Streit um vage Zahlen und Angst vor Scheitern erschwert langfristigen EU-Klimaplan
Im März 2018 war die Kommission von den Mitgliedstaaten aufgefordert worden, eine langfristige Strategie zu entwickeln, um die europäische Wirtschaft auf einen dem Pariser Klimaabkommen entsprechenden Kurs zu bringen. Kommissionsgranden wie Präsident Jean-Claude Juncker und EU-Klima-Chef Miguel Arias Cañete befürworten eine Strategie mit Netto-Null-Emissionen bis 2050. Quellen aus dem Kommissionsumfeld legen aber nahe, dass sich Fraktionen innerhalb der EU-Exekutive für eine „business-as-usual“-Strategie einsetzen – schreibt Sam Morgan auf EURACTIV.com (und er schickt einen Kommentar hinterher).
Experten der Kommission arbeiten derzeit an den Zahlen für eine Reihe von potenziellen Szenarien für 2050. Diese lassen sich in drei Hauptgruppen einteilen: Entweder 80 Prozent Emissionssenkung, 90 Prozent weniger oder Netto-Null-Emissionen. Alle diese Szenarien müssten dabei sicherstellen, dass zumindest die Pariser grenze von maximal 2 Grad Celsius globaler Temperaturerhöhung nicht überschritten wird. Entscheidend wird dabei sein, wie die Kommission die Optionen vorlegt – vor allem die finanziellen Auswirkungen der einzelnen Szenarien – obwohl es politische Unterstützung für das Netto-Null-Szenario gibt.
Die EU-Exekutive arbeitet nicht das erste Mal an einem Plan für 2050. Eine Vorgängerversion von 2011 hatte 40 Prozent Kürzungen bis 2030, 60 Prozent bis 2040 und 80 Prozent bis 2050 vorgeschlagen. Die Schlussfolgerungen des EU-Rates zu dieser Strategie wurden jedoch nie angenommen, da Polen 2011 und erneut 2012 ein Veto einlegte. Es scheint so, als ob die politischen Entscheidungsträger in der Kommission immer noch von diesem Misserfolg gezeichnet sind: Denn Quellen, die mit dem laufenden Prozess vertraut sind, erklärten gegenüber EURACTIV, ein eher konservativer Ansatz werde ins Auge gefasst, insbesondere in der Klimadirektion (DG CLIMA).
Die Generaldirektion CLIMA hat eine führende Rolle im Entwurfsprozess übernommen und plant angeblich, eine Option vorzuschlagen, die weitgehend an den bisherigen Klimazielen der EU festhält. Damit dürfte sie das Ziel verfolgen, die Mitgliedstaaten leicht von der Unterstützung dieser Ziele zu überzeugen.
Vage Formulierungen
Umstritten ist vor allem der vage Wortlaut des Pariser Abkommens, das als Ziel ausgibt, die globale Erwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts „deutlich unter 2 Grad Celsius“ zu begrenzen. Die Formulierung „deutlich unter“ lässt viel Spielraum für Interpretationen. Je nach Lesart könnte das bedeuten, dass die Erwärmung auf knapp unter 2° C oder alternativ nahe an 1,75° C begrenzt werden soll. Letzteres bezeichnen viele Klimaexperten als „eher dem Geist von Paris entsprechend“. Befürworter des „knapp unter“-Ansatzes nutzen hingegen den entstandenen Raum, den der vage Wortlaut bietet: Sie argumentieren, die aktuelle Entwicklung Europas biete eine Chance von 66 Prozent, das Ziel von „deutlich unter zwei Grad“ zu erreichen. Damit beziehen sie sich jedoch eher auf die Klimaschutzverpflichtungen von Cancun im Jahr 2010, die eine Chance von 66 Prozent sahen, „unter 2° C zu bleiben“. Im endgültigen Text von Cancun wird im Gegensatz zu Paris nicht von „deutlich unter“ zwei Grad gesprochen.
Klimaaktivisten erklärten auf Nachfrage von EURACTIV, dieser konservative Ansatz würde – sollte er tatsächlich angenommen werden – im Grunde genommen „bedeuten, dass das Pariser Abkommen schlichtweg nicht zustande gekommen ist”.