Kommentar von Claudia Kemfert, DIW
„Es ist schon bemerkenswert, wie offen derzeit vermeintliche Kriege ausgetragen werden. Da wäre zunächst der ‚Handelskrieg‘ zwischen den USA und China und möglicherweise bald auch der Europäischen Union. Und jetzt kommt ganz offenbar noch ein ‚Energiekrieg‘ dazu, den zumindest US-Präsident Donald Trump direkt mit dem Handelskrieg zu verknüpfen scheint. Offenbar verlangt er Deutschland ab, beim ohnehin schon umstrittenen Gas-Pipeline-Projekt Nord Stream 2 den Stecker zu ziehen, will man Sanktionen vermeiden und einen Handelskrieg umgehen.
Für die USA geht es dabei einzig und allein darum, das in den USA geförderte Öl beziehungsweise gefrackte Gas zu höchstmöglichen Preisen zu verkaufen. Die Konkurrenten – in dem Fall Russland, von wo aus das Gas über Nord Stream 2 in die Europäische Union fließen würde – sollen ausgestochen werden. Schlimm genug aus Trump-Sicht, dass derzeit auch Russland von den steigenden Ölpreisen profitiert. Deshalb soll Putin offenbar zumindest auf dem Gasmarkt ausgebremst werden und Nord Stream 2 dran glauben.
Zugegeben: Die Gas-Pipeline von Russland nach Deutschland ist durchaus zu kritisieren: Sie ist ökonomisch fragwürdig, energiewirtschaftlich und vor allem politisch unsinnig. Schon der erste Strang der Pipeline war sehr teuer und zu weiten Teilen nicht ausgelastet. Es gibt zahlreiche Transportrouten, die stattdessen genutzt werden könnten, nicht nur die bestehende Pipeline durch die Ukraine. Auch Flüssiggas bekommt einen immer höheren Stellenwert. Entgegen der Prognosen der Befürworterinnen und Befürworter der Pipeline wird es keine „Gaslücke“ geben, im Gegenteil. Es gibt derzeit ein Überangebot an Gas auf den internationalen Märkten, ausgelöst nicht zuletzt durch das US-amerikanische Fracking-Gas. Viele Länder, auch in Europa, setzen auf eine Diversifikation ihrer Gasimporte, vor allem durch Flüssiggas (Liquified Natural Gas, LNG), das flexibel per Schiff transportiert werden kann.
Nur Deutschland verzichtet auf den Bau eines LNG-Terminals und setzt stattdessen auf die Erweiterung der Nord-Stream-Pipeline. Das ist eine teure Strategie und wird die Verbraucherpreise nach oben treiben – auch wenn von den Pipelinebetreibern natürlich das Gegenteil behauptet wird. Europas Gasbedarf wird abnehmen, wenn die Klimaziele umgesetzt werden. Zwar wird es eine Übergangszeit geben, in der Gas sowohl für die Stromerzeugung als auch für die Wärmeherstellung und als Treibstoff für die Mobilität eine Rolle spielen dürfte. Nach und nach wird es aber durch klimaneutrale Energien ersetzt werden.
Erneuerbare Energien werden immer preiswerter, ihr Anteil am Energiemix wird weiter zunehmen. Gas müsste in diesem Fall auch nicht als „Brückenenergieträger“ herhalten.
Nord Stream 2 hingegen vermindert die Marktflexibilität und vergrößert gleichzeitig die Abhängigkeit von Gaslieferungen aus Russland. Zudem bindet man sich auf Jahrzehnte an vergleichsweise teure Gasimporte. Dies widerspricht den Zielen der Europäischen Energieunion. Der Umbau des Energie- und Stromsystems auf erneuerbare Energien wird verzögert. Sowohl ökonomisch als auch politisch ist Nord Stream 2 unnötig.
Deutschland täte gut daran, die Energiewende statt teure und unsinnige Pipelineprojekte zu forcieren. Und zwar mit einem konsequenten Ausbau der erneuerbaren Energien hierzulande und mit einem Fokus auf Energiesparen. Dann wäre Gas als Energieträger schon bald überflüssig – und Nord Stream 2 erst recht. Das beste Mittel gegen fossile Energiekriege, egal wer sie anzettelt, ist also die Energiewende.
Prof. Dr. Claudia Kemfert ist Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am DIW Berlin. Der Kommentar gibt die Meinung der Autorin wieder.
->Quelle: DIW Wochenbericht Nr. 21/2018 DOI: https://doi.org/10.18723/diw_wb:2018-21-3