Dokumentation: Die Anfrage samt Antworten in Ausschnitten
Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Julia Verlinden, Oliver Krischer, Annalena Baerbock, u. a. und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betr.: „Bedrohte Arbeitsplätze in der deutschen Windindustrie“ (BT-Drucksache: 19/14013
Staatssekretärin Claudia Dörr-Voß: „Sehr geehrter Herr Bundestagspräsident, namens der Bundesregierung beantworte ich die o. a. Kleine Anfrage wie folgt:
Frage Nr. 1 Wie hat sich der Ausbau der Windenergie an Land und auf See in den letzten 10 Jahren in Deutschland entwickelt (bitte jeweils Ausbaumengen in MW brutto sowie netto angeben und nach Bundesländern aufschlüsseln)?
Antwort: Erst seit der Einführung des Anlagenregisters bei der Bundesnetzagentur im August 2014 liegen Informationen in der hierfür erforderlichen Detailtiefe vor, z.B. projektspezifische Daten über die genaue Anzahl, die räumliche Lage oder die Leistung der Anlagen, die neu gebaut und zurückgebaut werden. Angaben für die Zeit vor der Einführung sind mit Unsicherheiten behaftet. Um gleichwohl den in der Frage angesprochenen Zeitraum abzudecken, werden im Folgenden Daten verendet, die dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMW‘) für den gesamten Zeitraum in einer einheitlichen Datenqualität vorliegen.
In den nachfolgenden Tabellen wurden die Neuanlagen den Jahren zugeordnet, in denen die Anlagen geliefert und installiert wurden. Diese Anlagen wurden dabei nicht immer noch im selben Jahr an das Stromnetz angeschlossen (nur in der Anlage!).
Im Gegensatz dazu wurden im Rahmen des Anlagenregisters die Neuanlagen dem Jahr zugeordnet, in dem sie erstmalig Strom in das Netz eingespeist haben und eine entsprechende Vergütung dafür gezahlt wurde. Entsprechend lassen sich die Unterschiede erklären, wenn die nachfolgenden Daten mit den Daten des Anlagenregisters verglichen werden.
Bei Windenergie auf See hat sich nach den Daten der Arbeitsgruppe Erneuerbare Energien-Statistik (AGEE-Stat) die jeweils bis zum 31. Dezember des betreffenden Jahres in Betrieb genommene, installierte Leistung aus Windenergieanlagen auf See mit Netzanschluss, wie in unten stehender Tabelle (nur in der Anlage!) aufgeführt, entwickelt. Da im Bereich Windenergie auf See bislang noch keine Anlagen zurückgebaut wurden, entspricht der Netto- auch dem Bruttozubau.
Frage Nr. 2 Von welchen Ausbauvolumina bei der Windenergie geht die Bundesregierung für 2018, 2019 und 2020 sowie für die Folgejahre bis 2030 aus (bitte onshore und offshore getrennt auflisten)?
Antwort: Windenergie an Land
Für 2018 rechnet die Bundesregierung mit einem Neubau von 3.000 bis 3.500 MW. Im ersten Halbjahr 2018 wurden rd. 1.500 MW neu in Betrieb genommen. Ab dem Jahr 2019 werden sich die Zubaumengen in Abhängigkeit der Realisierungsraten der im Ausschreibungsverfahren bezuschlagten Projekte entwickeln. Maßgeblich für den Zubau sind die jährlichen Ausschreibungsmengen bis 2030. Nach dem gegenwärtig gültigen EEG 2017 werden bei Wind an Land 2.800 11 MW und ab 2020 2.900 MW ausgeschrieben. Zu berücksichtigen ist, dass bei den Ausschreibungen bei Windenergie an Land aus dem Jahre 2017 mehr als 90 Prozent der Zuschläge sogenannte Bürgerenergieprojekte erhielten, welche eine Realisierungsfrist von 54 Monaten haben und deshalb vermutlich erst in den Jahren 2020/2021 in Betrieb genommen werden. Weiterhin dürften die Realisierungsrisiken bei diesen Projekten auf Grund der nicht vorhandenen Genehmigung höher als bei Projekten sein, die keine Bürgerenergieprojekte sind. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass im Koalitionsvertrag Sonderausschreibungsmengen mit Blick auf das Klimaschutzziel 2020 bei Aufnahmefähigkeit der entsprechenden Netze und eine Erhöhung des Ausbauziels auf 65 Prozent bis zum Jahr 2030 bei den Erneuerbaren-Energien im Strombereich vereinbart wurden. Derzeit erarbeitet das Bundeswirtschaftsministerium Optionen zu den hierfür erforderlichen Änderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen.
Vor diesem Hintergrund und ungeachtet der noch ausstehenden Umsetzung der Vereinbarungen im Koalitionsvertrag kann für das Jahr 2019 von einem Zubau von 1.500 bis 2.000 MW und für das Jahr 2020 von 2.500 bis 3.500 MW ausgegangen werden. Ab 2021/22 wird das jährliche Ausbauvolumen im Durchschnitt maßgeblich durch die im Einklang mit dem Ausbauziel im EEG vorgesehenen Ausschreibungsmengen beeinflusst.
Windenergie auf See
Die Bundesregierung geht davon aus, dass in den Jahren 2018 bis 2020 insgesamt 2.000 bis 2.300 MW in Betrieb gehen werden, wobei der Schwerpunkt mit jeweils bis zu 1.000 MW in den Jahren 2018 und 2019 liegen dürfte.
Zwischen 2021 und 2025 bestimmt sich der Zubaupfad bei einem in den Ausschreibungen 2017 und 2018 bezuschlagten Gesamtvolumen von 3.100 MW durch die Inbetriebnahmen der Netzanbindungen. In der Ostsee wird aufgrund der Netzplanungen zwischen 2021 bis 2022 mit Inbetriebnahmen von Offshore- Windparks von bis zu 750 MW und in der Nordsee zwischen 2022 und 2025 von rd. 2.300 MW gerechnet. Der Hauptzubau in der Nordsee erfolgt in den Jahren 2024 bis 2025.
Ab 2026 wird das jährliche Ausbauvolumen maßgeblich durch die Ausschreibungsmengen beeinflusst. Nach aktueller Gesetzeslage sieht das Wind-See-Gesetz ein jährliches Ausschreibungsvolumen ab 2021 von durchschnittlich 840 MW vor.
Frage Nr. 3 Wie hat sich die Zahl der direkt in der Windindustrie Beschäftigten und der indirekt in Zulieferbetrieben, Transport, Service und Wartung Beschäftigten durch den Ausbau der Windenergie in den letzten 10 Jahren entwickelt (bitte nach Sparten und Bundesländern aufschlüsseln)?
Antwort: In Studien im Auftrag des BMWi wurden Zahlen für die Bruttobeschäftigung bei erneuerbaren Energien ermittelt. In diesen Brutto-Zahlen sind auch die indirekt Beschäftigen enthalten, d.h. diejenigen Personen, die durch Investitionen im Zuge des Ausbaus erneuerbarer Energien in anderen Wirtschaftszweigen beschäftigt wurden. Für Windenergie wurden für den Zeitraum ab 2008 nachfolgende Beschäftigungszahlen auf Bundesebene ermittelt. Aktuelle Werte für die Jahre 2017 und 2018 liegen derzeit noch nicht vor.
Frage Nr. 4 Wie schätzt die Bundesregierung die Beschäftigungsentwicklung in der Windindustrie in den Jahren 2018, 2019 und 2020 ein (bitte begründen)?
Frage Nr. 5 Wie hat sich die Zahl der Ausbildungsplätze in der Windindustrie und in Zulieferbetrieben, Transport, Service und Wartung durch den Ausbau der Windenergie in den letzten 10 Jahren entwickelt (bitte nach Bundesländern aufschlüsseln)?
Frage Nr. 6 Wie schätzt die Bundesregierung die Entwicklung der Ausbildungsplatzzahlen in der Windindustrie in den Jahren 2018, 2019 und 2020 ein (bitte begründen)?
Die Fragen Nr. 4, Nr. 5 und Nr. 6 werden gemeinsam beantwortet.
Zur künftigen Entwicklung der Beschäftigung in der Windenergie insgesamt sowie zu Ausbildungsplätzen in der Windindustrie und deren künftigen Entwicklung liegen der Bundesregierung keine Daten vor. Mit dem Konzept der Bruttobeschäftigung wurden eigene Kategorien zur Erfassung der Beschäftigungswirkung bei erneuerbaren Energien geschaffen. Diese Kategorien differenzieren nicht nach der Art der Beschäftigungsverhältnisse, wie z.B. Ausbildungsverhältnissen.
Frage Nr. 7 Von wie viel gefährdeten Arbeitsplätzen in der Windindustrie sowie in Zuliefer-, Transport- und Servicebranche geht die Bundesregierung angesichts der Entwicklung bei der Firma Enercon aktuell aus und wie will sie dem drohenden Jobverlust entgegenwirken? Falls nicht, warum nicht?
Antwort: Der Bundesregierung liegen keine näheren Informationen über künftige einzelbetriebswirtschaftliche Arbeitsplatzentscheidungen der Unternehmen vor.
Frage Nr. 8 Welche Unternehmen aus der Zuliefer-, Transport- und Servicebranche sieht die Bundesregierung jenseits der Windenergieanlagenhersteller von Arbeitsplatzabbau durch den im derzeitigen Ausschreibungsregime deutlich verkleinerten deutschen Markt als betroffen an und wie viele Arbeitsplätze sieht die Bundesregierung dort in Gefahr?
Antwort: Bei Herstellern und Zulieferern der Windenergieindustrie laufen derzeit international umfassende Umstrukturierungen und Konsolidierungsprozesse ab. Der Grund hierfür ist unter anderem der Preisdruck von Ausschreibungen in Deutschland, aber auch in internationalen Märkten. Dabei dürften große und international ausgerichtete Unternehmen deutlich besser auf Marktschwankungen und den internationalen Wettbewerbsdruck reagieren können.
Seit wenigen Jahren ist ein Trend der Verlagerung von Produktionsstandorten von Deutschland in Länder mit niedrigeren Löhnen erkennbar. Im Bereich der Zulieferer werden Aufträge zunehmend ins Ausland vergeben. Verstärkt wird der Trend durch verschiedene local-content-Vorgaben in den verschiedenen internationalen Märkten.
Frage Nr. 9 Wie bewertet die Bundesregierung die Warnungen vor einem sogenannten Fadenriss in der Windindustrie seitens Branchenvertretung und Gewerkschaft wegen fehlender genehmigter und umsetzbarer Projekte in den kommenden Jahren (vgl. https://www.heise.de/tp/features/Windenergie-Fadenriss-und-Ausbaustillstand-4118177.html)?
Antwort: Es wird auf die Antwort zu den Fragen Nr. 2 und Nr. 10 verwiesen.
Frage Nr. 10 Welche Maßnahmen will die Bundesregierung ergreifen, um einen Fadenriss in der Windindustrie in den kommenden Jahren zu verhindern und so die innovative Windindustrie als relevanten Faktor der deutschen Wirtschaft zu sichern?
Antwort: Entsprechend der im Koalitionsvertrag getroffenen Vereinbarungen sind kurzfristige Sonderausschreibungen im Bereich der Windenergie an Land, ein zusätzlicher Beitrag der Offshore-Windenergie und eine Erhöhung der Anteile der Erneuerbaren Energien im Strombereich auf 65 Prozent bis zum Jahr 2030 unter der Voraussetzung der Aufnahmefähigkeit der Netze vorgesehen. Ziel der anstehenden gesetzlichen Umsetzung ist es, einen stabilen Ausbaupfad zu definieren, der die Erreichung der Ziele der Bundesregierung sicherstellt, eine bessere Synchronisierung des Ausbaus der erneuerbaren Energien und der Stromnetze erreicht und gleichzeitig Planungssicherheit für die unterschiedlichen Marktakteure und neue Projektentwicklungen schafft.
Das Privileg für Bürgerenergiegesellschaften bei Windenergie an Land, sich ohne Genehmigung nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz an Ausschreibungen zu beteiligen, wurde bereits im Sommer 2018 ausgesetzt. Allein hierdurch reduzieren sich die Realisierungsfristen und erhöhen sich die Realisierungs-Wahrscheinlichkeiten für Projekte, die einen Zuschlag erhalten haben. Das verbessert die Planungssicherheit und erhöht die Bereitschaft der Unternehmen, in die Projektentwicklung zu investieren.
Frage Nr. 11 Geht die Bundesregierung davon aus, dass die Nachfrage in der deutschen Windindustrie künftig wieder steigen wird und wenn ja, ab wann und warum?
Antwort: Die Nachfrage wird mittel- bis langfristig maßgeblich von den zur Erreichung der definierten Ausbauziele unterlegten gesetzlichen Regelungen und hier insbesondere von den festzulegenden Ausschreibungsmengen abhängen. Dafür ist die konkrete Ausgestaltung der verschiedenen technologiespezifischen Ausbaupfade maßgeblich.
Frage Nr. 12 Inwieweit sieht die Bundesregierung in der Entwicklung, dass in vielen ausländischen Märkten local-content-Bedingungen für den Ausbau der Windenergie gelten (vgl. z.B. www.erneuerbareenergien.de/nordex-erhaelt-auftrag- ueber-595-megawatt/150/434/108713/), Schwierigkeiten für die deutsche Windindustrie?
Antwort: Wie in der Antwort zu Frage Nr. 8 ausgeführt, sieht die Bundesregierung in den local-content-Bedingungen in ausländischen Märkten auch einen Zusammenhang mit den Standortverlagerungen in andere internationale Märkte. Daneben spielen viele einzelbetriebswirtschaftliche Überlegungen der Unternehmen eine Rolle.
