Svenja Schulzes Rede zur Eröffnung des Petersberger Klimadialogs IX
Die Bundesumweltministerin eröffnete am 18.06.2018 den neunten Petersberger Klimadialog mit einer Rede: Sie bekannte, dass Deutschland die selbst gesteckten Ziele für 2020 verfehlen werde, und appellierte an alle Konferenzteilnehmer, „den Teamgeist zu stärken“, damit man auf dem Weg nach Kattowitz „erfolgreich“ bleibe. Das Ziel Deutschlands sei es gewesen und sei es, „einer der Vorreiter im internationalen Klimaschutz zu sein – an dieser Aufgabe, das verspreche ich Ihnen, werde ich als deutsche Umweltministerin mit aller Kraft arbeiten“, so Schulze. Solarify dokumentiert.
Exzellenzen, Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, Ihnen allen ein herzliches Willkommen zum 9. Petersberger Klimadialog in Berlin.
Ich habe bei der Begrüßung gestern Abend darüber gesprochen, dass Klimaschutz ein Mannschaftsspiel sein muss. Jeder muss sein Bestes geben, damit alle gemeinsam erfolgreich sein können. Wir sind das Team, das dem Klimawandel heute erfolgreich die Stirn bieten muss. Wir sind hier aus ganz verschiedenen Staaten, wohlhabenden und weniger wohlhabenden, große und kleine Staaten, vom Polarkreis bis zur Karibik. Lassen Sie uns den Teamgeist stärken, damit wir auf dem Weg nach Kattowitz erfolgreich bleiben!
Lieber Michal Kurtyka, „Kattowitz“ ist das Stichwort. Ich freue mich sehr, dass Sie gemeinsam mit mir zu dieser Konferenz eingeladen haben.
Wir spüren, wie Klimaschutz immer konkreter wird. Das heißt nicht, dass es einfacher wird, eher im Gegenteil. Aber das Pariser Übereinkommen wird immer mehr zur Realität. Auch wir in Deutschland spüren das. Und es ist bitter für mich, Ihnen sagen zu müssen, dass wir unsere selbst gesteckten Ziele für 2020 verfehlen werden. Ich meine: Das Vertrauen, das in Paris zum Erfolg geführt hat, darf niemand verspielen. Deshalb haben wir jetzt jede Menge zu tun. Es geht darum, das internationale Vertrauen zu festigen und die Stärke der multilateralen Zusammenarbeit im Klimaschutz zu demonstrieren. Unser Ziel in Deutschland war und ist es, einer der Vorreiter im internationalen Klimaschutz zu sein – an dieser Aufgabe, das verspreche ich Ihnen, werde ich als deutsche Umweltministerin mit aller Kraft arbeiten.
Dabei gilt es auch voneinander zu lernen, von den Erfolgen wie von den Problemen. Interessant am Beispiel meines Landes ist, dass wir sehr große Erfolge beim Ausbau der erneuerbaren Energien haben. 36 Prozent unseres Stroms stammt inzwischen aus erneuerbaren Energien. Und wir haben gerade beschlossen, dass wir bereits 2030 bei 65 Prozent sein wollen. Auf der anderen Seite – und das ist die Kehrseite – haben wir uns nicht im gleichen Maße um die Abkehr von der alten kohlebasierten Stromversorgung gekümmert. Weil es eben häufig schwieriger ist, sich vom Alten zu trennen als Neues aufzubauen. Und das hängt ganz eng mit dem Thema „Just Transition“, mit dem wir uns bei diesem Petersberger Klimadialog besonders intensiv befassen werden, zusammen.
Klimaschutzpolitik kommt jetzt in vielen Bereichen des Alltags an. In der Energie, in der Industrie, in der Mobilität, in unseren Städten oder in der Landwirtschaft. Was wir jetzt noch brauchen, ist Vertrauen in die Zukunft. Das ist natürlich leichter gesagt als getan. Aber da müssen wir in unseren Gesellschaften wieder hinkommen. Doch woher kommt Vertrauen in die Zukunft? Vertrauen erfordert zunächst einmal, zu wissen, was andere tun und wie man im Vergleich dazu selber dasteht. Regeln zur Klimafinanzierung, insbesondere auch vorausschauende Informationen zur Klimafinanzierung, schaffen ebenfalls Transparenz und eine gemeinsame Grundlage.
Vertrauen und Verbindlichkeit
Ein verbindliches Regelwerk wird uns dabei sicher helfen. Vertrauen und Verbindlichkeit brauchen wir auch auf nationaler Ebene. In Deutschland haben wir mit dem Klimaschutzplan 2050 unsere Langfriststrategie, um sicherzustellen, dass wir dann ein weitgehend treibhausgasneutrales Land sind. Ich glaube, wir sind mittlerweile an einem so konkreten Punkt im Leben der Menschen angelangt, an dem der Klimaschutz auch von anderen großen gesellschaftlichen Prozessen lernen kann: Denn große Veränderungen laufen nicht isoliert, man kann den Weg nicht mit Scheuklappen gehen. Der Klimadiskurs war zu Beginn – vielleicht zwangsläufig – eine eher akademische Diskussion. Aber jetzt, wo wir im Alltag der Menschen angekommen sind, vermischt er sich mit anderem gesellschaftlichen Handeln. Und wir kommen mit vielen Gruppen ins Gespräch.
Dabei scheint mir eines klar zu sein: Die wenigsten Menschen wählen ihre Regierungen alleine dafür, dass sie besonders ehrgeizigen Klimaschutz versprechen. Wir sind als Regierende verantwortlich für Frieden, Stabilität und den Wohlstand unserer Nationen, für die Teilhabe an Arbeit, Bildung und Sicherheit. Ja. Richtig ist aber auch: All das wird es in Zukunft nicht ohne wirksamen Klimaschutz geben.
Für alles, was wir vorhaben, brauchen wir handlungsfähige Staaten, leistungsfähige Volkswirtschaften und eine breite internationale Zusammenarbeit. Und mit der internationalen Zusammenarbeit – dem Multilateralismus – ist es wie mit dem Privatleben: Abschottung nützt niemandem. Der einzige Weg, Freunde zu haben, ist Freund zu sein, hat Aristoteles vor fast zweieinhalbtausend Jahren gesagt.
Das sollten wir immer beherzigen, denn die internationale Zusammenarbeit ist so ungeheuer wichtig bei der Bewältigung der großen Zukunftsaufgaben dieser Welt. Niemand wird das alleine können, niemand wird auf Dauer zu Lasten anderer nur an die Interessen seines eigenen Landes denken können und niemand wird sich in Wohlstand und Frieden abschotten können, wenn es in immer mehr Regionen dieser Welt den Menschen schlecht geht. Sei es, weil es regionale Konflikte, Bürgerkriege, Dürren, Überschwemmungen oder anderes Elend gibt. Diese Welt braucht nicht mehr Gräben und Mauern, sondern vielmehr Brücken der Gemeinsamkeit. Es geht nicht um „ich, ich, ich“ – sondern um ein immer stärker werdendes „Wir“! Und Paris steht genau für diesen Geist! Dafür, dass die Weltgemeinschaft gemeinsam etwas anpacken und lösen kann. Wir wollen die Pariser Erfolgsgeschichte fortsetzen, indem wir das Abkommen in konkretes Handeln überführen.
An den vielen nationalen Klimaschutzzielen (NDCs) und nationalen Klimaplänen wird deutlich: Überall auf der Welt arbeiten die Länder daran, ihre Wirtschaft klimafreundlich auszurichten. Die Anstrengungen reichen aber noch nicht aus. Statt deutlich unter 2 Grad befinden wir uns mit den derzeitig beschlossenen Politiken weltweit immer noch auf einem 3-Grad-Pfad. Das ist schon besser als vor Paris, als wir auf eine 5-Grad-Welt oder mehr zusteuerten. Laut IPCC bedroht alleine der Meeresspiegelanstieg bis zum Jahr 2100 die Siedlungsräume von hunderten Millionen von Menschen, am stärksten betroffen sind demnach Ost-, Südost- und Südasien. Bliebe es beim bisher erreichten Klimaschutzpfad würden – ohne Anpassungsmaßnahmen – bis 2100 weltweit mehrere hundert Millionen Menschen pro Jahr von Überflutungen betroffen. Jeder kann doch sehen, was das für ein enormes Leid und zudem für ein Konfliktpotenzial in der Welt mit sich bringen würde.
Mit dem Talanoa-Dialog haben wir ein gutes Instrument, um eine ehrliche Bilanz zu ziehen und um auf den in Paris beschlossenen Pfad zu kommen. Ich wünsche mir, dass von dem politischen Teil des Talanoa-Dialogs auf der COP 24 das deutliche Signal ausgeht, dass alle Länder bereit sind, ihre Klimaschutzbeiträge dahingehend zu überprüfen.
Öffentliche Klimafinanzierung bis 2020 auf 4 Milliarden verdoppelt
In der internationalen Politik rückt die Umweltpolitik immer mehr in den Mittelpunkt und muss damit auch mehr soziale Verantwortung tragen. Ich bin fest davon überzeugt: Nur ein sozial gerechter Wandel wird erfolgreich sein. Das gilt für Deutschland genauso wie für andere Länder. Und es gilt zwischen Ländern.
Unterstützung von Entwicklungsländern und Klimafinanzierung sind integraler Bestandteil des Pariser Arbeitsprogramms. Ich sage noch einmal sehr deutlich: Wir stehen klar zum gemeinsamen Ziel der Industrieländer, ab 2020 jährlich 100 Milliarden US-Dollar für Klimaschutzmaßnahmen in Entwicklungsländern zu mobilisieren. In diesem Kontext hat Deutschland angekündigt, die deutsche öffentliche Klimafinanzierung aus Haushaltsmitteln bis 2020 auf insgesamt 4 Milliarden Euro zu verdoppeln. Ich kann Ihnen heute sagen, dass wir diese Verdopplung auch erreichen werden.
Zugleich möchte ich darauf hinweisen, wie groß auch die Chancen sind, die vor uns liegen. Zum Beispiel bei den Umwelttechnologien: In einer Studie für mein Ministerium wurde ein weltweites dynamisches Wachstum von jährlich knapp sieben Prozent prognostiziert. Das gibt es in fast keiner anderen Branche. Umwelttechnologien sind ein Paradebeispiel dafür, wie sich Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit zusammenführen lassen. Es ist eine win-win Situation, wenn neue Arbeitsplätze dort entstehen, wo gleichzeitig etwas für die Nachhaltigkeit getan wird.
Umwelttechnologien können helfen, die Grundbedürfnisse einer wachsenden Zahl von Menschen zu erfüllen und dabei unsere Lebensräume und unseren Planeten zu schützen. Eineinhalb Millionen Menschen sind hier im GreenTech-Bereich beschäftigt – in der Mehrzahl alles sehr qualifizierte Jobs. Diese Zahlen sind ein großer Ansporn, diesen Weg konsequent weiter zu gehen. Aber Chancen sind bekanntlich wie Sonnenaufgänge: Wer zu lange schläft, verpasst sie.
Zu diesem Weg gehören auch die richtigen Rahmenbedingungen für Investitionen in Energie- und Infrastruktur. Wir haben während unserer G20-Präsidentschaft gemeinsam mit der OECD in der Studie „Investing in Climate, Investing in Growth“ gezeigt, dass durch Investitionen in Klimaschutz auch global zusätzliches Wachstum möglich ist. Dies führen wir nun fort: Gemeinsam mit OECD, UNEP und Weltbank unter dem Titel „Financing Climate Futures – Rethinking Infrastructure“.
Dabei steht dieses Mal die Frage im Vordergrund, welche Innovationen die Welt von 2040 prägen werden und wie die globalen Finanzflüsse so umgelenkt werden können, dass die Infrastrukturinvestitionen im Einklang mit den Zielen von Paris stehen. Ich meine, die Vorteile einer grünen Modernisierung sollten bei möglichst vielen Menschen ankommen, gerade auch bei Menschen mit geringen Einkommen. Klimaschutz darf kein Elitenprojekt sein. Ich plädiere dafür, dass sich der Klimaschutz zu einer Art Volkssport entwickelt. Zu einer Bewegung, an der sich viele beteiligen und von der eben auch viele profitieren.
Wettbewerb der Ideen
Der Klimawandel sollte einen Wettbewerb der Ideen auslösen, eine Lust am Denken und an der Veränderung als gestalteter Prozess. Nur wenn dieser Prozess als ermutigend wahrgenommen wird, werden ihn auch immer mehr Menschen akzeptieren. Akzeptanz ist für das, was wir erreichen wollen, existenziell nötig. Seien wir optimistisch. Dann kann es uns gelingen, die Menschen zum Mitmachen zu bewegen. Denn natürlich zieht jeder Strukturwandel umfangreiche Veränderungen nach sich. Wir alle tun gut daran, darauf zu achten, dass es nicht zu unkontrollierten Brüchen kommt – sondern zu einem geordneten Wandel.
