Teure Kohlereserve

Bisher noch nie gebraucht

Vorläufig stillgelegte Braunkohlekraftwerke sollten bei Versorgungsengpässen ans Netz gehen – das war der Deal mit den EVU, damit sie die vorzeitige Stilllegung von acht Kohlemeilern duldeten. Das kostet den Steuerzahler aber Millionen – die zahlt die Bundesregierung für die sogenannte „Sicherheitsbereitschaft für Kraftwerksanlagen“ (siehe solarify.eu/sicherheitsbereitschaft – § 13g EnWG). Weil aber die Reserve noch nie gebraucht worden ist, sind die Zahlungen in dreistelliger Millionenhöhe umstritten. Eine Kleine Anfrage (Drucksache 19/686) der Grünen im Bundestag brachte es ans Licht.

2016 begann die Große Koalition, nach und nach acht Kraftwerksblöcke in eine neue sogenannte Reserve zu überführen. Sie sollten für Notfälle jeweils noch vier Jahre betriebsbereit bleiben und danach endgültig vom Netz gehen. Zwei sind bereits in der Reserve (Buschhaus bei Helmstedt in Niedersachsen und zwei Blöcke des Kraftwerks Frimmersdorf bei Köln, s. Foto oben), weitere fünf werden bis Herbst 2019 folgen. Sie sollen innerhalb von zehn Tagen hochgefahren werden können, wenn sie gebraucht werden.

Heizkraftwerk (Kohle) Reuter West und Müllverbrennung Ruhleben, Berlin – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft für Solarify

Insgesamt wurden so (besonders schmutzige) Braunkohlekraftwerke mit einer Leistung von 2,7 Gigawatt vom Markt genommen. Die Kosten tragen die Stromkunden über die Netzentgelte, wobei die Industrie durch die für sie geschaffenen Ausnahmen in § 19 der Stromnetzentgeltverordnung (StromNEV) gegenüber den Haushaltskunden teilbefreit ist.

Bereits 234 Millionen Kosten

Die lakonische Antwort der Bundesregierung auf die Grünen-Anfrage: „Die in der Sicherheitsbereitschaft befindlichen Kohlekraftwerke wurden noch nicht angefordert.“ Wohingegen die Antwort auf die Frage nach den Kosten schon etwas komplizierter ausfiel: „Zurzeit werden durch die Übertragungsnetzbetreiber TenneT und Amprion lediglich Abschläge ausgezahlt. In den Erlösobergrenzen des Jahres 2017 haben die Übertragungsnetzbetreiber hierfür insgesamt einen Betrag i. H. v. 85 Mio. Euro angesetzt. Für das Jahr 2018 sind es insgesamt 149 Mio. Euro. Zahlungen an die Kraftwerksbetreiber erfolgen unter Vorbehalt bis zur abschließenden Festlegung der Vergütungshöhe durch die Bundesnetzagentur. Etwaige Überzahlungen sind sodann an die Netznutzer zurückzugeben. Welchen Anteil die nicht-privilegierten bzw. die privilegierten Netznutzer an den o. g. Abschlägen tragen, lässt sich nicht ermitteln.“

Macht insgesamt das stattliche Sümmchen von 234 Millionen – vorerst. Die endgültige Vergütungshöhe lege die Bundesnetzagentur fest, was zu viel gezahlt wurde, müsse an die Netznutzer zurück fließen. Die Grünen wollten natürlich wissen, wie viele Arbeitnehmer von einer endgültigen Stilllegung betroffen wären, das aber weiß die Regierung nicht: „Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse darüber vor, wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Kraftwerken beschäftigt werden, die in der Sicherheitsbereitschaft sind.“

 

Ob sich sich die Zeitspanne von zehn Tagen bis zur Betriebsbereitschaft bzw. von elf Tagen bis zur Nettonennleistung von Kohlekraftwerken in der Kohlereserve nach Auffassung der Bundesregierung als praxisgerecht und angemessen erwiesen habe (angesichts des immer größer werdenden Anteils Erneuerbarer Energien und der damit erforderlichen schnellen und flexiblen Fahrweise von Kraftwerken) beantwortet die Bundesregierung mit „Ja“, obwohl sie das gar nicht wissen kann (der Fall trat ja noch nie ein). Sie hält vielmehr die Fristen für sachgerecht und geeignet, denn sie stünden „im Einklang mit der Zielrichtung der Sicherheitsbereitschaft: Nach § 13g Absatz 2 EnWG dürfen die Betreiber von Übertragungsnetzen die Anlagen in der Sicherheitsbereitschaft nur für die Gewährleistung der Systemstabilität und nur als ultima ratio einsetzen, wenn keine anderen Maßnahmen zur Verfügung stehen, um die Extremsituation zu bewältigen.“ Die Sicherheitsbereitschaft diene nicht der Erbringung von Regelleistung – eine Feststellung, die niemand wunderte, weil das eh jeder weiß. Der „Strommarkt 2.0“ sei „hinreichend flexibel, um diese [die Regelleitung] selbst und marktwirtschaftlich zu organisieren“.

Alle weiteren Fragen werden pauschal mit Sätzen beantwortet wie diesem: „Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse vor, dass die Betreiber diese Anforderungen nicht einhalten könnten.“ Insgesamt „sind die Betreiber dafür verantwortlich, sicherzustellen, dass sie ihren vertraglichen Verpflichtungen mit Dritten, einschließlich regionaler Einrichtungen, uneingeschränkt nachkommen, auch wenn Kraftwerksblöcke in die Sicherheitsbereitschaft überführt werden.“

Bernd Westphal, SPD: „Berechtigte Versicherungsprämie“

Die eher schwierig zu rechtfertigenden Kosten verteidigte Bernd Westphal, wirtschafts- und energiepolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion im Deutschlandfunk: Die Reserve sei eine richtige Maßnahme,  „eine Versicherungsprämie“, und er verweist auf die aktuellen Minus-Temperaturen: „Es könnte durchaus sein, dass solche Kraftwerke auch gebraucht werden.“ Allerdings: Wenn sich herausstelle, „dass wir diese Kapazität zu groß veranschlagt haben und vorhalten, muss man das sicher nochmal überprüfen.“ Westphals Kollegin Lisa Badum, die klimapolitische Sprecherin der Grünen, hält die Reserve dagegen nicht für sinnvoll: Die Steuerzahler würden für „Phantomstrom“ zahlen, der nicht gebraucht werde. Andererseits würden „wahnsinnig viele“ gerne in Erneuerbare investieren – die würden aber „ausgebremst“. Das nennt Badum „fatal“. Denn wenn es elf Tage brauche, bis die Kraftwerke hochfahren, dann seien sie ungeeignet, bei kalöten Temperaturen kurzfristig einzuspringen – „bis dahin sind alle schon erfroren.“

Die neue Großen Koalition hat in der Koalitionsvereinbarung vereinbart, dass eine Expertenkommission Vorschläge erarbeiten soll, wie der Kohlestrom weiter schrittweise verringert werden kann.

->Quellen: