„Wissenschaft, die Politik erreicht, leistet einen Beitrag zu unserer Freiheit“
Ministerin Karliczek habe unmissverständlich deutlich gemacht, dass sie der „Relevanz der Wissenschaft“ in ihrer Amtszeit hohen Stellenwert einräumen werde. Und Huthmacher zitierte Klaus Töpfer: „Wissenschaft, die die Politik erreicht, leistet einen Beitrag zu unserer Freiheit, weil sie uns vor Pfadabhängigkeiten bewahrt.“
Huthmachers Grundsatzfrage lautete dann: „Wie kommen wir vom Wissen zum Handeln? Wie können wir noch besser die Brücke bauen aus der Wissenschaft in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft? Wissen alleine scheint jedenfalls, selbst wenn es präsent ist, noch keine hinreichende Grundlage für entsprechendes Handeln zu sein“.
Es müsse etwas hinzukommen, damit Wissen in Handeln übersetzt werde. Die Erfahrung lehre, dass zum Wissen „‚Verstehen‘, mehr noch aber das ‚Verinnerlichen‘ gehöre, eine Mischung aus Intellekt und emotionalem Begreifen“. Huthmacher fragte: „Warum folgen Menschen der Idee, dass Erneuerbare Energien wichtig für die Zukunft sind und zahlen dafür hohe Milliardensummen, während ein höherer Benzinpreis – mag er noch so wissenschaftlich begründet sein – auf größtmöglichen Widerstand stößt? Das Wissen allein richtet es nicht.“ Wissen werde dann umgesetzt, wenn es von Interessen und eigenen Überzeugungen, seien sie wirtschaftlicher, sozialer oder politischer Art, getragen werde. Wissen werde nur dann relevant, wenn die Botschaft beim Empfänger auf Interesse stoße und dieses Interesse dann auch zu Handlungen führe.
Wir müssten demzufolge verstärkt nachdenken, wie durch Vernetzung, Beteiligung und Mitwirkung gemeinsames Verständnis als Grundlage für wissenschaftsbasiertes Handeln entwickelt werden könne. Reallabore, Cluster, Plattformen, Großprojekte mit Praxispartnern wie die Kopernikus-Projekte würden zur Zeit ausgetestet, um Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Politik so mit der Wissenschaft zu vernetzen, dass über Dialog und Mittun Handlung erwachse.
„Auch Zumutungen an Teile der Wissenschaft“
Huthmacher: „Ich bin mir sehr bewusst, dass sich mit diesen Instrumenten und Dialogformaten auch Zumutungen an Teile der Wissenschaft verbinden, die angestammte Rückzugsräume verlassen müssen. Mir ist auch bewusst, dass die herkömmlichen Belohnungssysteme diesen neuen Erwartungen an die Wissenschaft nur sehr eingeschränkt entsprechen. Andererseits wird immer deutlicher, dass die Flut der Veröffentlichungen ein solches Ausmaß annimmt, dass selbst ein wissenschaftsinterner Diskurs unter der Fülle der angebotenen Texte leidet, geschweige denn, dass diese Papiere noch eine Chance hätten, außerhalb der Wissenschaft gelesen zu werden.“ Deshalb dürften Veröffentlichungen alleine nicht mehr als Leistungsnachweis für exzellente Wissenschaft dienen. Huthmacher nannte das IASS in Potsdam als Vorreiter dafür, wie sich Wissenschaft diesen neuen Anforderungen stellen und nach welchen Kriterien Exzellenz, auf die niemand verzichten wolle, gemessen werden müsse.
Huthmacher lud „herzlichst dazu ein“, mit ihm darüber nachzudenken, in welchen Formaten es besser gelingen könnte, „das qualifizierte Wissen in Politik und Gesellschaft zu tragen“. Sowohl Töpfer als auch Robert Schlögl hätten erneut eine neue Plattform angeregt, um einen engeren Schulterschluss der Beteiligten zu erreichen – aber, so fragte Huthmacher – wie sollte ein solche Plattform aussehen, auf welche Themen sollte sie sich konzentrieren und wer solle mitwirken? Im Koalitionsvertrag ständen bereits viele Plattformen. Eine einzige werde es nicht richten, es werde viele geben müssen, die miteinander kommunizieren müssten – denn sonst gehe das systemische Verständnis verloren.
