Geschlossener Kohlenstoffkreislauf
Deshalb kommt es zuerst einmal darauf an zu verstehen, wie das gegenwärtige Energiesystem funktioniert und was ein neues leisten muss. Ein zukünftiges Energiesystem muss langfristig stabil und kurzfristig resilient sein, das heißt den Ausgleich von Schwankungen – bedingt etwa durch Tag und Nacht – erlauben. Es muss auf den verfügbaren Ressourcen aufbauen. Es muss klima- und umweltverträglich sein, insbesondere einen möglichst geschlossenen Kohlenstoffkreislauf einschließen. Es muss eine sozial akzeptable Versorgung mit Energie gewährleisten. Und es muss in den nächsten 20 bis 30 Jahre realisierbar sein. Einige dieser Anforderungen müssen auch in einer Übergangszeit erfüllt sein.
Warum hat die bisherige Energiewende die Erwartungen nicht erfüllt? Das liegt nicht nur an einer zögerlichen Politik, sondern auch an einem mangelnden Verständnis der Funktionsweise eines Energiesystems. Entscheidend ist die Einsicht, dass es zwei grundsätzlich verschiedene Komponenten umfasst: eine, die eine konstante Grundlast trägt und gegenwärtig von den konventionellen Energieträgern und der Kernenergie gewährleistet wird, und eine andere, die die „volatilen“, das heißt ständigen Schwankungen unterworfenen erneuerbaren Energiequellen Sonne und Wind beisteuern.
EE-Zunahme änderte nichts an fossiler Abhängigkeit – Grundlastkomponente
Da der Bedarf an Energie nicht gesunken ist und ohne die Grundlastkomponente keine resiliente Energieversorgung möglich ist, hat der steigende Anteil erneuerbarer Energien nichts an der wesentlichen Abhängigkeit des gegenwärtigen Energiesystems von den konventionellen Energieträgern geändert. Mit dem Wegfall der Kernenergie wird diese Abhängigkeit noch steigen. Andererseits führt der steigende Anteil erneuerbarer Energien zu Netzengpässen und Überlastkapazitäten, die im schlimmsten Fall zu einem Blackout führen können. Dass dies bisher nicht geschehen ist, liegt nicht zuletzt an der Bereitschaft unserer Nachbarländer, deutsche Stromüberkapazitäten kurzfristig aufzukaufen.
Das Versagen der gegenwärtigen Energiewende liegt also daran, dass sich an der Grundlastkomponente wenig geändert hat. Das hat Gründe, die einerseits in technischen und politischen Problemen wurzeln, die aber andererseits einen prinzipiellen Charakter haben. Der prinzipielle Grund liegt darin, dass die volatile Komponente eines Energiesystems die Grundlastkomponente nicht einfach ersetzen kann, man also weiterhin auf letztere angewiesen ist.
Konventionelle Energien effizienter nutzen
Die technischen und politischen Gründe für den mangelnden Erfolg der Energiewende hängen mit dem Fehlen einer Regelungsstruktur zusammen, die es erlauben würde, die durch konventionelle Träger gelieferte Energie immer dann zu drosseln, wenn die erneuerbaren für die Versorgung ausreichen. Die Verwirklichung einer solchen Struktur hängt nicht nur von technischen Fragen wie Lastmanagement und dezentralen Smart Grids ab, sondern auch von der Überwindung politischer und ökonomischer Hindernisse. Dazu zählen etwa gesetzliche Profitgarantien für bestimmte Energieanbieter (zum Beispiel Biogasabnahmegarantien für Bauern), das Fehlen einer „Ausspeisevergütung“ oder anderer wirtschaftlicher Anreize für das Herunterfahren konventioneller Energieträger sowie fehlende Anreize für Investitionen in die Modernisierung konventioneller Kraftwerke, die den CO2-Ausstoß um die Hälfte reduzieren könnte.
Die effizientere Nutzung konventioneller Energien durch neue Regelungen und Modernisierung ist ein dringend notwendiger Zwischenschritt auf dem Weg zu einem radikalen Umbau des Energiesystems. Denn ihr gegenwärtiger Abbau, sowie die verschleißende Weiternutzung ineffizienter alter Kraftwerke, macht angesichts der Volatilität der erneuerbaren Energien einen Blackout absehbar, in dessen Folge unweigerlich der Ruf nach dem Wiedereinschalten von Kohle- und Atomkraftwerken laut werden wird.
Der Vorschlag einer solchen Zwischenlösung mag überraschend klingen, richtet er sich doch an anderen Kraftlinien aus, als die eingefahrenen politischen Diskurse. Er hat jedenfalls nichts mit einem politischen Kompromiss zu tun. Durch einen solchen Zwischenschritt würden wir uns vor allem die Zeit erkaufen, die zur Lösung der noch offenen Probleme nötig ist. Sie sind gleichermaßen wissenschaftlich-technischer, politischer und wirtschaftlicher Art. Neben der bereits genannten Notwendigkeit einer Effizienzsteigerung werfen vor allem die Speicherung und der Transport von Energie solche offenen Fragen auf. Von ihrer Beantwortung hängt letztlich ab, wie stark die volatile Komponente relativ zur Grundlastkomponente ist.
Chemische Energiespeicherung und Steuerungsmechanismen erforschen
Genau in diesen Bereichen aber gibt es den größten wissenschaftlichen und technischen Handlungsbedarf, insbesondere, was die Möglichkeiten der chemischen Energiespeicherung betrifft. Denn die Nutzung der fossilen Energieträger Kohle und Gas bedeutet ja nicht nur die Ausbeutung über Jahrmillionen aufgespeicherter Sonnenenergie. Kohle und Gas bieten außerdem den Vorteil von Energieträgern mit enorm hoher Energiedichte, der auch einem zukünftigen Energiesystem zugute käme, etwa wenn es gelänge, Energie effektiv in Wasserstoff zu speichern. Zugleich eröffnen sich neue Fragen der Gestaltung eines auf neuen chemischen Energieträgern beruhenden globalen Energiemarktes. Wie etwa lässt sich die hohe Sonneneinstrahlung in den Sun Belts dieser Welt in einen solchen Markt einbeziehen? Welche Rolle können große Waldgebiete für die Speicherung von Energie in Biomasse spielen?
Eine besondere Herausforderung ist die Entwicklung neuer Steuerungsmechanismen. Viele Handlungsmöglichkeiten werden bislang durch Überregulierung blockiert. Neue Regelungsmöglichkeiten müssten erst erprobt werden. Doch dazu bräuchte es eine Art Experimentierklausel für den Umbau des Energiesystems. Hier sind bisher hauptsächlich wirtschaftliche und politische Mechanismen diskutiert worden, ohne zu sehen, dass sie letztlich nur verschiedene Antworten auf die grundlegendere Frage bieten: Wie kann kollektives Handeln durch Wissen über lokale und globale Randbedingungen des Erdsystems gesteuert werden? Das ist die Frage nach der Möglichkeit einer Wissensökonomie, die sich weder auf intransparente technokratische Steuerung noch ausschließlich auf die durch mächtige Einzelinteressen oft verzerrten Automatismen des Marktes verlässt.