US-„Clean Coal“ nur teilweise erfolgreich

US-Projekt „Saubere Kohle“ in Mississippi gescheitert

Aus den Energieperspektiven 02/2018 und (01-2018) des MPI für Plasmaphysik: In einem der größten Kohlekraftwerke der USA im texanischen Thompsons, W. A. Parish, ist im Januar 2017 das weltgrößte System zur Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid in Betrieb gegangen: Petra Nova (Energie-Perspektiven 1/17). Aus dem Rauchgas einer der acht Kraftwerks­einheiten trennt sie seither den Großteil des Kohlendioxids ab – mehr als eine Million Tonnen während der ersten zehn Betriebsmonate, meldete der Betreiber NRG. Eine andere Form (die Vorab-Abscheidung in Kemper County) ist dagegen gescheitert.

Aus dem Rauchgas einer der acht Kraftwerkseinheiten soll die Anlage über 90 Prozent des Verbrennungsprodukts Kohlendioxid abtrennen – 5000 Tonnen pro Tag. Das komprimierte und verflüssigte Gas fließt durch eine Pipeline 130 Kilometer weiter in das West Ranch-Ölfeld. Dort wird es untertage gepresst, um Erdöl aus der schwächelnden Lagerstätte herauszudrücken. Die Betreiber – NRG Energy, JX Nippon und Hilcorp – erwarten, dass mit diesem „Enhanced Oil Recovery“ genannten Verfahren (siehe Energie-Perspektiven 3/02) die Fördermengen in den nächsten Jahren bis auf das Fünfzigfache wachsen und zugleich 1,6 Millionen Tonnen klimaschädliches Kohlendioxid jährlich unterirdisch entsorgt werden können.

Die mit der Ölförderung verbundenen Gewinne sollen dabei einen Teil der Verluste ausgleichen, die durch die Kohlendioxid-Abscheidung entstehen. Denn der Prozess verbraucht Energie, was den Wirkungsgrad des Kraftwerks mindert.

Alternative Kemper County (CO2 vorher abscheiden) gescheitert

Mit drei Jahren Bauzeit und Kosten von einer Milliarde US-Dollar wurden Zeitplan und Budget eingehalten, betonen die Betreiber. Nicht nur das unterschied Petra Nova von einem anderen Saubere-Kohle-Projekt in Mississippi, dem Braunkohle-Kraftwerk in Kemper County. In der 580-MW-Anlage sollte das CO2 nicht, wie mit Petra Nova, nach dem Verbrennen der Kohle aus dem Abgas abgetrennt werden, sondern vorher, was technisch wesentlich anspruchsvoller war. Dazu sollte die Braunkohle zunächst vergast werden.

Dieses größte Saubere-Kohle-Projekt der USA ist inzwischen gescheitert. Der Bau des Kombikraftwerks mit integrierter Kohlevergasung – englisch „Integrated Gasification Combination Cycle“, kurz IGCC – hatte 2010 begonnen. Zeit- und Kostenplan konnten jedoch nicht eingehalten werden. 2017 waren die Ausgaben von geplanten 3,5 auf mehr als 7 Milliarden US-Dollar gewachsen. Die staatliche Aufsichtsbehörde untersagte schließlich, neue Mehrkosten auf die Stromkunden umzulegen. Daraufhin entschlossen sich die Betreiber Southern Company und Mississippi Power Mitte 2017, statt aufwändig aus Braunkohle gewonnenem Synthesegas nun Erdgas zu verfeuern.