Die Themenvielfalt – von der Stromwende über die Wärmewende, Energieeffizienz, Stromspeicherung, CO2-Umwandlung, der Elektromobilität oder synthetische Kraftstoffe, Kohleausstieg und Strukturwandel in der Lausitz und dem rheinischen Revier, Nutzung von Übergangsenergie wie Gas – auf all diese Fragen „brauchen wir gute Antworten, deren Komplexität gleichzeitig aber so hoch ist, dass wir ernsthaft darüber nachdenken müssen, wie man diese Fülle in Dialogformaten bearbeitet bekommt“. Zentrales Thema dabei, ob man Komplexität ohne Qualitätseinbuße reduzieren könne – wahrscheinlich die „Quadratur des Kreises und für Wissenschaftler eher ein No Go“.
„Vertrauen in Wissenschaft hohes Gut – wir brauchen Ihren Rat.“
Zudem ließen die Terminkalender von Politikern das Durcharbeiten dickleibiger Texte und ausgiebige Prüfung von Argumenten gar nicht zu. Auch deshalb sei Vertrauen in Wissenschaft auch ein so hohes Gut, das sich Wissenschaft immer wieder erarbeiten müsse. Dabei dürfe der Wissenschaftler nicht Politiker spielen und der Politiker kein Wissenschaftler sein wollen. Bei ESYS sei es daher sehr hilfreich gewesen, dass die Wissenschaft keine politiknahen Empfehlungen gebe, sondern Optionen und deren Konsequenzen einschließlich der ökonomischen und juristischen Rahmenbedingungen aufzeige. Das sei ein Beitrag zu mehr Glaubwürdigkeit. Huthmacher schloss: „Wir brauchen ein funktionierendes Zusammenspiel von Wissenschaft und Politik – wenn wir unsere Demokratie stabil halten wollen. Um nichts Geringeres geht es. Wir müssen also reden! Wir brauchen Ihren Rat.“
Diskussion
Mobilität und damit verbunden das CO2-Thema spielten derzeit in der politischen Diskussion als Hauptthemen eine große Rolle. Technologieoffenheit und Innovationsfreundlichkeit müssten eingefordert werden. Man solle darauf setzen, dass es Technologien gibt, die Optionen eröffnen, aber kritisch. Es werde Schnittmengen mit ESYS geben.
Was tun, wenn Wissenschaft ernsthaft falsche Wege erkennt? Bei Optionenmodell bleiben, aber im Ernstfall Sprache anschärfen, um deutlich zu machen, dass etwas schief laufe. Missbrauchsgefahr sei aber gegeben. Aber: „Wie schaffen wir es, für große politische Vorhaben Identifikationsmöglichkeiten anzubieten? Momentan ist das Politik-Handwerk nüchtern, aber die Leute wollen, wenn nicht Visionen, so doch Identifikationsangebote.“ Huthmacher nannte Carbon2Chem (solarify.eu/co2-als-rohstoff-carbon2chem) als Beispiel, dieses Projekt wäre aus der Wissenschaft allein nicht gekommen. Der Kern sei gewesen, dass man in Deutschland weiter Stahl produzieren wollte. „Was haben wir bisher gemacht? Wir sind Sturm gelaufen gegen Vorschriften aus Brüssel; keiner ist auf die Idee gekommen, zu fragen: Was kann ich durch Innovation verändern? Dann ist das BMBF auf die Beteiligten zugegangen, und erst als alle an einem Tisch saßen, kamen die Ideen.“
Man müsse über Incentives u n d Regulierung anstoßen. Sendungsbewusstsein? Deutscher Sonderweg? Europäischer Kontext? Huthmacher glaubt, „dass die diesbezügliche Rhetorik der Regierung mittlerweile stimmt“; seit Macron ergäben sich Änderungen: „Die rennen uns die Tür ein“, er zeigte sich aber zurückhaltend, wie weit sich das konkret auswirken werde – jedenfalls sehe er eine andere Bereitschaft, zusammenzuarbeiten.
->Quelle: Eigene Aufzeichnungen Gerhard Hofmann (auch Fotos)