Alte Mühle mahlt Strom

Revolution auf dem Energiemarkt

Eine alte Mühle „im Niemandsland zwischen Hamburg und Bremen“ mahlt kein Mehl mehr, sondern erzeugt 100.000 Kilowattstunden Strom im Jahr. Das historische Kleinod ist seit kurzem „Teil eines Masterplans für eine komplett neue Stromversorgung“, schreibt Stefan Schultz auf SPIEGEL-Online. Der „Masterplan“ ist eigentlich ein Strom-Marktplatz – ein Netzwerk ohne die EVU-Riesen, eine Ausgründung des Ökostromanbieters Lichtblick und heißt Enyway.

Jan Müller-Scheeßel heißt nicht nur so, er ist Müller, und das in Scheeßel an der Wümme: „Nach meinem Studium der Volkswirtschaft übernahm ich in meinem Heimatort Scheeßel den landwirtschaftlichen Betrieb meines Vaters und damit auch die damals noch verpachtete Wassermühle“, und er baute die Mehlmühle um in eine Strommühle. Mit den Einnahmen aus dem Stromverkauf deckt er Teil der Sanierungskosten der seit mehr als 500 Jahren in Familienhand befindlichen Mühle. „Gerne zeige ich meinen Stromkäufern die überaus interessante historische Technik auch persönlich.“

Der Strom kommt aus zwei alten vom Mühlrad angetrieben Generatoren. Im Jahr erzeugt die Mühle damit rund 100.000 Kilowattstunden Strom, und versorgt damit 25 Vierpersonenhaushalte. Seit Anfang Juni verkauft Müller-Scheeßel seinen Mühlenstrom über Enyway.

[note Informationen zur Anlage

  • Ein Teil der Leistung wird für den Eigenbedarf benötigt
  • Installierte Leistung: 52 KW
  • Zwei Francis-Turbinen aus den Jahren 1926 und 1929, Schluckvermögen insgesamt 4,5 Kubikmeter pro Sekunde, Gefälle bis 2,10 Meter
  • Diese Wasserkraft-Anlage deckt bis zu 42% deines Strombedarfs (Deckungsanteil). Für deinen restlichen Strombedarf kauft Jan für dich Ökostrom aus Wasserkraft.
  • Holz-Eisen Getriebe]

„Visionäre mit Bodenhaftung“ nennen sich die Gründer stolz auf der Internetseite von Enyway. Oder auch „die Revolution des Strommarkts“.Enyway-Gründer Heiko von Tschischwitz hat schon einem die Stromwelt durcheinandergebracht: Mit der Gründung des ersten Ökostromversorgers Lichtblick. Jetzt will er erneut „die Welt verändern“. Das sei gar nicht so verrückt, wie es klinge – nur ein neuer Weg für Strom, einfach und direkt. Enyway will „aus dem anonymen Strommarkt einen Marktplatz machen, auf dem Menschen miteinander ins Geschäft kommen“. Jeder bestimme selbst, von wem er Strom beziehe – „ob von Jan mit seinem Windrad an der Nordsee, Luise mit ihrer Solaranlage in Brandenburg oder Friedrich mit seinem Wasserkraftwerk im Allgäu“. Einfach per Mausklick.

[note „Die Fakten auf einen Blick

  • Enyway ist kein Stromanbieter, sondern ein Marktplatz.
  • Auf enyway kaufst du Strom von Menschen, die ihn erzeugen.
  • Enyway ermöglicht es Stromerzeugern, ihren Strom selbst zu verkaufen.
  • Enyway kümmert sich um den ganzen Aufwand: wir regeln deinen Wechsel als Kunde und unterstützen dich als Erzeuger beim Stromverkauf.
  • Bei enyway findest du ausschließlich sauberen Strom aus Sonne, Wind, Wasser und Biomasse.“]

Neue Technologien wie Blockchain oder künstliche Intelligenz eröffnen viele weitere Möglichkeiten. Enyway mit inzwischen 50 Mitarbeitern schaffe die Voraussetzung für eine direkte Strombeziehung.

Die Enyway-Gründer versprechen sich Zulauf, wenn bald die ersten Einspeisevergütungen auslaufen werden. Der Bundesverband Erneuerbare Energien schätzt, dass allein bis 2025 bis zu 18 GW Wind-, Solar- und Biogasanlagen keine feste Vergütung mehr bekommen. „Hunderttausende kleine Ökostromproduzenten müssen ihre Elektrizität dann anders verkaufen. Müller-Scheeßel ist einer davon“ (SPIEGEL).
[note Der Strom wird über das vorhandene Stromnetz geliefert. Der jeweilige Erzeuger speist seinen Strom ins Netz. Und die Verbraucher/Kunden entnehmen in dem Netz. Die Kunden bezahlen ihren kompletten Stromverbrauch bei ihrem Stromverkäufer. Enyway sorge dafür, dass das exakt zugeordnet werde und der Stromverkäufer seinen Strom nur einmal verkaufen könne. Herkömmliche Stromanbieter seien „damit komplett überflüssig“.]

Ummelden ist wie bisher schon ganz einfach: Enyway übernimmt den Wechselservice. Ist der Wunsch-Stromverkäufer gefunden, gibt man die erforderlichen Daten an – und fertig. Übrigens sei ein Stromanbieter-Wechsel gesetzlich geregelt und bedeute stets lückenlose Stromversorgung.
SPIEGEL-Online: „Als Müller-Scheeßel seinen Strom zum Fixpreis ins Stromnetz speiste, verdiente er im selben Zeitraum rund 7.600 Euro. Durch den Verkauf über Enyway erhofft er sich bis zu 2.000 Euro mehr. Das zusätzliche Geld will er in die Mühle stecken.“ Und dann kommt eine Vision: Wenn immer mehr Menschen so dächten, „gäbe es im Energiesektor bald wohl eine Revolution. Gewaltige Geldströme würden umgelenkt, weg von ein paar Großfirmen, hin zu Millionen von Menschen mit je ein paar Solarzellen auf dem Dach oder mit ein paar Windrädern auf dem Acker. Die Konzerne würden die Kontrolle verlieren, die Bürger die Macht übernehmen.“ Man kann gespannt sein, wie die so bedrohten EVU reagieren werden, wenn die Bedrohung bei ihnen ankommt.

->Quellen: