eiligen Leser wird es zunächst leicht gemacht: Zwei Seiten fassen zu Beginn den Inhalt zusammen.

Zusammenfassung

„Die vom Menschen beherrschte Welt bietet immer noch die Chance einer prosperierenden Zukunft für alle. Das wird aber nur möglich sein, wenn wir aufhören, den Planeten zu ruinieren. Wir sind sicher, dass dies geht, aber es wird von Jahr zu Jahr schwieriger, wenn wir mit den Kurskorrekturen zuwarten. Denn die heutigen Trends sind überhaupt nicht nachhaltig. Die Fortsetzung des herkömmlichen Wachstums führt zu einem gewaltigen Zusammenprall mit den planetaren Grenzen. Unser Wirtschaftssystem hat unter dem Diktat der Finanzmärkte mit ihren spekulativen Eskapaden die Tendenz, den Abstand zwischen Arm und Reich weiter aufzureißen.
Die Weltbevölkerung muss endlich stabilisiert werden, nicht bloß aus ökologischen, sondern auch aus zwingenden sozialen und ökonomischen Gründen. Sehr viele Menschen sehen die Welt im Zustand einer Verwirrung und Unsicherheit. Ungerechtigkeit, Staatsversagen, Kriege und Bürgerkriege, Arbeitslosigkeit und Flüchtlingswellen haben Hunderte Millionen von Menschen in einen Zustand der Angst und Verzweiflung versetzt.
Die Vereinten Nationen haben einstimmig die Agenda 2030 verabschiedet, die all diese Nöte überwinden soll. Aber eine erfolgreiche Umsetzung ihrer elf sozio-ökonomischen Ziele könnte den raschen weiteren Ruin für Klima, Ozeane und Artenvielfalt bedeuten, also die ökologischen Ziele zertrampeln. Will man diese Tragödie verhindern, muss man die Agenda als integrales Ganzes sehen, also die „Silo–Struktur“ von Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt überwinden.
Teil 1 des Buches ist eine Diagnose der nicht nachhaltigen Zeittrends – was man heute das Anthropozän nennt, das Zeitalter, in dem der Mensch das ganze Geschehen dominiert, bis hin zur bio-geochemischen Zusammensetzung der Erde. Eine prosperierende Zukunft für alle ist nur machbar, wenn der Wohlstand massiv vom Naturverbrauch abgekoppelt wird, auch in der Landwirtschaft und bei den Treibhausgasen. Volle nationale Souveränität auch über Handlungen, die die ganze Erde beeinflussen, ist nicht mehr legitim.
Teil 2 geht tiefer in die „philosophische Krise“ unserer Zivilisation. Ein Markstein ist die päpstliche Enzyklika Laudato Si. Die heutigen Religionen und Denkmuster stammen alle aus der Zeit der leeren Welt (Herman Daly) und eignen sieh nicht für die volle Welt. Daraus resultiert die Anregung, dass wir auf eine neue Aufklärung zusteuern sollten. Sie sollte statt Doktrinen die Tugend der Balance betonen, z.B. die Balance zwischen Mensch und Natur, Kurzfrist und Langfrist oder öffentlichen und privaten Gütern. Teil 2 kann als der revolutionärste Teil des Berichts angesehen werden.
Aber kann unser gequälter Planet warten, bis die menschliche Zivilisation durch die Mühen einer neuen Aufklärung gegangen ist? Nein, heißt es in Teil 3. Wir müssen jetzt schon handeln. Das ist machbar. Es werden – etwas willkürlich -lauter Erfolgsgeschichten dargestellt, von der Energiewende über nachhaltige Jobs bis zu einem Entkoppeln von Wohlstand und Naturverbrauch. Es folgen Politik-Vorschläge, wie man dahin kommt, dass solch guten Beispiele Schule machen und richtig profitabel werden.
Zum Schluss lädt das Buch Leser und Kritiker ein, sieh selbst für die Transformation zu einer nachhaltigen Welt einzusetzen.“

Folgt: Einladung an die Leserinnen und Leser