Resch: Schallende Ohrfeige für Regierung
Die Reaktionen auf das Diesel-Urteil fielen erwartungsgemäß gemischt aus. Der Präsident des VDA, Matthias Wissmann, lehnte Fahrverbote entschieden ab – er verteidigte „seine“ Diesel kritiklos – Software-Updates seien das einzig richtige Mittel. Der Städte- und Gemeindebund warnte vor dem – so wörtlich – „Irrglauben, mit Verboten lasse sich die Stickoxid-Belastung reduzieren“. Der Bundesverband der Mittelständischen Wirtschaft erklärte, das Urteil gefährde die Existenz von vielen kleinen und mittleren Unternehmen. Vom Einzelhandelsverband hieß es, Innenstädte müssten erreichbar bleiben. Die Deutsche Polizeigewerkschaft sah keine Möglichkeit, Fahrverbote ausreichend zu kontrollieren. Und FDP-Chef Lindner sprach gar von kalter Enteignung (nach inforadio).
Die DUH sprach von einem „ganz großen Tag“ für saubere Luft in Deutschland. Nun sei die Autoindustrie in der Pflicht, Nachrüstungen vorzunehmen. DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch, der in einer jahrelangen zähen, teils existenzbedrohenden Auseinandersetzung das Urteil letztlich erstritten hat: „Wir sind glücklich; wir haben die saubere Luft in Deutschland durchgesetzt. Wir haben gleichzeitig eine Lösung für neun Millionen betrogener Autofahrer gefunden, nach heute wissen die Autokonzerne, dass sie sich nicht länger davor drücken können, den Besitzern von Betrugsdieseln ein kostenloses technisches Update ihrer Abgasanlage einzubauen. Das ist eine schallende Ohrfeige für die Bundesregierung, die seit Jahren die blaue Plakette und damit eine bundesweite Regelung verhindert. Wir hätten uns natürlich gewünscht, dass wir auch Euro 5 Ende dieses Jahres mit einem Fahrverbot hätten belegen können, so können wir in diesem Jahr mit Euro 4 und älter beginnen. Das ist vielleicht eine Chance für die Automobilindustrie, diese neun gewonnenen Monate zu nutzen und möglichst vielen, ich hoffe allen dieser Fahrzeughalter diese technische Nachrüstung zu realisieren.
Das Gericht hat ganz klar gesagt, dass in Abwägung der Verhältnismäßigkeit erst einmal an den Gesundheitsschutz zu denken ist, den Menschen kann geholfen werden – wir meinen allerdings nicht aus Steuermitteln, sondern aus den Mitteln der Firmen, die seit 20 Jahren durch einen organisierten und miteinander abgesprochenen Betrug – man nennt das normalerweise organisierte Kriminalität – Milliardengewinne gemacht haben. Ein Teil dieser Gewinne muss nun ausgezahlt werden, um dies Fahrzeuge so sauber zu machen, dass sie nicht länger die Städte vergiften.“ (Focus-Video)
„Blaue Plakette“ gefordert – Greenpeace: „Flickenteppich unterschiedlicher Regeln verhindern“
Das Gericht brachte erneut die sogenannte blaue Plakette ins Gespräch. Umweltschützer fordern schon lange eine solche Umweltplakette, mit der generell nur saubere Diesel in bestimmte Stadtgebiete fahren könnten.
So etwa Greenpeace-Sprecher Niklas Schinerl: „Endlich ist der Weg frei, um die Gesundheit der Menschen wirksam zu schützen. Jede Stadt kann nun das Recht ihrer Bürger auf saubere Luft selbst durchsetzen. Besonders belastete Städte müssen jetzt dafür sorgen, dass dreckige Diesel mit ihren giftigen Abgasen draußen bleiben. Dabei sind Übergangszeiten und Ausnahmeregelungen nötig. Aber jedem Verkehrspolitiker muss nun klar sein: Städte müssen ihr Angebot an Bussen, Bahnen und Radwegen so schnell wie möglich ausbauen, damit künftig immer mehr Menschen einfach ohne Auto ans Ziel kommen. Die Umsetzung des Urteils wird jedoch bald zeigen, dass nur die bundeseinheitliche Regelung mit einer blauen Plakette einen Flickenteppich unterschiedlicher Regeln verhindern kann. Die Bundesregierung muss mit einer Plakette verhindern, dass bald niemand mehr weiß, welcher Diesel noch in welche Stadt fahren kann.“
BUND: „Krisenmanagement der Regierung gescheitert – Hardware-Nachrüstungen und Blaue Plakette überfällig“
Der Vorsitzende des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Hubert Weiger zeigte sich erleichtert über das Urteil: „Endlich ist höchstrichterlich bestätigt, dass Kommunen zum Schutz der Gesundheit ihrer Bürger auch schon jetzt Fahrverbote erlassen können. Das einzig auf die Vermeidung von Fahrverboten ausgelegte Krisenmanagement von Bundesregierung und Autoindustrie ist gescheitert. Nun rächt sich auch, dass die fast zweieinhalb Jahre seit Bekanntwerden des Diesel-Abgasskandals nicht zum Gesundheitsschutz der Menschen, sondern vor allem zur Sicherung der Gewinninteressen der Autohersteller verwandt wurden. Damit ist das Urteil eine umweltpolitische Ohrfeige für die Bundesregierung.
