Erneuerbarer Kohlenstoff aus allen Arten von Biomasse
Pflanzen nutzen das CO2 aus der Luft zusammen mit Sonnenenergie, um mittels Photosynthese Biomasse zu erzeugen, die dann als Lebens- und Futtermittel, Chemierohstoffe, Materialien oder als Energieträger genutzt werden können. Im Jahr 2015 wurden in der Europäischen Union 14 % des Kohlenstoffbedarfs der organischen Chemie via Biomasse gedeckt, d. h. der Anteil des erneuerbaren Kohlenstoffs in den Produkten der organischen Chemie lag bereits bei 14 %. Dieser Wert ist in den letzten Jahren von 11 % im Jahr 2008 kontinuierlich gestiegen.
Biomasse kann dabei sowohl Primärbiomasse vom Acker und Forst sein als auch aus biogenen Abfall- und Nebenströmen der Land- und Forstwirtschaft, der Lebens- und Futtermittelindustrie, der chemischen Industrie, der Holz- und Papierproduktion oder auch der Privathaushalte bestehen. Gerade diesen „Biomüll“ einer hochwertigen Nutzung zuzuführen ist wichtiger Bestandteil einer bio-basierten Kreislaufwirtschaft.
Aber auch bei der Biomassenutzung sind Dogmen wie „no foodcrops for industry“ wenig hilfreich. Die Fokussierung auf die sog. 2. Generation Biomasse, wie Holz oder Stroh, macht die Nutzung für die Chemie durch die notwendige Aufbereitung und Umwandlung der Rohstoffe kompliziert und teuer, oft ohne dabei nachhaltiger als andere Optionen der 1. Generation zu sein. Engpässe im Lebensmittelbereich gibt es vor allem bei Proteinen, nicht aber z. B. beim Zucker.
Dieser wird weltweit im Übermaß produziert und Kampagnen und Steuern versuchen, den Konsum beim Menschen weiter zu reduzieren. Gleichzeitig sind Zuckerrübe und Zuckerrohr unter den Kulturpflanzen unübertroffen in ihren Erträgen und ihrer Flächeneffizienz. Aktuell zögert die chemische Industrie aus Imagegründen („Keine Lebensmittel für die industrielle Nutzung“), mehr Zucker in der Produktion einzusetzen. Hier wird aktuell eine Chance vertan.
Bei der Biomassenutzung sind umfassende Nachhaltigkeitsbewertungen notwendig, um die jeweils am besten geeignete Biomasse in einer bestimmten Region für bestimmte Anwendungen zu identifizieren und unerwünschte Nebeneffekte gering zu halten. Bei den Diskussionen um Flächennutzung, direkte und indirekte Flächennutzungsänderungen (LUC and iLUC) und Ernährungssicherheit sollte aber viel stärker berücksichtigt werden, welche extremen Gefahren für Agrarflächen und Nahrungsmittelproduktion durch den Klimawandel drohen und wie stark gleichzeitig Produkte aus Biomasse die Treibausgasemissionen mindern können.
Welchen Teil des Rohstoffbedarfs der Chemie kann Biomasse bis 2050 decken? Experten schätzen, dass sich der Anteil von 14 % im Jahr 2015 bis 2050 verdoppeln bis verdreifachen könnte. Welches Potenzial tatsächlich erschlossen werden kann, hängt auch davon ab, ob Agrarhauptprodukte wie Weizen, Mais oder Zuckerrübe als Biomasse für die Chemie von Gesellschaft und Politik akzeptiert werden. Scheinbar steht ihre Nutzung der Lebensmittelsicherheit entgegen, bei näherer Analyse tragen sie aber eher zur Versorgungssicherheit bei7. Sollten durch die Dekarbonisierung der Mobilität immer weniger Biokraftstoffe nachgefragt werden, könnten diese Flächen für die Chemie genutzt und damit ohne jede Flächenausweitung hohe Deckungsraten bei der Chemie erzielt werden.
Der Einsatz von Biomasse macht vor allem dort Sinn, wo funktionelle und komplexe molekulare Einheiten bei den chemischen Umwandlungen erhalten bleiben und genutzt werden können. Dies ist z. B. bei der Oleochemie und der Kautschuk- und Ligninnutzung der Fall, aber auch bei zahlreichen neuen bio-basierten Bausteinen wie z. B. organischen Säuren und furanbasierten Produkten. Hierauf basierende Wasch-, Reinigungs- und Pflegemittel sowie Polymere weisen häufig verbesserte Eigenschaften für Gesundheit und Umwelt auf. Mit Hilfe der industriellen Biotechnologie können zudem auf kurzen Prozesswegen unter milden Bedingungen und mit Hilfe maßgeschneiderter Produktionsorganismen komplexe Moleküle hergestellt werden. Für die Produktion von Aromaten bietet sich in der Zukunft das bislang kaum stofflich genutzte Lignin, ein Nebenprodukt der Holznutzung, an.
Eine besondere Eigenschaft, die über Produkte auf der Basis von Biomasse vergleichsweise leicht erreicht werden kann, ist der biologische Abbau von Polymeren. Es ist ein Versagen von Industrie, Politik und NGOs, dass dieses Potenzial bislang kaum genutzt wird. Jährlich gelangen in Europa hunderttausende Tonnen an Kunststoffen an ihrem Lebens- bzw. Nutzungsende in die Umwelt, viele davon auch bei sachgerechter Nutzung aufgrund der Unmöglichkeit einer Sammlung (wie z. B. Baumschutzhüllen, Trägerpolymere für Dünger oder Pestizide, Bindegarne in der Landwirtschaft). Sie sind der Kreislaufwirtschaft entzogen, könnten aber bei der Verwendung geeigneter Polymere ohne Schaden an der Umwelt von Mikroorganismen abgebaut und damit wieder in CO2 umgewandelt werden.