Erneuerbarer Kohlenstoff statt Dekarbonisierung
Was im Energiebereich die Dekarbonisierung darstelle, sei für die Chemie- und Kunststoffindustrie der Umstieg auf erneuerbaren Kohlenstoff – so eine Medienmitteilung aus dem nova-Institut (Hürth), das ein neues „Positionspapier zur Zukunft der Chemie“ veröffentlicht hat. Darin heißt es, die organische Chemie könne – entgegen dem allgemeinen Sprachgebrauch – nicht „dekarbonisiert“ werden, da sie vollständig auf der Nutzung von Kohlenstoff basiere.
„Die Chemische Industrie kann nur nachhaltig werden, wenn sie sich von fossilen Rohstoffen wie Erdöl, Erdgas und Kohle vollständig verabschiedet und nur noch erneuerbaren Kohlenstoff als Rohstoff für die organische Chemie einsetzt. Es ist eben nicht eine Dekarbonisierung, wie sie im Energiebereich mit Recht und Sinn als Lösung gefordert wird.“ Die organische Chemie basiere zur Gänze auf Kohlenstoff – auch die Kunststoffindustrie, ohne deren vielseitigen Polymere die moderne Welt nicht vorstellbar sei – oder „nur mit erheblichem Verzicht und höheren Treibhausgasemissionen“.
Dekarbonisierung der Energie = Umstieg auf erneuerbaren Kohlenstoff
Was im Energiebereich die Dekarbonisierung darstellt, ist für die Chemie- und Kunststoffindustrie der Umstieg auf erneuerbaren Kohlenstoff. Nur durch den vollständigen Verzicht auf fossilen Kohlenstoff kann ein weiterer Anstieg der CO2-Konzentrationen vermieden werden. Der gesamte fossile Kohlenstoff, der aus dem Boden geholt wird, gelangt früher oder später in die Atmosphäre und erhöht die CO2-Konzentration.
Die Medienmitteilung weiter: „Es gibt nur drei Quellen erneuerbaren Kohlenstoffs:
- Erneuerbarer Kohlenstoff aus dem Recycling von bereits vorhandenen Kunststoffen (mechanisches und chemisches Recycling),
- erneuerbarer Kohlenstoff aus allen Arten von Biomasse und erneuerbarer Kohlenstoff aus direkter CO2-Nutzung, d. h. aus fossilen Punktquellen (solange es diese gibt) sowie dauerhaft aus
- biogenen Punktquellen und „Direct-Air-Capture“ aus der Atmosphäre.
Für einen vollständigen Umstieg auf erneuerbaren Kohlenstoff werden alle drei Quellen benötigt und sollten in ähnlicher Weise von der Industrie genutzt, von der Politik unterstützt und von der Bevölkerung akzeptiert werden. Massenchemikalien werden in einer nachhaltigen Chemie primär auf einer chemischen CO2-Nutzung via Methan, Methanol und Naphtha basieren, während Feinchemikalien und komplexe Moleküle eher aus Biomasse (und CO2-Fermentation) hergestellt werden. Gleichzeitig werden mechanisches und chemisches Recycling den Bedarf an zusätzlichem erneuerbaren Kohlenstoff insgesamt senken. Während das klassische Recycling Produkte und Werkstoffe wiederverwendet, findet bei der Nutzung von Biomasse und direkter CO2-Nutzung ein Kohlenstoff-Recycling statt, das ebenso einen Teil einer erweiterten Kreislaufwirtschaft darstellt.“
Die Autoren zeigen auf, wie die vollständige Umstellung der Chemie auf erneuerbaren Kohlenstoff konkret aussehen kann, und welche Flächen für Biomasse und Erneuerbare Energien hierzu notwendig sind. Ein zukünftiges Szenario für die Kunststoffindustrie könnte dann z. B. so aussehen:
Mit einem jährlichen Wachstum von 3 – 4 % wird die weltweite Kunststoffproduktion bald die Marke von 400 Mill. t erreichen. Mit großen Recyclinganstrengungen könnte es gelingen, den weiter wachsenden Bedarf an Neukunststoffen bis 2050 zwischen 400 und 500 Mill. t zu halten. Dieser Bedarf könnte dann z. B. zu 30 % durch Biomasse und 70 % durch direkte CO2-Nutzung gedeckt werden. Die hierzu notwendige Menge an Biomasse entspräche etwa 1 % der aktuell global genutzten Biomasse in allen Anwendungen (13 – 14 Milliarden t, davon allein 60 % für Futtermittel zur Milch- und Fleischproduktion).
Zum Schluss diskutieren die Autoren dreizehn konkrete Maßnahmen, mit denen man politisch die Wende zum erneuerbaren Kohlenstoff einleiten und beschleunigen könnte. Hierzu gehören z.B. Steuern auf fossilen Kohlenstoff, Quoten für erneuerbaren Kohlenstoff bei Massenpolymeren oder jährliches Reporting der Chemiekonzerne ihres erneuerbaren Kohlenstoff-Anteils in der Produktion. 24 Chemie- und Kunststoffexperten aus Industrie und Wissenschaft unterstützen das Positionspapier bereits, weitere Unterstützer sind willkommen.