Die Entscheidung setzt aber nicht nur die von NO2-Grenzwertüberschreitungen betroffenen Kommunen unter Druck. Die kommende Bundesregierung muss durch die schnelle Einführung einer Blauen Plakette Regelungen mit unterschiedlichen Schildern und Kennzeichnungen verhindern. Gleichzeitig muss sichergestellt werden, dass die Blaue Plakette zielgerichtet und flächendeckend zum Einsatz kommt. Den Stickoxid-Problemen durch verkehrsbeschränkende Maßnahmen nur in einzelnen Straßen zu begegnen, bringt in der Sache nichts und verlagert das Problem nur, anstatt es zu lösen. Deshalb muss an der Belastungsquelle „Diesel-Pkw“ angesetzt werden. Hardware-Nachrüstungen* für betroffene Fahrzeuge sind unumgänglich. Die Regierung muss sicherstellen, dass die Kosten für wirksame Hardware-Nachrüstungen von den Verursachern, also den Autoherstellern, getragen werden. Die umweltpolitische Schonzeit zu Lasten der Menschen für die Autokonzerne muss endlich vorbei sein.“
Eine überdeutliche Mehrheit von 83 Prozent der Bevölkerung in Deutschland sprach sich in einer vom BUND in Auftrag gegebenen Umfrage dafür aus, dass die neue Bundesregierung die Autohersteller dazu verpflichtet, Dieselfahrzeuge, die von dem Abgasskandal betroffen sind, auf Herstellerkosten so nachzurüsten, dass diese die geltenden Abgasgrenzwerte auch im Alltagsbetrieb einhalten.
VKU: „Nur Ultima Ratio – als Letztes zu Fahrverbot greifen“
Kommunale Spitzenverbände und die Wirtschaft hatten bis zuletzt davor gewarnt, bei Fahrverboten könnten Geschäfte in Städten nicht mehr ausreichend beliefert werden oder Handwerker nicht mehr innerstädtische Kunden anfahren. Selbst mit Ausnahmeregelungen wären zahlreiche Pendler betroffen, ihre Dieselautos würden kräftig an Wert verlieren. VKU-Präsident Michael Ebling: „Das Bundesverwaltungsgericht hat bestätigt, dass es bei dem klaren Auftrag, unsere Luft sauberer zu machen, keine Denkverbote geben darf. Für die Luftreinhaltepläne hat uns das Gericht einen großen Werkzeugkasten mitgegeben. Fahrverbote sind nur ein Werkzeug unter vielen und für uns die Ultima Ratio. Sie sind das Werkzeug, zu dem wir in der konkreten Umsetzung als Letztes greifen werden. Für alle Werkzeuge, die in der Umsetzung angewendet werden gilt übrigens, dass sie im konkreten Anwendungsfall geeignet und verhältnismäßig sein müssen. Aber auch die Autohersteller sind in der Pflicht. Es sollte alles dafür getan werden, Nachrüstungen so weit wie möglich durchzusetzen.
Wir setzen uns weiterhin mit all unserer Kraft dafür ein, nachhaltig für gute Luft zu sorgen. Hier sind wir bereits mit Erfolgen unterwegs, unter anderem mit Umrüstungen der Bus-Flotten im öffentlichen Personennahverkehr. Viele weitere Dinge sind bereits angestoßen oder in der Pipeline. Zudem haben Union und SPD im Koalitionsvertrag verabredet, die Anschaffung von E-Taxen, E-Bussen, E-Nutzfahrzeugen und Carsharing langfristig zu fördern, was wir sehr begrüßen. Die Stadtwerke sind übrigens diejenigen, die beispielsweise die flächendeckende Ladeinfrastruktur für die E-Mobilität zur Verfügung stellen können. Nötig ist dafür allerdings ein schneller, unverzüglicher ‚Technologieschub‘ der Fahrzeughersteller, denn die entsprechenden marktreifen Fahrzeuge mit alternativen Antrieben sind aktuell ein Engpass.“