ntv-Interview mit Klaus Töpfer
Ex-UNEP-Direktor und Umweltminister a.D. Klaus Töpfer wurde einmal – zu Unrecht – als „Verbotsminister“ gebrandmarkt – in einem ausführlichen Interview (das Hubertus Volmer führte) mit dem Nachrichtensender n-tv propagierte er am 20.10.2018 eine kluge Alternative zum Verbot: Man müsse „Attraktivitäten außerhalb des Autofahrens erzeugen.“ Als Beispiel nannte er den gegenwärtigen Fahrradboom.
Töpfer nannte ihn „eine geradezu explosive Entwicklung“ Als er herangewachsen sei, sei das Fahrradfahren normal gewesen. Zwischenzeitlich habe das zwar aufgehört, „aber plötzlich haben die Menschen entdeckt, dass es gut für die Gesundheit ist, dass man besser vorankommt, dass man keinen Parkplatz suchen muss, dass es preiswerter ist. Es ist vor allem ein Lebensgefühl. Ich finde das fantastisch. Und immer mehr stellen sich die Frage: Will ich etwas haben oder will ich es nutzen?“ Und er kam gleich aufs Carsharing: Er habe nicht geglaubt, „dass sich das so rasant entwickelt. Für viele Menschen ist es kein Verzicht, kein Auto zu haben – es ist ja auch ein Gewinn an Lebensqualität, wenn man abends nicht eine Stunde im Stau steht.“
Töpfer räumte ein, dass es eine schwierige Aufgabe sei, Akzeptanz zu erreichen, etwa bei der Endlagerung. Der Co-Vorsitzende des Nationalen Begleitgremiums zur Entsorgung hochradioaktiver Abfallstoffe („ein gesellschaftliches Experimentierprogramm“) so: Zunächst müsse man das Problem als solches akzeptieren. Wenn man sage, es gebe kein Problem, dann mache man es dazu. Deshalb sei die neue Struktur entwickelt worden: „Von den 18 Mitgliedern sind sechs zufällig aus der Mitte der Bevölkerung heraus bestimmte Menschen – das hätte jeden treffen können. Das sind keine Experten, sondern Menschen, die von dem betroffen sein könnten, was da entschieden werden soll. Mit der Gründung des Begleitgremiums wurde anerkannt, dass man dieses Problem nicht mit einem ‚Basta‘ lösen kann. In Gorleben wurde das versucht. Das Ergebnis ist bekannt.“
Töpfer will Menschen in Prozesse einbinden, die sie unmittelbar selbst betreffen. „Wir lehnen es daher auch sehr ab, uns auf eine Zeitachse festzulegen, etwa, dass es bis 2030 eine Entscheidung geben muss. Ob das hinterher zu einer Art duldenden Hinnahme führt, weiß ich nicht. Ich glaube, es kann dahin führen, aber niemand wird das garantieren können. Ich werde das nicht mehr erleben – ich bin jetzt 80 Jahre alt.“
Es sei immerhin mittlerweile belegt, dass eine Volkswirtschaft auch ohne Kernenergie gesellschaftlich, wirtschaftlich und politisch stabil und erfolgreich sein könne – daher gehe es jetzt um den Zeitplan: Wie wir rausgehen, wie lange das dauert, was man flankierend dazu macht. Und: Jetzt müssten wir uns „fragen, wie wir die Zukunft gestalten wollen. Wie wir aus Abhängigkeiten von Großtechnologien herauskommen. Der Papst sagt: Beherrschen wir die Technik oder beherrscht die Technik uns? In der Enzyklika ‚Laudato Si‘ spricht er vom technokratischen Paradigma.“
Laut Töpfer haben wir „Ungleichheiten in der Welt mit verursacht, die jetzt Folgen für uns haben“. Von den bald neun Milliarden Menschen hätten viele in keiner Weise Teil am technologischen unseren Wohlstand bestimmenden Fortschritt. Wie wir damit umgingen, sei eine „Frage für die Zukunft“.
Angesichts dessen, dass immer wieder Umwelt- und Klimaschutz entweder gegen Arbeitsplätze oder gegen Flüchtlinge ausgespielt werde, bemühe er sich sehr, „nicht in Verzweiflung zu verfallen“. Denn aus Verzweiflung heraus sei noch „nie etwas Vernünftiges gemacht“ worden. Wichtig sei zu erkennen, dass die anderen Interessen „nicht von vornherein falsch“ seien. Man müsse „nur sagen, welchen Preis wir dafür zahlen müssen“. Und Töpfer nahm Woidke aufs Korn, der habe kürzlich gesagt, ein schneller Kohleausstieg stärke die AfD. Töpfer: „Augenblick mal: Die Welt geht unter, aber wir reden darüber, ob die AfD gestärkt wird? Natürlich wird es möglicherweise so sein. Die AfD leugnet den Klimawandel, und wer seinen Arbeitsplatz verliert, weil Deutschland aus der Kohle aussteigt, könnte sich veranlasst sehen, die AfD zu wählen.“
Man könne immer sagen: „Jetzt nicht und nicht so schnell“. Aber es sei Aufgabe der Politik, den Menschen zu erklären, dass und warum es doch schnell gehen müsse. Und natürlich dürften die Betroffenen möglichst nicht unter dem Ausstieg leiden. Zumal es „kontraproduktiv ist, in einer Art und Weise vorzugehen, dass man keine Mehrheit mehr für sein Vorhaben hat“. Töpfer: „Ich muss mich schon darum kümmern, dass das, was ich als richtiges Ziel ansehe, eine demokratische Mehrheit bekommt.“
->Quelle und komplettes Interview: n-tv.de/Klaus-Toepfer