Windräder müssen stillstehen, während Atomkraftwerke weiter laufen
Mehr als die Hälfte des Jahres 2017 durften norddeutsche Windkraftanlagen und Solaranlagen keinen Strom produzieren, während Atomkraftwerke in ihrer Nähe weiter liefen. Dies ergibt eine aktuelle Untersuchung des Analyseinstituts Energy Brainpool im Auftrag des Ökoenergieanbieters Greenpeace Energy.
„Eigentlich müssten laut gesetzlichem Einspeisevorrang für erneuerbare Energien bei Netzengpässen zunächst die AKW herunterfahren“, sagt Marcel Keiffenheim, Leiter Politik und Kommunikation bei Greenpeace Energy. In 4.872 Stunden des vergangenen Jahres seien jedoch nicht sie, sondern Windparks und Solarkraftwerke in ihrer Nähe ausgebremst worden, wie die Experten von Energy Brainpool festgestellt hätten. Betroffen seien Hunderte erneuerbare Energien-Anlagen mit zusammen durchschnittlich 455 Megawatt Leistung. Dadurch gingen 2.175 Gigawattstunden Ökostrom verloren – für die den Betreibern Entschädigung zustehe, so Keiffenheim.
Die Kosten dieser Abregelungen von erneuerbaren Energien bei gleichzeitig ungebremster Atomstrom-Produktion dürften sich laut Greenpeace Energy allein 2017 auf knapp 200 Millionen Euro belaufen. Der Wert ergibt sich aus Hochrechnungen der entsprechenden Monitoring-Berichte der Bundesnetzagentur für die Quartale 1 bis 3 des vergangenen Jahres. Zumindest ein Teil der Entschädigungszahlungen an die Betreiber der Ökostromanlagen hätten sich vermeiden lassen, wenn stattdessen AKW heruntergefahren worden wären.
Anlass für die Untersuchung: Bis Ende Juni wird die Novelle des Atomgesetzes im Bundestag beraten. Darin soll unter anderem geregelt werden, ob sogenannte Reststrommengen von Atomkraftwerken, die nicht mehr in Betrieb sind, auf andere Meiler übertragen werden dürfen, um diese länger laufen zu lassen.
„Der Gesetzgeber muss dringend dafür sorgen, dass künftig keine Strommengen auf AKW im Netzausbaugebiet übertragen werden dürfen“, fordert Keiffenheim: „Andernfalls verschärfen sich die Stromengpässe im Norden und vor allem Ökostromanlagen müssten noch öfter abgeschaltet und entschädigt werden.“
[note Das Netzausbaugebiet entlang der norddeutschen Küstenregionen wurde 2017 von der Bundesnetzagentur festgelegt. Der Zubau erneuerbarer Energien in diesem Gebiet ist aufgrund fehlender Netzinfrastruktur dort nur eingeschränkt möglich. Im Netzausbaugebiet befinden sich außerdem die beiden Atomkraftwerke Brokdorf in Schleswig-Holstein und Emsland in Niedersachsen. Ob ein Herunterfahren dieser AKW in sämtlichen dokumentierten Fällen ermöglicht hätte, dass Wind- und Solaranlagen ohne Netzprobleme hätten weiterlaufen können, ist aus der Untersuchung von Energy Brainpool nicht ersichtlich]
Dies stelle aber nicht den prinzipiellen Zusammenhang in Frage, dass die AKW Brokdorf und Emsland immer wieder Ökoenergie aus den Stromleitungen drängten, so Energy Brainpool-Analyst Fabian Huneke: „Strukturell trägt die Lage der beiden Kraftwerke zu Transportproblemen im Netz bei, da beide nördlich des Netzengpasses liegen.“
Am 13.06.2018 befasst sich der Umweltausschuss im Bundestag mit der Atomgesetznovelle. Mit der Novelle will die Politik ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahr 2016 umsetzen. Das Atomgesetz setzt einen konkreten Termin für das Betriebsende der AKW fest und legt darüber hinaus die maximale Menge an Elektrizität fest, die in den Kraftwerken bis zum Erlöschen der Betriebsberechtigung noch produziert werden darf.
„Es wäre ein Skandal, wenn ausgerechnet die umweltfreundlichen Erneuerbaren auf Jahre blockiert und die Verbraucher zur Kasse gebeten würden, nur um Atomkonzernen lukrative Stromtransfers zu ermöglichen“, sagt Marcel Keiffenheim. „Die Gesetzesnovelle muss dieser absurden Situation einen Riegel vorschieben“, fordert er.
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