Der Begriff „just transition“ bringt diese Strategie sehr schön auf den Punkt. Er beschreibt in meinen Augen den sozial gestalteten Umbau der fossilen Wirtschaft in eine nachhaltigere. Nicht nur im Energiesektor, sondern in allen großen gesellschaftlichen Bereichen – in der Industrie, in der Mobilität, in der Landwirtschaft, im Baubereich.Ich plädiere für einen Veränderungsprozess, der einerseits die richtigen klimapolitischen Weichen stellt und andererseits die grundlegenden Interessen der Beschäftigten und ihrer Familien berücksichtigt. Das umfasst auch die Arbeitsperspektiven der Kinder und Enkel derjenigen, die heute in den betroffenen Regionen leben.
Deshalb brauchen wir einen breiten Dialog und neue Bündnisse – mit den Menschen vor Ort, mit den Unternehmen und ihren Beschäftigten, mit Schulen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen, mit nachhaltigen Investoren (green investors) und mit Gründerzentren, mit Gewerkschaften, Umwelt- und Sozialverbänden sowie zivilgesellschaftlichen Initiativen. Es geht um einen umfassenden gesellschaftspolitischen Diskurs, wie wir ihn in Deutschland beim Ausstieg aus der Atomenergie und beim Ende des Steinkohlebergbaus bereits erfolgreich erprobt haben.
Die Stellen, an denen ein besonderes Augenmerk auf einen gerechten Übergang erforderlich ist, sind in unseren Ländern sicherlich unterschiedlich. In Deutschland ist der Ausstieg aus der Kohleverstromung die wohl größte Herausforderung. Das ist alles andere als trivial. Hier gehen über 300 Jahre stolze Braunkohle-Bergbau-Tradition absehbar zu Ende. Diese Geschichte hat Menschen und Regionen geprägt. Die ganz konkrete Frage, die sich nach dem Paris-Abkommen stellt, lautet jetzt: Wie soll es in den Braunkohlerevieren weitergehen?
Als Bundesregierung haben wir daher eine Strukturwandel-Kommission eingesetzt, in die wir viele der eben genannten Akteure eingebunden haben. Sie wird in den nächsten Monaten mit allen relevanten Akteuren eine Roadmap entwickeln, wie der für Deutschland wichtige Baustein unserer „just transition“, nämlich der Kohleausstieg, zeitlich verlässlich, sozial gerecht und ökonomisch verantwortlich gestaltet werden kann. Wir werden mit der Kommission dafür sorgen, dass der Ausstieg aus der Kohlenutzung mit einer guten Regionalentwicklung verbunden ist. Es muss ein sozialverträglicher Wandel sein.
Und das geht nur mit neuen Technologien und neuen Perspektiven für die betroffenen Regionen. Die Kommission wird ein Enddatum für die Kohlenutzung festlegen. Das hat für Deutschland eine nahezu historische Dimension. Ich hoffe Sie sehen, dass es mir ernst damit ist, schnell auch im eigenen Land den Anspruch der „High-Ambition-Coalition“, der wir uns vor Paris angeschlossen haben, einzulösen. Technische Innovationen sind dabei zwar eine Grundvoraussetzung. Sie allein werden aber nicht reichen. Wir benötigen darüber hinaus ebenso gesellschaftliche und kulturelle Innovationen für einen Zukunftspakt über Klimaschutz und erneuerbare Energien.
Das Konzept einer „just transition“ bietet den Rahmen dafür, uns selbst immer wieder die Frage zu stellen, wie wir Nachhaltigkeit nicht nur klimapolitisch und ökologisch, sondern auch sozial verantwortlich und gerecht gestalten. In diesem Sinne kann und sollte „just transition“ der Maßstab für eine moderne Klimapolitik sein. In den nächsten Jahren stehen in vielen Staaten dieser Erde neben der Energiewirtschaft ähnlich große Veränderungen in anderen Bereichen an, etwa in der Mobilitätspolitik.
Als Kompass gilt auch dort: Wir brauchen einen sozial gerechten Wandel, eine „just transition“. Wir dürfen keine Angst vor Veränderungen haben. Wir dürfen uns vor Problemen und schwierigen Fragen nicht drücken. Im Gegenteil! Wir brauchen Mut bei der gemeinsamen Gestaltung der Zukunft. Lassen Sie uns die Zeit hier auf diesem Petersberger Klimadialog für einen ehrlichen und offenen Austausch nutzen. Lassen Sie uns bei allen Herausforderungen des politischen Tagesgeschäfts die langfristige Perspektive nicht aus den Augen verlieren. Dann werden wir den Weg für ein verbindliches Regelwerk in Kattowitz bereiten, das uns im Klimaschutz weiterbringt.
->Quelle: www.bmu.de/RE7945