Hintergründe des Scheiterns von Kemper – Betrugsvorwürfe

The Guardian und Desmogblog (jeweils Sharon Kelly): „Wie sich Amerikas Traum von sauberer Kohle in Luft auflöste“ – Das 6,4 Milliarden Euro teure 582-MW-Kraftwerk sollte weltweit führend in der „sauberen Kohle“-Technologie sein und das „Armenhaus Amerikas“ Mississippi mit klimafreundlichem Strom versorgen. Doch der britische Guardian fand nach Durchsicht von mehr als 5.000 Seiten vertraulicher Firmendokumente, interner E-Mails, Whitepapers und anderer Materialien, die von mehreren ehemaligen Insidern anonym zur Verfügung gestellt worden waren, sowie On- und Off-Record-Interviews mit anderen ehemaligen Kemper-Ingenieuren und Managern heraus, dass Top-Führungskräfte schon Jahre, bevor das Projekt zusammenbrach (siehe: solarify.eu/der-carbon-capture-traum-stirbt), von Konstruktionsproblemen und Designfehlern wussten. Im Sommer 2017, als die Southern Company bekanntgab, dass sie das Projekt aufgeben werde, schoben die Verantwortlichen des Unternehmens die Schuld am Scheitern auf Faktoren, die von der Konkurrenzsituation, vom Sturz der Erdgaspreise bis hin zu schlechtem Wetter, schlechtem Timing und einfachem Pech reichten. Sie hatten jahrelang die Illusion aufrecht erhalten, dass ihre „saubere Kohle“ bezahlbar sei, was die Kunden und Aktionäre von Southern Milliarden kostete, den Bergleuten falsche Hoffnungen machte und Träume weckte, dass die amerikanische Innovation weltweit einen Weg für die „saubere Kohle“-Technologie zu einem vernünftigen Preis eröffnet habe. Selbst Trump unterstützte die saubere Kohle. Der Guardian fürchtete: „Kempers Scheitern wird tiefgreifende Auswirkungen auf die internationalen Pläne zur Verlangsamung des Klimawandels haben, die stark von der raschen Entwicklung der CCS-Technologie abhängen, einer Technologie, die bisher wenig Fortschritte gezeigt hat.“ Die USA gaben Hunderte von Millionen Steuergelder aus, um der „Schimäre saubere Kohle nachzujagen“ (Guardian).

Inzwischen tauchten neue Betrugsvorwürfe auf: Southern Co. soll die Aussichten für sein  Clean Coal-Projekt juristisch relevant mehrfach betrügerisch falsch dargestellt haben, und das, nachdem der Bau jahrelang hinter dem Zeitplan zurückgeblieben war und das Unternehmen dafür 4,2 Milliarden Euro mehr als ursprünglich geplant ausgegeben hatte. In einer im August 2017 eingereichten Klage gab Brett Wingo, ehemaliger Ingenieur der Southern Company an, er habe die Kemper-Bosse früh gewarnt, dass es nicht möglich sei, wichtige Bauzeitpunkte einzuhalten. Seine Darstellung, Southern habe durch Vertuschen von Problemen Investoren irregeführt, erregte im vergangenen Jahr dank einer Untersuchung der New York Times nationale Aufmerksamkeit. Der Whistleblower war entlassen worden. Eine zweite Klage wirft Southern vor, das Unternehmen habe die Aussichten des Projekts gar von vorne herein falsch dargestellt – noch bevor mit dem Bau begonnen worden sei. Die Prognosen, was es kosten würde, das Werk zu betreiben und zu unterhalten, sobald es in Betrieb war, seien so niedrig gewesen, dass sie „nicht zu rechtfertigen“ gewesen seien. In einer E-Mail an DeSmog bekräftigte der Kläger, dass das Management bereits 2012 gewusst habe, dass seine „Operation and Maintenance“ (O&M)-Projektionen falsch waren – hielt aber die wahren Zahlen jahrelang unter Verschluss. Die Aktionäre mussten die Milliardenverluste auffangen.

Unabhängig vom Einzelfall zweifelt David Wagman in der Zeitschrift IEEE Spectrum, die vom Institute of Electrical and Electronics Engineers in New York herausgegeben wird, dass Saubere-Kohle-Technologien wie IGCCs in den USA noch marktgerecht sind. Einer der Gründe: Der Fracking-Boom (siehe Energie-Perspektiven 1/13) habe die Versorgung mit Erdgas zuverlässig und billig gemacht – eine übermächtige Konkurrenz für Kraftwerke, die Gas mit komplexer Technologie aus Kohle gewinnen.

[note Solarify meint: Auch so kann Gier umwelt- und klimapolitische Begeisterung, aber auch Vertrauen in die Nachhaltigkeit von grünen Investitionen zerstören.]

->Quellen: