Wissenschaftler suchen nach Lösungen für weltweite Plastikvermüllung
Plastikabfall vermüllt Land, Flüsse und vor allem Meere. In einem Institut der Universität von Minnesota, dem Center for Sustainable Polymers (Zentrum für nachhaltige Polymere) entwickeln Wissenschaftler Material, das sich auf Befehl selbst zerstört oder zur Wiederverwendung zerfällt. Verbrennung ist dann unnötig. Eine Lösung für das Müllproblem auch der Meere. Vor Jahrzehnten seien synthetische Polymere deshalb populär geworden, weil sie billig und langlebig waren, so CSP-Direktor Marc Hillmyer: „Der eigentliche Trick ist, sie stabil zu machen, wenn man sie benutzt, und instabil, wenn man sie nicht benutzen will“.
Synthetische Polymere wurden im Lauf der Geschichte so populär und anpassungsfähig, dass sie heute die Ursache für die globale Belastung durch Milliarden von Tonnen Kunststoffabfällen sind, besonders problematisch, weil langlebig sind Einweg-Kunststoffprodukte aus synthetischen Polymeren – Strohhalme, Zigarettenfilter, Kaffeebecherdeckel. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich durch das Missverhältnis zwischen Materialeinsatz und Produktlebensdauer eine Wahnsinnsmenge Plastikabfall in Deponien und natürlichen Umgebungen angesammelt, teils riesige schwimmende Inseln in den Ozeanen treiben, bis Hügel und Hügel das Ende der Welt erreicht haben und Bits vom Meeresleben aufgenommen wurden. Zu wenig wird recycelt; einige Schätzungen deuten sogar darauf hin, dass nur 10 Prozent aller Kunststoffe jedes Jahr recycelt werden.
Die Umweltauswirkungen der Plastikflut und die dadurch abnehmende Beliebtheit von Kunststoffen ließen Chemiker auf die Suche nach neuen Materialien gehen – mit zwei widersprüchlichen Anforderungen: Sie müssen langlebig, aber auf Kommando abbaubar sein. Kurz gesagt, die Wissenschaftler sind auf der Suche nach Polymeren oder Kunststoffen mit eingebautem Selbstzerstörungsmechanismus. Hillmyer arbeitet „an Polymeren, die unter normalen Bedingungen absolut stabil sind. Aber wenn man sie erhitzt, zerfallen sie in ihre ursprünglichen Komponenten,“ sagte er dem ARD-Korrespondenten Arthur Landwehr.
Im Prinzip geht es um folgendes: Kunststoff beginnt als einzelnes Molekül, meist aus Erdöl gewonnen. Diese Moleküle bringt man chemisch dazu, sich wie bei einem Reißverschluss zu Ketten zu verhaken, die für immer zusammenbleiben. Hillmyer will das Polymer mit einem bestimmten Impuls dazu bringen, den Reißverschluss wieder zu öffnen und in seine ursprünglichen Einzelteile zu zerfallen. Die könnte man wieder zu neuen hochwertigen Kunststoffen zusammenfügen.
[note Selbstzerstörende Kunststoffe sind zwar kein Wundermittel für das Problem des Plastikmülls, aber sie könnten neue Anwendungen auch in anderen Bereichen ermöglichen. Ausgangspunkt sind von Natur aus instabilere Polymere, die wegen ihrer Fragilität oft übersehen wurden. Ihre Einzelteile bleiben lieber kleine Moleküle und bilden keine Polymere. Forscher „zwingen“ nun diese Moleküle, sich zu langen Ketten zu verbinden und fixieren die entstehenden Polymere. Die Demontage dieser Polymere wird manchmal auch als „Entpacken“ (unzip) bezeichnet, denn sobald die Polymere einen Auslöseimpuls („Trigger“) erhalten, der diese Fixierung auflöst, lösen sich ihre Einzelteile wieder voneinander, bis die Polymere wieder vollständig in kleine Moleküle zerfallen sind. (Nach New York Times)]
Licht würde bei Kunststoffen funktionieren, die im Dunklen eingesetzt werden. Kommen sie unter bestimmte Lampen, zerfallen sie einfach. Bei anderen ist es eine Chemikalie, die den Zerfall „befiehlt“. Bei Bedarf gibt der schnelle Zerfall nach Meinung der Forscher dem Entzippen von Polymeren einen Vorteil gegenüber biologisch abbaubaren, da der biologische Abbau oft langsam und schwer zu kontrollieren ist. Diese Polymere der nächsten Generation könnten dazu beitragen, Plastikvermüllung zu verringern. Wenn die Bestandteile nach dem Entpacken gesammelt würden, um neue Polymere herzustellen, würde dies zu einem chemischen Recycling führen. Das meiste Recycling, das heute durchgeführt werde, bestehe einfach darin, den Kunststoff zu schmelzen und umzuformen.
„Meiner Meinung nach hat es großes Potenzial, das Problem ist, es billig und wettbewerbsfähig genug zu machen, um eine Marktdurchdringung für den Verbraucher zu erreichen“, so Hillmyer gegenüber der New York Times. Denn heutiges Plastik ist so billig wie noch nie. Das macht es völlig unrentabel, die am weitesten verbreiteten Polymere wie Polyethylen (Lebensmittelbeutel), Polypropylen (Fischernetze) oder Polyethylenterephthalat (PET, Einwegflaschen) durch zerfallende Polymere zu ersetzen (das könnte sich aber durch ein EU-Verbot von Plastik ändern). Stattdessen richten Wissenschaftler wie Hillmyer ihre Aufmerksamkeit auf höherwertige Materialien wie Polyurethan-Schaumstoffe, die häufig in Matratzen und Autositzen verwendet werden. Schon 2016 stellten Hillmyer und sein Team ein Polyurethan aus entpackten Polymeren her, das chemisch recycelbar war. Der Schaum bleibt bei Raumtemperatur stabil, entpackt sich aber bei einer Erwärmung über 200 Grad Celsius in die Einzelmoleküle.
Die Verwendung chemisch recycelbarer Materialien könnte besonders dann sinnvoll werden, wenn Unternehmen nach ihrer Nutzungsdauer Verantwortung für ihre Produkte übernähmen, so Hillmyer. Er hat das Start-up-Unternehmen Valerian Materials (Slogan: „Hochwertige Kunststoffe aus Einfachzucker“) gegründet, um das recycelbare Polyurethan zu vermarkten. Wenn Autofirmen beispielsweise einen Gebrauchtwagen zurücknehmen müssten, könnte es sinnvoll sein, ein internes chemisches Recyclingsystem zu haben, um neue Materialien aus alten herzustellen, sagt er.
Während wir auf das Erscheinen dieser Polymere der nächsten Generation warten, werden die heutigen kommerziellen Kunststoffe immer noch in einer Größenordnung von 400 Millionen Tonnen pro Jahr produziert. Und diese Kunststoffe sollen so stark, so robust und langlebig wie möglich sein. Ein größeres Problem sei aber, sagen die Forscher, wie man Altpolymere von Kunststoffabfällen in ähnlicher Weise, idealerweise in ihre Bausteine, zerlegt.
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