Vom Wasserbett zur Badewanne

Gemeinsame Untersuchung von Agora Energiewende und Öko-Institut analysiert aktuelle ETS-Reform

Der Europäische Emissionshandel (ETS) hat sich nach der jüngsten Reform, die im April 2018 in Kraft trat, erholt. Nachdem die Verschmutzungsrechte je Tonne CO2 lange Zeit nur wenige Euro kosteten, hat sich der Preis seit Mai bei etwa 15 Euro stabilisiert*). „Das zeigt, dass dem ETS allmählich wieder ein gewisses Grundvertrauen entgegengebracht wird“, sagt Patrick Graichen, Direktor von Agora Energiewende. Der Thinktank hat gemeinsam mit dem Öko-Institut eine Analyse erstellt, die sich mit der Wirkung der jüngsten Reform auseinandersetzt und diese nun veröffentlicht.

Vom Wasserbett zur Badewanne – Titel © Agora Energiewende; Öko-Institut Freiburg e.V.

Das Papier zeige auch, dass der so genannte Wasserbetteffekt (s. Grafik unten) Geschichte ist. Als Wasserbetteffekt wurde das Manko des bisherigen ETS bezeichnet, dass zusätzliche Klimaschutzmaßnahmen – etwa die Stilllegung von Kohlekraftwerken – nur einen eingeschränkten Klimaschutzeffekt hatten. Denn die dadurch freiwerdenden ETS-Zertifikate wurden nicht gelöscht, sondern standen stattdessen anderen Emittenten zur Verfügung.

Seit April 2018 nun gilt, dass überschüssige Zertifikate von 2023 an zum Großteil entweder automatisch aus dem ETS-System gelöscht werden oder aber – wenn sie aus der Stilllegung von Kohlekraftwerken stammen – auch dezidiert von den am ETS teilnehmenden Staaten entwertet werden können.

„Aus dem Wasserbett ist eine Badewanne mit Überlaufventil geworden“, sagt Graichen. „Über dieses Ventil fließen überschüssige Zertifikate kontrolliert ab. Das alte Argument, dass zusätzliche Klimaschutzmaßnahmen nichts bringen, gilt damit nicht mehr.“

Fraglich sei der Analyse zufolge allerdings noch, inwieweit die jüngste Reform auch zu den für Investitionen in CO2-Vermeidungstechnologien sowie den schrittweisen Ausstieg aus der Kohleverstromung notwendigen Knappheitspreisen führen werde, denn:

„Mit der aktuellen Reform des Emissionshandels ist ein wichtiger erster Schritt getan worden, die CO2-Bepreisung wieder zu einem relevanten Teil des klimapolitischen Werkzeugkastens zu machen. Aber eben auch nur ein erster Schritt, auf den weitere folgen müssen“, sagt Felix Christian Matthes, Forschungskoordinator Energie- und Klimapolitik des Öko-Instituts.

Zwar werde mit der Reform die Menge der ausgegebenen Zertifikate ab der nächsten Handelsperiode im Jahr 2021 jährlich um 2,2 Prozent gesenkt und damit stärker als bisher. Angesichts des europaweiten Zubaus von Erneuerbaren Energien, der erwarteten altersbedingten Stilllegung von Kohlekraftwerken und des preisbedingten Trends von Steinkohle zu Erdgas könnten die tatsächlichen Emissionen ähnlich schnell sinken, so dass auch langfristig keine Knappheit an CO2-Zertifikaten entstehe – und somit auch keine entsprechenden CO2-Preise.

Die Analyse beschreibt detailliert die Änderungen am Emissionshandelssystem und skizziert anhand konkreter Szenarien mögliche Entwicklungspfade. Überdies zeigt es Ansätze für mögliche Weiterentwicklungen auf.

*) Kern der Reform sind vier Elemente:

  1. Ab dem Jahr 2021 wird das Emissionshandels-Cap jährlich um 2,2 Prozent gesenkt. Im Zeitraum 2013 bis 2020 beträgt dieser Faktor noch 1,74 Prozent. Da der Bezugspunkt für diese jährliche Minderung jedoch nicht das aktuelle Emissionsniveau, sondern die (deutlich höhere) Zertifikatemenge im Durchschnitt der Jahre 2008 bis 2012 ist, wirkt der höhere Minderungsfaktor erst mit einer erheblichen Zeitverzögerung.
  2. Die Zuführungsrate, mit der dem Markt überschüssige Zertifikate entzogen und in die Marktstabilitätsreserve (MSR) überführt werden, wird gegenüber den bisher vorgesehenen Regelungen in den Jahren 2019 bis 2023 von 12 auf 24 Prozent des Vorjahresüberschusses verdoppelt.
  3. Ab 2023 wird die maximale Größe der Marktstabilitätsreserve auf die Versteigerungsmenge des Vorjahres beschränkt. Sämtliche Zertifikate in der Marktstabilitätsreserve, die diese Grenze überschreiten, werden gelöscht. Dies führt dazu, dass im Jahr 2023 etwa zwei Milliarden Zertifikate gelöscht werden und dass sich die Zahl der Zertifikate, die höchstens in der Marktstabilitätsreserve gehalten werden kann, jährlich um etwa 28 Millionen verringert.
  4. Sofern im Stromsektor durch zusätzliche nationale Klimaschutzmaßnahmen Kraftwerke stillgelegt werden, können Mitgliedstaaten jährlich Zertifikate in einem Umfang unilateral stilllegen, der den durchschnittlichen Emissionen der entsprechenden Anlagen über einen Zeitraum von fünf Jahren vor der Stilllegung entspricht.

->Quellen: