Lehren aus der Vergangenheit
Die Geschichte hat uns gelehrt, wie dramatisch sich viele Klimaveränderungen in der Vergangenheit – größtenteils durch natürliche Ursachen – auf menschliche Gesellschaften ausgewirkt haben. Einige alte Hochkulturen sind verschwunden. Übrig geblieben sind Ruinen ihrer Steingebäude, die von Regenwäldern überwuchert oder unter Sanddünen begraben wurden. Einige dieser Gesellschaften betrieben ausgefeilte Bewässerungs- und Trinkwasserversorgungssysteme, die nach klimatischen Veränderungen zusammenbrachen. Heute sind selbst Teile der industrialisierten Welt von Wassermangel betroffen. Wie wird sich unsere Gesellschaft weiterentwickeln und wie wird sie mit den möglicherweise drastischen Veränderungen umgehen, die es so in der Geschichte unseres Planeten noch nie gegeben hat?
Aus den industriellen Entwicklungen in der Vergangenheit gibt noch immer viel zu lernen. Die fossile Grundlage der Moderne ist für uns allzu selbstverständlich geworden und entgeht deshalb der Aufmerksamkeit vieler Kulturtheorien. Während die Anfangsphase der Industrialisierung etwa in sozialgeschichtlicher Hinsicht vielfach analysiert wurde, fehlen Perspektiven auf das technisch-soziale, materiell-kulturelle Gesamtsystem noch immer. Die Sozial- und Geschichtswissenschaften haben sich stärker auf die politischen und gesellschaftlichen Veränderungen konzentriert als auf die neuartigen Stoffkreisläufe, die mit den neuen Methoden der Energie- und Warenerzeugung einhergingen. Eine der Hauptaufgaben der Forschungsinitiative der Max-Planck-Gesellschaft wird darin bestehen, diese Entwicklungen zu untersuchen und unser Verständnis der Dynamik neuer technologischer Konzepte zu erweitern.
Leuna – Raffinerie, chemische Fabrik und Innogy-Braunkohle-Kraftwerk Schkopau – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft für Solarify
Die Industrielle Revolution war kein singuläres Ereignis, das zu einem neuen gesellschaftlichen Zustand geführt hat. Vielmehr umfasste sie mehrere bedeutende Übergänge, wobei auf das Zeitalter der Kohle das Zeitalter des Öls folgte. Aufgrund seiner flüssigen Form lässt sich Öl wesentlich einfacher in Verbrennungsmaschinen verwenden. Es kann in Pipelines transportiert werden, von Tankern auf Raffinerien umgepumpt werden und zur Herstellung einer großen Bandbreite von Brennstoffen, Schmiermitteln und Materialien, von den bekannten, weltweit überall anzutreffenden, weißen Kunststoffstühlen bis zu Arzneimitteln, chemisch umstrukturiert werden. Die Verfügbarkeit von Benzin hat zudem in riesigen Teilen unserer modernen Welt den Individualverkehr ermöglicht – ein wichtiger Beitrag zur persönlichen Freiheit, die jeder schätzt.
Als das Öl Einzug in industrielle Verfahren hielt, war dafür noch keine spezielle Infrastruktur vorhanden. Im Laufe der Zeit wurden entsprechende Technologien und Infrastruktureinrichtungen für eine erdölabhängige Gesellschaft entwickelt. Der Umstellung von Kohle auf Öl mag aus heutiger Sicht fast zwangsläufig erscheinen, brachte aber enorme Umwälzungen für die bestehende industrielle und städtische Infrastrukturen mit sich. In der Folge entstanden auch neue Unternehmen, neuartige Möglichkeiten und neue Freiheiten – aber gleichzeitig waren viele Arbeitsplätze in Gefahr. Was jetzt vor uns liegt, wird in keiner Weise weniger aufregend sein. Die technologischen Entwicklungen haben zudem einschneidende Veränderungen in der Mentalität und im Selbstbild der Menschen hervorgerufen. Persönliche Freiheiten, Wertesysteme, die Gesamtheit an Überzeugungen und Normen, auf denen sich Gesellschaften gründen, haben enorme Veränderungen erlebt, die sich nicht von der materiellen Grundlage ihrer Kultur trennen lassen.
In jeder zeitgenössischen Industriekultur, die auf fossilen Energieträgern basiert und Waren in Hülle und Fülle und oft im Überfluss herstellt, haben die einzelnen Menschen viel mehr Möglichkeiten, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben und zu Wort zu kommen als in älteren Agrarwirtschaften. In diesen älteren Wirtschaftssystemen waren dagegen bereits die Selbstversorgung, die Vermeidung von Nahrungsmittelmangel und die Versorgung mit grundlegenden Gütern ein wichtiges Ziel.
Eine weitere Periode des raschen gesellschaftlichen Wandels ist die Epoche der im Zusammenhang mit der Anthropozän-Forschung sogenannten ‚großen Beschleunigung‘. Diese Ära setzte in den 1950er-Jahren ein und ist durch eine globale Zunahme der Bevölkerung und des Energieverbrauchs, steigende Konzentrationen von Kohlendioxid, Stickstoffdioxid, Kunstdüngerverbrauch, Aufstauung der Flüsse, Verlust von ursprünglichen Ökosystemen, Artensterben und viele weitere Auswirkungen der globalen Industrialisierung gekennzeichnet. Heute wird diese Entwicklung durch das globale Bestreben vorangetrieben, an der westlichen Kultur des materiellen Überflusses mit all seinen Annehmlichkeiten und Nachteilen teilzuhaben.
Aber auch andere Umwälzungen in den Wirtschaftssystemen lohnen aus interdisziplinärer Perspektive eine intensivere Analyse. Eine historisch bedeutsame Veränderung vollzog sich beispielsweise zur Zeit der Kolonisierung durch bedeutende europäische Mächte, als die Nutzung riesiger Segelschiffe einen interkontinentalen Handel und Transport ermöglichte. Diese Entwicklung veränderte die Produktionsmethoden und führte vom System einer lokalen landwirtschaftlichen Produktion zu einem globalen kolonialen System. In dieser Zeit entwickelte sich erstmals in der Menschheitsgeschichte ein wahrlich globales Wirtschaftssystem.
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