Netzentgelte in einer kohlenstoffarmen Welt

Untersuchungen der Auswirkungen von Netztarifen auf die Stromausgaben der Haushalte und drohende Unterdeckung

Zunehmende Eigenerzeugung und Speicherung ändern den Stromverbrauch der Haushalte. Die üblichen volumetrischen Netztarife können zu einem Ungleichgewicht zwischen verschiedenen Gruppen von Haushalten und ihrem jeweiligen Beitrag zur Deckung der Betriebskosten des Netzes aber auch zu unproportionaler Belastung armer Familien führen.  Fünf Autoren um den Österreicher Johannes Reichl untersuchten in nature energy, wie das Verständnis des Verbraucherverhaltens und der Gerätenutzung in Verbindung mit sozioökonomischen Faktoren den Regulierungsbehörden helfen kann, die Netztarife auf faire Weise an neue Gegebenheiten anzupassen. Gleichzeitig könnten aufkommende neue Energieverbrauchsstrukturen zum Absinken der Netzkosten unter die Netzentgelte führen, weshalb nach neuen Tarifen gesucht wird. In seiner Studie mit detaillierten Verbrauchsdaten der Haushalte verdeutlicht Alessandro Rubino (ebenfalls in nature energy) die potenziell unverhältnismäßigen Auswirkungen unterschiedlicher Tarife auf die Haushaltsbudgets.

Alter Stromzähler – Foto © Solarify

In der ersten Studie werden unter dem Titel „Exploring the impact of network tariffs on household electricity expenditures using load profiles and socio-economic characteristics“ („Untersuchung der Auswirkungen von Netztarifen auf die Stromausgaben der Haushalte anhand von Lastprofilen und sozioökonomischen Merkmalen“) die Auswirkungen von 11 Netztarifszenarien auf die Haushaltsbudgets anhand von realen Lastprofilen von 765 Haushalten bewertet. So werden möglicherweise störende Auswirkungen der Anwendung von Spitzenlasttarifen auf die Budgets der Haushalte untersucht, wenn diese zuvor hauptsächlich für verbrauchte Mengen berechnet wurden. Die Analyse schätzt die Veränderung der Haushaltsnetzausgaben für verschiedene Kombinationen von Energie-, Spitzen- und Fixkosten und kann helfen, Tarife zu entwerfen, die die für den nachhaltigen Betrieb des Netzes erforderlichen Kosten decken.

Johannes Reichl vom Energieinstitut der Universität Linz erklärte in science.ORF: „Derzeit richten sich die Preise sehr stark am Gesamtverbrauch, egal zu welcher Tageszeit der Strom konsumiert wird. Wer einen Teil davon mit einer Solaranlage am Dach herstellt, zahlt entsprechend weniger. Die höchsten Kosten verursachten aber Stromspitzen, wenn am Abend alle zuhause sind, das Licht brennt, die Waschmaschine läuft, gekocht, Computer gespielt und ferngesehen wird, denn der Netzwerkbetreiber müsse die Anlagen so groß auslegen, dass sie mit den Stromspitzen aller Verbraucher zurechtkommen. Zu dieser Tageszeit ist es außerdem meist schon finster, und die Photovoltaik-Anlagen am Dach sind inaktiv.“

Alessandro Rubino hat seinen Artikel mit „Network charges in a low CO2 world“ („Netzentgelte in einer kohlenstoffarmen Welt“) überschrieben: „Die Strommärkte befinden sich in einem raschen und tiefgreifenden Wandel, der durch die gleichzeitige Wirkung neuer digitaler Technologien und die rasante Entwicklung der kleinen, variablen, dezentralen Erzeugung angetrieben wird. Dieses neue Paradigma ermöglicht zwar den Einsatz kohlenstoffarmer Stromerzeugung, stellt aber auch eine wichtige Herausforderung für die Frage dar, wie sich die mit der Wartung und Investition in Netzinfrastrukturen verbundenen Kosten derzeit bei verschiedenen Nutzern amortisieren, die nun sehr unterschiedliche Verbrauchsprofile aufweisen können und dem System Kosten auferlegen können, die nicht immer durch volumetrische Tarife (die in den meisten Ländern überwiegend verwendet werden) reflektiert werden.“

Rubino bezieht sich auf Johannes Reichl von der Johannes Kepler-Universität Linz und seine Kollegen in Österreich. Die bewerten in Nature Energy die Auswirkungen verschiedener Tarifgestaltungen, die aufkommende Verbrauchsmuster widerspiegeln und stellen fest, dass die Auswirkungen unterschiedlicher Netzentgelte entscheidend von verschiedenen Faktoren abhängen, darunter Einkommen und Zusammensetzung des Haushalts. Die Anpassung der Tarifgestaltung an die Netzkosten in einer Prosumer-Ära, in der Haushalte sowohl Verbraucher als auch Erzeuger von Energie sind, könnte daher erhebliche, aber kaum vorhersehbare wirtschaftliche Auswirkungen für Stromkunden haben, die nicht unbedingt mit den Systemkosten verbunden sind.

Konkret zeige die Studie von Reichl & Co, dass die Netzkosten aus wirtschaftlichen, sozialen und demographischen Gründen auf diejenigen übertragen werden könnten, die weniger in der Lage sind, ihr Verhalten anzupassen und/oder in neue Geräte zu investieren, die wirksam auf die neuen Preissignale reagieren können. Die Stromtarife setzen sich in der Regel aus drei Hauptnetzentgelten zusammen:

  1. Energieentgelte (eine Komponente, die auf dem Energiebezug des Verbrauchers basiert), gemessen in € pro kWh;
  2. feste Entgelte (in der Regel zur Deckung von Mess- oder Verwaltungskosten), gemessen in € pro Jahr;
  3. und Spitzenentgelte (eine Komponente, die auf der zugesagten Kapazität des Verbrauchers basiert, d. h. auf dem Spitzenbezug des Verbrauchers über einen bestimmten Zeitraum (monatlich oder jährlich), gemessen in € pro kW.

Reichl und seine Co-Autoren entwerfen 11 verschiedene Tarife, die diese drei Komponenten mit unterschiedlichen Gewichten versehen. Sie verwenden hochfrequente Daten, um eine statische Ex-post-Analyse der Auswirkungen der unterschiedlichen Tarifstrukturen auf die Haushaltsbudgets durchzuführen. Die Studie stellt fest, dass Faktoren wie die Wohnungsgröße, die Anzahl der in jedem Haushalt und Einfamilienhaus lebenden Personen in einem rein volumetrischen Umfeld positiv mit höheren Netzentgelten korreliert sind, verglichen mit einem Referenzszenario, das den in Österreich im Jahr 2016 angewandten Tarif widerspiegelt, bei dem 14% der gesamten Netzkosten über feste Entgelte und der Rest über verbrauchte Mengen gedeckt werden. Die Netzentgelte sinken für dieselben Haushalte deutlich, wenn die Tarife eine signifikante Spitzenkomponente enthalten. Dies erklärt sich durch den typischen Konsum von Einfamilienhaushalten, die tendenziell höhere, aber regelmäßigere (flachere) Nachfrageprofile haben als Einfamilienhaushalte (als Kontrollgruppe genutzt).

Darüber hinaus zeigt die Studie unter Berücksichtigung sozioökonomischer Merkmale der Haushalte, dass Spitzenlasttarife Haushalte mit Kindern (mindestens 1 Kind < 14 Jahre alt), die tendenziell hohe Spitzenlasten aufweisen, stark benachteiligen, während sie Haushalte mit hohem Einkommen, die Speicher- und Photovoltaikanlagen schneller installieren können als Haushalte mit niedrigem Einkommen, überproportional begünstigen. Während sich die Studie auf Österreich konzentriert, kann sie ein allgemeines Problem beleuchten, das in anderen Ländern auftritt, die ebenfalls mit einer steigenden Zahl von Prosumenten zu tun haben, deren Tarife aber auf Volumen- und Spitzenlastgebühren basieren. Diese Tarife begünstigen diejenigen, die in der Lage sind, die Nachfrage und Spitzenlast zu reduzieren, und verlagern die Last der Netz-Fixkosten zunehmend auf diejenigen, die weniger in der Lage sind, auf die Entwicklung der Elektrizitätssysteme zu reagieren.

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