Frage Nr. 13 Hält die Bundesregierung analog zu local-content-Anforderungen Maßnahmen für notwendig, um die heimische Wertschöpfung im deutschen Windenergiemarkt zu sichern? Wenn ja, welche? Wenn nein, warum nicht?
Antwort: Aus Sicht der Bundesregierung müssen Anforderungen und Maßnahmen, die den Ausbau der Windenergie betreffen, mit dem Recht der Welthandelsorganisation und mit dem Unionsrecht vereinbar sein. Ein stabiler und langfristiger Ausbaupfad bei Wind an Land ist eine der wichtigsten Maßnahmen der Bundesregierung für stabile Rahmenbedingungen der Industrie.
Frage Nr. 14 Sieht die Bundesregierung einen Zusammenhang zwischen der negativen Arbeitsplatzentwicklung in der Windindustrie und den von der Bundesregierung begrenzten Ausschreibungsvolumina („Ausbau-Deckel“) für den Ausbau der Windenergie? Wenn nein, warum nicht?
Antwort: Die Arbeitsplatzentwicklungen in der Windindustrie sind wie in jeder internationalen Branche nicht nur von den politischen Rahmenbedingungen in den einzelnen Ländern abhängig, sondern zunehmend auch von der internationalen Markt- und Preisentwicklung. Dabei sind jährlich festgelegte Ausschreibungsvolumina mit einem längeren Zeithorizont ein Garant für die heimische Marktentwicklung.
Frage Nr. 15 Sieht die Bundesregierung einen Zusammenhang zwischen den aktuell angekündigten Stellenstreichungen und dem fehlenden Beschluss über zusätzliche Ausschreibungen für die Windenergie (sog. Sonderausschreibungen)? Wenn ja, welchen? Wenn nein, warum nicht?
Antwort: Es wird auf die Antwort zu den Fragen Nr. 7 und Nr. 8 verwiesen.
Frage Nr. 16 Wann wird die Bundesregierung die im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD vereinbarten Sonderausschreibungen für Wind- und Solarenergie mit einer entsprechenden gesetzlichen Regelung auf den Weg bringen (bitte genauen Zeitplan von der Kabinettseinbringung bis zur vorgesehenen Verabschiedung im Bundestag nennen)?
Antwort: Die Ressortabstimmung zur Umsetzung der Sonderausschreibungen ist noch nicht abgeschlossen. Bei Einhaltung der üblichen Fristen der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesregierung wäre ein Inkrafttreten Mitte 2019 möglich. Abhängig von den Entscheidungen im Bundestag, kann das Gesetzgebungsverfahren grundsätzlich aber auch mit kürzeren Fristen abgeschlossen werden.
Frage Nr. 17 Welche Rolle spielen nach Ansicht der Bundesregierung stockende Planungsund Genehmigungsverfahren bei der Gefährdung von Arbeitsplätzen in der Windindustrie?
Antwort: In 2017 und 2018 lag das Niveau der neu erteilten Genehmigungen durchschnittlich bei knapp über 100 MW pro Monat und damit unterhalb des im EEG vorgesehenen Ausbaupfads. Insofern kommt dem Volumen an Neugenehmigungen eine entsprechende Bedeutung zu.
Frage Nr. 18 Plant die Bundesregierung Maßnahmen, um Planungs- und Genehmigungsverfahren zu beschleunigen? Wenn ja, welche? Wenn nein, warum nicht?
Antwort: Im Rahmen der Bund-Länder-Initiative Windenergie an Land wird in einem permanenten Prozess das Thema Hemmnisse bei den Planungs- und Genehmigungsverfahren diskutiert und es werden mögliche Lösungsvorschläge entwickelt. Darüber hinaus hat die Fachagentur Windenergie an Land hierzu einen Prozess mit den Ländern, der Branche und der Stiftung Umweltenergierecht initiiert. Zurzeit werden in dem Zusammenhang die aktuellen Erfahrungen zusammengetragen. Neben den fachspezifischen Fragen zur Verbesserung der Planungs- und Genehmigungsverfahren ist eine intensive Auseinandersetzung mit der Frage der Akzeptanz der Windenergienutzung an Land erforderlich. Entsprechend spricht sich der Koalitionsvertrag für eine Erhöhung der kommunalen Wertschöpfung bei der Umsetzung von Windprojekten aus. Weitere Maßnahmen zur Erhöhung der Akzeptanz z.B. im Bereich der Reduzierung von nächtlichen Lichtemissionen durch Windenergieanlagen werden aktuell diskutiert.“
gez. Staatssekretärin Claudia Dörr-Voß
->Quellen: