Klimawandel: Einsicht ist nicht gleich Handeln

Warum schauen wir dem „Meteoriteneinschlag in Zeitlupe“ gebannt zu?

Viele denken beim Gürtel-enger-schnallen spontan an den Leibriemen des Nachbarn, nicht an den eigenen – das gilt auch fürs Klima. Immer wieder wird gefragt, warum wir den Klimawandel zwar einsehen und auch fürchten, aber gleichzeitig so gut wie nichts dagegen unternehmen. Auf Spiegel-Online versucht Lena Puttfarcken eine Erklärung dafür, dass man „psychologisch gesehen ganz ohne Probleme von etwas überzeugt sein und sich trotzdem genau entgegengesetzt verhalten“ könne. Obwohl die meisten Deutschen die drohende Klimakatastrophe – von ein paar bornierten Klima-„Skeptikern“ abgesehen – für eines der größten Zukunftsprobleme halten, ändern wir selbst wenig.

Widerspruch

83 Prozent forderten kürzlich in einer Umfrage strengere Gesetze für den Fischfang. Doch lediglich 37 Prozent essen wenig Fisch, um persönlich zum Schutz der Fischbestände beizutragen.  Warum tun wir uns so schwer mit der Umsetzung der eigenen Erkenntnisse, Einsichten und Werte in Sachen Umwelt- und Klimaschutz? Zunächst betreffen die meisten Klimaveränderungen uns kaum. Die Sommer werden – wie eben vor allem in Norddeutschland – heißer und trockener, gelegentlich fällt Starkregen, sogar der eine oder andere Tornado ist bereits gesichtet worden und hat ein Dach abgedeckt. Aber der eigentliche Klimawandel geht ganz, ganz langsam und weit, weit weg vonstatten, wir sehen die Folgen nur im Fernsehen und können abschalten, wenn es uns zu viel wird. Die von Hitzewellen verursachten Tausende von Toten sehen wir überhaupt nicht. PIK-Potsdam-Direktor Hans-Joachim Schellnhuber hat einmal gesagt, die Klimakatastrophe sei wie ein „Meteoriteneinschlag in Zeitlupe“. Warum sollen wir uns heute schon krumm machen, wenn der Grönland-Eisschild erst in 200 Jahren abgeschmolzen ist?

Und sein Kollege Stefan Rahmstorf hat vor kurzem berechnet: „Die Wahrscheinlichkeit, dass die jährlichen Wärmerekorde der letzten Zeit nicht durch den menschengemachten Klimawandel verursacht wurden, liegt zwischen 1:5000 und 1:170 000 –  weit unterhalb des Problembereichs“. Die PIK-Forscher können zum Beispiel anhand ihrer Berechnungen sehr klar zeigen, dass der Meeresspiegelanstieg schon bei einer globalen Erwärmung um 1,5 Grad die Inselstaaten ernsthaft bedroht – einige bekommen das heute schon zu spüren…

„Nicht bewiesen“

Damit wir das alles nicht so ernst nehmen, werden uns verschiedene Strategien angeboten: Zuerst die lange Dauer, die (angeblichen) Kosten der Erneuerbaren, dann die Zweifel, schließlich die Ausgleichsmaßnahmen. Das sei ja alles nur „wahrscheinlich, nicht bewiesen“, so die Zweifler. Klimaleugner verlangen stets Beweise; manche leugnen den Wandel gar nicht mehr, bestreiten aber die anthropogenen Ursachen. Doch mehr als 96 Prozent der seriösen Wissenschaftler (Stand Juli 2018) sind überzeugt von einer extrem hohen Wahrscheinlichkeit der menschengemachten Erderwärmung.

In ihrem Buch „Merchants of Doubt“ (dt.: „Machiavellis der Wissenschaft“) belegen die amerikanischen Wissenschaftshistoriker Naomi Oreskes, University of California, und Erik M. Conway, California Institute of Technology, wie einige Wissenschaftler im Interesse der Wirtschaft für die Öffentlichkeit den Anschein erwecken, als gäbe es wissenschaftliche Differenzen über bereits entschiedene Fragen. Die Motive: Geld und Wichtigtuerei, und, dass man politisch oder religiös einem Standpunkt verbunden ist; man kann mit einer Außenseitermeinung erhöhte Aufmerksamkeit und Zuspruch einer eigenen Anhängerschaft genießen – oder, man kann sich einfach in eine Ansicht verrannt haben und davon nicht mehr loskommen. (solarify.eu/die-machiavellis-der-wissenschaft)

Schellnhuber: „Branchen, die beim Klimaschutz auf der Verliererseite stehen, haben sogar Professoren in Stellung gebracht, um die mühsam gewonnenen Erkenntnisse der Klimawissenschaft durch Zweifel zu diskreditieren. Ob diese Zweifel Quatsch sind, interessiert in der Öffentlichkeit nicht, denn dort kommt nur an: Die Wissenschaftler streiten – also sind die Erkenntnisse nicht belastbar. Die Industrie versucht Zweifel an dem Zusammenhang zu säen, in der Hoffnung, dass die Regierungen dann nichts unternehmen.“ Das belegt auch der im Sommer 2018 in den Kinos gelaufene Dokumentarfilm „Guardians of the Earth“ (solarify.eu/doku-thriller-guardians-of-the-earth) über den spannenden Ablauf der Pariser Klimakonferenz COP21. Unternehmen, die mit Millionen den Klimawandel in Zweifel zogen, förderten fast immer rechtspopulistische Bewegungen (siehe solarify.eu/klimaskepsis-fake-news-und-rechtspopulismus-sind-eine-braune-sauce).

Folgt: Bezahlte Zweifel