Agora-Studie: Koalitionsziel für Strom aus Erneuerbaren Energien realisierbar
Deutschland kann den Anteil Erneuerbarer Energien am Stromverbrauch bis 2030 von derzeit rund 36 Prozent auf 65 Prozent erhöhen und damit dieses im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD gesetzte Ziel erreichen. Mit einem Bündel von Maßnahmen können die Stromnetze in den kommenden zwölf Jahren soweit modernisiert werden, dass sie die zusätzlichen Mengen aufnehmen und transportieren können.
Weil Erneuerbare Energien immer kostengünstiger werden und Strom aus den noch teuren Anlagen der Pionierzeit nach 20 Jahren nicht mehr über die EEG-Umlage vergütet wird, sind die Kosten für den beschleunigten Zubau sehr moderat. Das zeigt die Analyse von Agora Energiewende, die am 06.07.2018 veröffentlicht wurde. Sie betrachtet in zwei Teilen sowohl den notwendigen Zubau von Wind- und Solaranlagen, damit das 65-Prozent-Ziel eingehalten wird, als auch die Maßnahmen, die zur Integration des Stroms aus Erneuerbaren Energien in die Stromnetze ergriffen werden müssen.
Zusätzliche Kosten sind sehr gering
Der erste Teil der Analyse befasst sich mit der Frage, wie groß der jährliche Zubau an Erneuerbaren-Energien-Anlagen sein muss, um den von der Koalition aus CDU/CSU und SPD angestrebten Anteil von 65 Prozent Erneuerbare Energien bis 2030 zu erreichen und welche Kosten damit verbunden sein werden: Bei einem Stromverbrauch auf heutigem Niveau sind dazu jährliche Neuinstallationen von mindestens vier Gigawatt Windkraft an Land und fünf Gigawatt Photovoltaik nötig. Bei der Windkraft entspricht das einem Zubau, der etwas unter dem Niveau in den vergangenen Jahren liegt, bei der Photovoltaik bedeutet ein Zubau von fünf Gigawatt hingegen eine Verdoppelung. Zusätzlich zu diesen Technologien sollte zudem das Ziel für die installierte Leistung von Windkraft auf See von 15 auf 20 Gigawatt im Jahr 2030 erhöht werden – und damit auf das ursprüngliche Zielniveau. Der Zubau Erneuerbarer Energien lässt sich zudem durch ambitionierte Energieeffizienzmaßnahmen deutlich verringern, was zusätzliche Spielräume bei der Umsetzung der Energiewende eröffnet.
Die zusätzlichen Kosten, die mit dem höheren Erneuerbaren-Ziel einhergehen, sind sehr gering. Bis 2030 ist im Mittel eine Steigerung der EEG-Umlage um 0,4 Cent pro Kilowattstunde gegenüber dem EEG 2017 zu erwarten, das nur einen Anteil von etwa 50 Prozent Erneuerbare Energien am Stromverbrauch im Jahr 2030 vorsah.
Zwölf Maßnahmen vorgestellt
„Erneuerbare Energien sind nicht nur immer kostengünstiger geworden, neue Anlagen produzieren inzwischen auch deutlich billiger Strom als neue konventionelle Kraftwerke. Andere Länder haben das erkannt und bauen inzwischen Erneuerbare Energien aggressiv zu. Denn mit der Umstellung auf Erneuerbare Energien ist nicht nur Klimaschutz verbunden, es geht dabei auch um eine international wettbewerbsfähige Stromerzeugung. Diese Denke wünsche ich mir auch wieder für Deutschland“, sagt Dr. Patrick Graichen, Direktor von Agora Energiewende.
Im zweiten Teil listet die Studie zwölf Maßnahmen zur künftigen Integration der Erneuerbaren Energien in die Stromnetze von 2018 bis 2030 auf. Die meisten der Maßnahmen dienen einer wesentlich verbesserten Auslastung der bestehenden Netze. Das ist mit der heute verfügbaren Technik möglich. Hierbei zählen das flächendeckende Temperatur-Monitoring von Leiterseilen an Hochspannungsmasten und der Ersatz vorhandener Leiterseile durch Hochtemperaturleiterseile zu den Maßnahmen, die kurzfristig realisiert werden können. Ähnlich schnell lässt sich der Vorschlag umsetzen, die Ausschreibungen für Windstromanlagen entlang regionaler Quoten vorzunehmen, was zu weniger Netzengpässen führt, den Transportbedarf von Strom verringert und im Ergebnis die Netze entlastet.
Eine weitere Option zur besseren Verteilung der Strommengen im Netz kann mit dem Einbau aktiver Steuerungstechnik in Umspannwerke erfolgen, womit Stromflüsse von hoch belasteten auf weniger belastete Teile des Netzes umgelenkt werden können. Schließlich empfiehlt das Papier, das Stromnetz schon in den kommenden Jahren für die Zeit nach 2030 vorzurüsten: Beim Bau der großen Nord-Süd-Stromautobahnen (HGÜ-Leitungen) bis Mitte der 2020er-Jahre sollten bereits Leerrohre beziehungsweise zusätzliche Kabel auf Vorrat verlegt werden, um zusätzliche Netzgroßprojekte nach 2030 zu vermeiden. Mittelfristig kann das Übertragungsnetz Dank der Digitalisierung auf einen zunehmend automatisierten Betrieb umgestellt werden, was wiederum eine im Vergleich zu heute erheblich höhere Auslastung erlaubt.
„Legislaturperiode der Netze“
„Diese Legislaturperiode muss eine Legislaturperiode der Netze werden. Dabei geht es darum, dass wir die Netze so ertüchtigen, dass bis 2030 zwei Drittel und bis 2040 etwa 80 Prozent Strom aus Erneuerbaren Energien aufgenommen werden kann“, sagt Graichen. „Von alleine kommen die zwölf Maßnahmen jedoch nicht. Hier sind der Bundeswirtschaftsminister, die Bundesnetzagentur und die vier Übertragungsnetzbetreiber gemeinsam in der Pflicht. Sie haben in der Hand, ob es gelingt – oder nicht.“
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