„Gigantisches Chemie-Experiment in den Weltmeeren“
„Gruselig“ nennt FAZ-Autor Ulf von Rauchhaupt, was die moderne Zivilisation mit ihren CO2-Emissionen „auch veranstaltet“: „Ein gigantisches Chemie-Experiment in den Weltmeeren“. Langsam werde klar, was dabei herauskommt. Der Autor beschreibt einen nach acht Jahren intensiver wissenschaftlicher Tätigkeit eben zu Ende gegangenen deutschen Forschungsverbund zur Ozeanversauerung namens BIOACID (Biological Impacts of Ocean Acidification). Der untersuchte von 2009 bis 2017, wie marine Lebensgemeinschaften auf Ozeanversauerung reagieren und welche Konsequenzen dies für das Nahrungsnetz und die Stoff- und Energieumsätze im Meer sowie schließlich auch für die Wirtschaft und Gesellschaft hat.
Das Übermaß an Kohlendioxid, das die Menschen in die Atmosphäre pumpe, gelange zu einem Teil in die Meere und reagiere dort zu Kohlensäure. Trotz der immer intensiveren Klimadebatte war „das andere CO2-Problem“ lange unerforscht geblieben. „Selbst die Berichte des Weltklimarats IPCC erwähnen das Thema erst seit 2007.“
Heute sei „die Ozeanversauerung das am stärksten wachsende geowissenschaftliche Forschungsfeld“, so von Rauchhaupt. Die Versauerung der Weltmeere sei nämlich die Kehrseite eines Effektes, ohne den die globale Erwärmung bereits noch gravierender wäre. Denn die Ozeane seien riesige C-Speicher und enthielten 50-mal mehr Kohlenstoff als die Atmosphäre, wo die CO2-Konzentrationen mittlerweile auf 400 ppm geklettert seien: Von einer Million Luftmoleküle sind mittlerweile 400 Kohlendioxid. Vor Anbruch der Industrialisierung waren es 280, und ohne die Meere wären es heute bereits 455 ppm.
Für den Prozess der Ozeanversauerung sind zwei chemische Reaktionen besonders wichtig: Löst sich Kohlendioxid im Meerwasser, wird Kohlensäure gebildet. Wasserstoff-Ionen und Hydrogenkarbonat werden freigesetzt. Ein Teil der Wasserstoff- Ionen reagiert mit Karbonat, und Hydrogenkarbonat entsteht. Kalkbildende Organismen wie Muscheln, Korallen oder bestimmte Plankton-Arten scheiden Karbonat ab, um ihre Schalen und Skelette aufzubauen. Je mehr Karbonat durch die chemischen Reaktionen im Meerwasser verloren geht, desto aufwändiger wird die Kalkbildung.
Immerhin hätten die Ozeane bisher 30 Prozent des anthropogenen CO2 geschluckt; allerdings schreibt von Rauchhaupt, werde das Seewasser dadurch nicht in gleichem Maße in sauren Sprudel verwandelt: „Mit einem ursprünglichen pH von 8,2 sind die Ozeane von Natur aus leicht alkalisch. Das verdanken sie vor allem im Seewasser gelösten Salzen der Kohlensäure, den Carbonaten. Sie stammen überwiegend aus der Verwitterung von Gesteinen an Land und werden zusammen mit Ionen des Calciums beständig in die Meere gespült. CO2 dagegen bildet in Wasser Kohlensäure, die sogleich Protonen abspaltet. Diese machten die See sofort sauer, würden sie nicht von den Carbonat-Ionen größtenteils abgefangen. Ozeanwasser ist, wie Chemiker das nennen, eine Pufferlösung.“ Ozeanversauerung bedeute nicht, dass sich das Meerwasser in eine Säure verwandle, sondern dass es zu wenig alkalisch werde, um noch gesund für die Meeresbewohner zu sein.
Ozeanversauerung schädigt Miesmuscheln im Frühstadium – Kieler Meeresforscher weisen Einfluss in Muschellarven nach
Muscheln schützen sich gegen Umwelteinflüsse und Feinde durch eine harte Kalkschale. Die zunehmende Versauerung macht es den Organismen immer schwerer, ihre Schalen zu bilden. Eine Gruppe von Forschenden der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel zeigt in einer Studie, die am 22.11.2017 in der internationalen Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht wurde, dass Miesmuschellarven sensibel auf Ozeanversauerung reagieren, was reduzierte Kalzifizierungsraten und Schalenauflösung zur Folge hat. Miesmuscheln sind in Norddeutschland beliebte Meeresfrüchte. Die braun-schwarzen Muscheln kommen in Gezeitenbereichen der Meere vor. Doch wie viele Lebewesen in den Ozeanen, die sich mit einer Kalkschale vor Feinden schützen, sind die Muscheln unter anderem durch die zunehmende Versauerung des Meerwassers gefährdet. Ursache hierfür ist die Aufnahme von zusätzlichem Kohlendioxid aus der Atmosphäre, das im Meerwasser gelöst wird. Die Miesmuschel zeigt sich bereits in frühen Lebensstadien als sehr empfindlich gegenüber einem Rückgang des pH-Wertes. Ein wichtiger Grund hierfür sind die enormen Kalzifizierungsraten im Larvenstadium: zwischen dem ersten und zweiten Lebenstag bilden sie Kalkschalen, die dem Gewicht des restlichen Körpers entsprechen. Dies zeigt eine Studie von Forschenden aus Kiel, die in der internationalen Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht wurde.