Arktischer Ozean verliert überdurchschnittlich viel Meereis
Wenn in diesen Septembertagen die Sommerschmelze des arktischen Meereises endet, wird die Eisdecke voraussichtlich auf eine Ausdehnung von 4,4 (+/- 0,1) Millionen Quadratkilometer geschmolzen sein, dem sechstkleinsten Wert seit Beginn der Messungen im Jahr 1979. Das berichteten Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Institutes, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) und der Universität Bremen in einer gemeinsamen Presseerklärung am 13.09.2018.
Die verbleibende eisbedeckte Fläche (Eiskonzentration >15 Prozent) werde rund 300.000 Quadratkilometer kleiner ausfallen als im vergangenen Jahr, als die Eisdecke auf 4,7 Millionen Quadratkilometer geschrumpft sei. Gleichzeitig liege das diesjährige Sommerminimum erneut deutlich unter den Werten von 1979 bis 2006, so das Resümee der Forscher.
„Das aktuelle Ergebnis bestätigt den besorgniserregenden Abnahmetrend des Meereises in der Arktis, den wir nun schon seit mehr als einem Jahrzehnt beobachten. Auch in der Antarktis, wo die Meereisbedeckung in ein paar Wochen ihr jährliches Maximum erreichen wird, gibt es weniger Eis als im Mittel“, sagt Prof. Christian Haas, Leiter der Sektion Meereisphysik des Alfred-Wegener-Instituts. Es sei wahrscheinlich, dass menschliche Emissionen von Treibhausgasen maßgeblich zu dieser Abnahme beigetragen haben.
In ihrer Analyse berufen sich die deutschen Forscher auf Satelliten-Eiskonzentrationsdaten des Instituts für Umweltphysik der Universität Bremen (IUP), dessen Daten im Informations- und Datenportal meereisportal.de verwendet werden. Sie weisen das diesjährige Meereisminimum als sechstkleinste Eisausdehnung seit Beginn der Messungen im Jahr 1979 aus. Andere Beobachtungszentren wie zum Beispiel das National Snow & Ice Data Center in den USA geben etwas höhere Zahlen an. „Diese geringen Unterschiede ergeben sich aus der höheren Auflösung unserer Daten und den leicht unterschiedlichen Methoden, die verschiedene Datenzentren zur Berechnung der Eiskonzentration benutzen. Sie zeigen die Unsicherheiten, die selbst moderne Satellitenbeobachtungen des Meereises haben können“, sagt Gunnar Spreen vom IUP, derzeit an Bord des Forschungseisbrechers FS Polarstern auf dem Weg in die Laptewsee.
Weniger Eis in der Laptewsee, mehr in der kanadischen Beaufortsee im Vergleich zum Vorjahr
Die aktuellen Eiskonzentrationskarten zeigen, dass sich das arktische Meereis in diesem Sommer vor allem im ostatlantischen Sektor und in den russischen Schelfmeeren weit Richtung Norden zurückgezogen hat. „Der deutsche Forschungseisbrecher Polarstern befindet sich gerade auf dem Weg in die Laptewsee. Im Gegensatz zu früheren Expeditionen muss das Schiff diesmal jedoch kein Eis brechen, sondern fährt unbehelligt am Südrand des Eises seinem Zielgebiet entgegen“, berichtet Haas. „Wir haben uns auf eine lange Fahrt durch das Eis eingestellt“, so Spreen. „So wenig Eis nördlich der Nordostpassage gab es nur in fünf Prozent der Sommer zwischen 1979 und 2016.“
In der kanadischen Beaufortsee und dem östlich angrenzenden Kanadischen Archipel mit der Nordwestpassage dagegen gibt es zum Ende dieses Sommers mehr Eis als in den letzten Jahren. Verantwortlich dafür ist ein langanhaltendes Hochdruckgebiet, das die Oberflächenströmung des Beaufort-Wirbels antreibt. Dadurch wurde in den zurückliegenden Monaten dickes, mehrjähriges Eis von Norden in die Beaufortsee transportiert. Gleichzeitig war die Luft über dem Kanadischen Archipel im August bis zu vier Grad kälter als im langjährigen Monatsdurchschnitt. In dieser Region dürfte demzufolge weniger Eis geschmolzen sein.
Von überraschend kompaktem Meereis berichteten auch AWI-Meereisforscher, die Mitte August an Bord des schwedischen Eisbrechers Oden nur mühsam den Nordpol erreichten. Haas: „Die Meereissituation in der Arktis unterscheidet sich von Ort zu Ort deutlich und zeigt einmal mehr, dass wir auf Basis der arktisweiten Entwicklung bislang noch keine Vorhersagen über lokale Eisbedingungen machen können. Es gibt noch immer Gebiete, die sogar für Eisbrecher unpassierbar sind. Und wo in diesem Jahr wenig Meereis ist, kann im nächsten Jahr deutlich mehr sein, selbst wenn wir insgesamt deutlich weniger Meereis in der Arktis haben als noch vor 20 Jahren“.
Viel Schiffsverkehr in der Nordostpassage, Eiswarnung für die Nordwestpassage
Aufgrund der geringen Eiskonzentration vor der sibirischen Arktisküste konnten Reedereien in diesem Sommer auch deutlich mehr Waren durch die Nordostpassage transportieren als noch im vergangenen Jahr. Die Menge der über die Arktis verschifften Ladung stieg Medienberichten zufolge im Vergleich zu 2017 um 80 Prozent. Nachdem Tank- und Frachtschiffe inzwischen regelmäßig durch die von Russland kontrollierten Meeresgebiete fahren – oft noch begleitet von Eisbrechern – befindet sich gegenwärtig das erste Containerschiff mit Eisklasse zu Testzwecken auf der Strecke.
[note Immer weniger Eisberge vor Grönland – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft für Solarify]In der Nordwestpassage dagegen haben Schiffe bislang keine freie Fahrt. „Anders als in den Vorjahren verhindert dichtes Treibeis die Fahrt durch die Inselwelt des Kanadischen Archipels“, sagt Meereisexperte Prof. Lars Kaleschke vom Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit an der Universität Hamburg. Die kanadischen Behörden sahen sich deshalb Ende August gezwungen, eine Eiswarnung besonders für kleinere Schiffe und Segelyachten auszusprechen. Die Gefahr, dass sie vom Treibeis gefangen und zerdrückt würden, sei zu groß.
Mehr Informationen zu den Hintergründen des diesjährigen Meereisrückganges sowie eine Tabelle der zehn kleinsten September-Minima des arktischen Meereises im Meereisportal. In ihrer dort veröffentlichten Analyse gehen die Wissenschaftler auch noch einmal ausführlich auf die offenen Wasserstellen vor der Nordküste Grönlands ein.
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