„Klimaschutz ohne Strukturbrüche“ heißt nichts anderes als „weiter so“
Seither ist die Debatte davon bestimmt, ob die SPD sich noch mal zu einer GroKo hinreißen lässt und damit die Ära Merkel verlängert, oder ob sie sich auf einen eigenen Weg besinnt. Bei den Diskussionen um potentielle Nachbesserungen, die sowohl auf dem SPD-Parteitag wie auch seither geführt werden, bleibt das Thema Klimaschutz und Energiewende völlig außen vor. Ganz so, als ob dies im Katalog der Nachforderungen keine Berechtigung hätte. Tatsächlich steckt im Postulat, „Klimaschutz ohne Strukturbrüche“ haben zu wollen (Seite 24, GroKo-Sondierungspapier), eine Kampfansage an alle Vorstellungen über eine Dezentralität der Stromversorgung. Und das ist alles andere als eine Nebensächlichkeit.
Wir hatten in einer ersten Betrachtung des GroKo-Sondierungspapiers vor zwei Wochen auf das bedenkliche „weiter so“ hingewiesen, auf das sich die GroKo-Partner in der Energie und Klimapolitik geeinigt hatten. Das steht sehr wohl in der Kontinuität der bisherigen Politik aller Merkel-Regierungen. Man muss sich allerdings die gedrechselte Formulierung dieses „weiter so“ auf der Zunge zergehen lassen: „ohne Strukturbrüche“ lautet die neue Devise.
Zum einen haben wir damit eine neue Metapher für das „weiter so“. Zum anderen findet sich im Sondierungspapier ein weiterer Hinweis darauf, was damit konkret gemeint ist. Neben dem Hinauszögern des Ausstiegs aus der Kohleverstromung, die ja immer noch die Struktur der Stromerzeugung dominiert, geht es um die Netzstruktur. Das Verbundnetz, auch fälschlicherweise öffentliches Netz genannt, ist selbst eine sehr alte Struktur. Es geht auf die Ursprungsfassung des Energiewirtschaftsgesetzes von 1935 zurück, dass der damalige Finanzminister Hjalmar Schacht und Adolf Hitler ursprünglich „Gesetz zur Wehrhaftmachung der deutschen Energieversorgung“ nennen wollten. Es wurde dann die zivilere Bezeichnung Energiewirtschaftsgesetz gewählt. Die Struktur, die dadurch charakterisiert ist, dass Monopolisten die Netzverantwortung und damit die Kontrolle in den Händen haben, ist erhalten geblieben.
Im GroKo-Sondierungspapier wird explizit – unter der Prämisse, dass Strukturbrüche ausgeschlossen sein müssen – die „Modernisierung der Energienetze (Netzausbaubeschleunigungsgesetz)“ aufgeführt. Das mag leicht überlesen werden, es klingt ja auch so schön neutral. Aber dahinter verbirgt sich das, was man Ausbau der großen Stromautobahnen nennt. Die Übertragungsnetzebene, die damals wie heute das Rückgrat der Struktur darstellt, soll nicht nur erhalten, sondern gestärkt werden. Obwohl das überhaupt nicht zu den Erneuerbaren von Photovoltaik und Wind passt. Die Frage der Dezentralisierung kommt dementsprechend im Groko-Sondierungspapier, trotz der Beteuerungen, die Erneuerbaren ausbauen zu wollen, nicht vor. Denn genau darin würde ja ein Strukturbruch bestehen. Die Verteilnetze zu stärken, würde bedeuten, die alte Struktur abzubauen eine neue, dezentrale Alternative zu installieren. Es würde bedeuten, die Netzverantwortung auf den beiden unteren Netzebenen zu etablieren, was technisch kein Problem wäre.
Ein solcher Strukturbruch würde aber die vier großen Übertragungsnetzbetreiber entmachten. Sie sind längst in die Rolle der neuen Monopolisten hineingewachsen, nachdem Ende der 1990er Jahre beim sogenannten Unbundling (andere nennen das Liberalisierung) die Trennung von Erzeugung und Stromtransport eingeführt worden war. Die alten EVUs der Marke RWE, Eon und EnBW haben an Kraft und Macht verloren, aber es wäre falsch anzunehmen, sie hätten mit den neuen Königen nichts zu tun. Der alte Spruch „der König ist tot, es lebe der König“ gilt auch hier, auch wenn die Regeln der Erbfolge etwas anders und vor allem viel intransparenter sind. Es gibt in Deutschland weit über 900 Stadtwerke und kleine Verteilnetzbetreiber, die abhängig von den großen Vier sind. Sie haben deren Anweisungen, z.B. das Abregeln von Wind- oder PV-Parks, im Sinne von Befehl und Gehorsam, zu befolgen. Sowohl das widersinnige Abregeln wie auch dessen Kosten sind in den vergangenen Jahren explosionsartig gestiegen, dank der Macht der Übertragungsnetzbetreiber.
Natürlich wissen wir alle, dass der Übertragungsnetzausbau hinter den Plänen der Regierung hinterherhinkt. Zum Glück, könnte man sagen. Denn dem Wunsch der Energiewendefreunde, die Dezentralisierung voranzutreiben, mangelt es immer noch sehr am faktischen Fundament. Das hat viel damit zu tun, dass vor allem bei Forschung und Entwicklung – nach der großartigen Lernkurve bei PV- und Windstrom als singulären Technologien – in Sachen Vernetzung der Erneuerbaren viel zu wenig passiert ist. Im Gegenteil. Immer mehr Forschungsanstrengungen und -gelder fließen in Vorhaben, die die bestehende Netzstruktur modernisieren und die Erneuerbaren dort „integrieren“ sollen.
Der Ausgleich der Fluktuation der Erneuerbaren gilt sogar bei vielen Solarforschern als explizites Netzthema. Damit wird aber freiwillig eine Position geräumt, die strategisch höchst wichtig ist. Wer die Fluktuation der Erneuerbaren nicht bereits auf der Ebene der Erzeugung auffangen will, sondern dies den Übertragungsnetz-Monopolisten überlassen will, der begibt sich in eine schwächere Position und verzichtet auf Gestaltungsmacht und Geschäftsmodelle für die Bürgerenergie. So wird Dezentralität nicht realisiert werden können.
Wenn also die alt-neue GroKo die Strukturbrüche bei der Energie- und Klimapolitik um jeden Preis verhindern will, dann geht es gerade um den Erhalt dieser vier Königreiche der Übertragungsnetzbetreiber. Wer sich am Wort Königreich reibt, sollte wissen, dass es eine gesetzlich verbriefte Netzrendite gibt, welche die Grundlage dafür bildet, dass es den vier Königen so gut geht und sie zusammen mit vereinter GroKo-Macht alles tun, damit sich an dieser Struktur nichts ändert. So gesehen muss man sowohl an die SPD wie auch die Jusos die Frage stellen, ob sie wirklich glauben, ohne Strukturbrüche in der Zukunft ankommen zu können. Klaus Oberzig
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