Grüne fordern mehr Klimaforschung

Wortlaut: Ein Forschungsrahmenprogramm im Kampf gegen die Klimakrise

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Klimaforschung ist die Grundlage jeder effektiven, nachhaltigen und verantwortungsvollen Klimapolitik. Während die ersten Folgen der Klimakrise bereits für viele Menschen im Alltag spürbar sind, können Klima- und Klimafolgenforschung die dahinter liegenden Wirkungsmechanismen sichtbar machen. Sie zeigen so die verbliebenen Möglichkeiten auf, die menschengemachte Erderhitzung zu begrenzen. Sie führen aber auch vor Augen, welche Konsequenzen menschliches Nichthandeln beim Klimaschutz hätte. Ihre Forschungsergebnisse sind darum über die Wissenschaft hinaus von größter Bedeutung für Politik und Gesellschaft.
Die Finanzierung der Klima- und Klimafolgenforschung wird der gesellschaftlichen Bedeutung dieses Forschungsbereichs seit Jahren nicht gerecht. An den Universitäten, den Hochschulen für angewandte Wissenschaften, den außeruniversitären Forschungseinrichtungen sowie Klimaforschungsinstituten in Deutschland wird Klimaforschung auf internationalem Spitzenniveau betrieben. Dies ist allerdings zunehmend nicht wegen, sondern trotz der Förderpolitik der Bundesregierung der Fall. Die exzellente Forschungsarbeit braucht eine bessere Finanzierung durch öffentliche Drittmittelgeber, Wissenschaftsfreiheit, Wertschätzung und eine effizientere Wissenschaftskommunikation. Wegweisende Projekte wie das Rahmenprogramm „Forschung für Nachhaltige Entwicklung“ (FONA) oder die 2019 beginnende Arktis-Expedition MOSAiK (Multidisciplinary drifting Observatory for the Study of Arctic Climate) finden weltweit große Anerkennung. Andere wichtige Vorhaben wie die „Allianz für Meeresforschung“ werden aber auch weiterhin viel zu langsam umgesetzt. Wir brauchen darum ein eigenständiges Forschungsrahmenprogramm für die Klimaforschung, verbunden mit einem strategi-schen Ansatz, um verbliebene Wissenslücken in der Grundlagen- und der anwendungsorientierten Forschung zu schließen.
So müssen die globalen Modelle auf die lokalen Bedingungen „heruntergebrochen“ werden um regionale und lokale Auswirkungen mit größerer Tiefenschärfe prognostizieren zu können (sog. Downscaling). Bestehende Beobachtungssysteme gilt es auszubauen und disziplinübergreifend in Datenbanken zusammenzuführen, um auch biogeochemische oder marine Prozesse besser modellieren zu können. Wenn komplexe Gesamtsysteme wie der Golfstrom im Atlantik oder die Permafrostböden in der sibirischen Tundra als Folge der Klimakrise erst einmal „kippen“, ist es für ein menschliches Umsteuern zu spät und eine selbstverstärkende Kettenreaktion der globalen Erhitzung kann in Gang geraten. Das Wissen über solche Kippelemente müssen wir darum ausbauen. Denn obwohl bereits viele mögliche Kipp-Punkte identifiziert sind, so besteht doch weiterhin eine hohe Unsicherheit darüber, ab welcher Temperatur ganze Ökosysteme kippen.
Die wissenschaftlichen Warnungen häufiger und intensiver auftretender Naturkatastrophen weiterhin zu ignorieren, hätte fatale Folgen. Welche Gefahren das aber ganz konkret für einzelne Lebensbereiche bedeutet, ist häufig noch unklar. Durch eine stärkere interdisziplinäre Verankerung der Klimafolgenforschung wären dazu fundiertere Aussagen möglich. So wissen wir bisher beispielsweise nicht, welche neuen Krankheiten sich in Deutschland und weltweit verbreiten, wenn die globale Temperatur steigt. Der Landwirtschaft droht bei regelmäßigen Hitzewellen oder Starkregenfällen eine Dauerkrise. Doch auch andere Wirtschaftszweige – von der Fischerei bis zum Tourismus – stünden vor gewaltigen Herausforderungen, auf die es bisher zu wenige Antworten gibt.
Nicht zuletzt ist Klimaforschung damit auch eine Frage der zivilen Sicherheit: Während sich BevölkerungsschützerInnen vor Ort aber auch große Rückversicherer längst intensiv über die Auswirkungen der Klimakrise Gedanken machen, spielt sie im Rahmenprogramm der Bundesregierung „Forschung für zivile Sicherheit“ keine Rolle. Es gibt keine systematischen Untersuchungen darüber, wie sich der Bevölkerungsschutz auf die Klimakrise einstellen muss. Doch selbst wenn wir global und unmittelbar ambitionierte Maßnahmen zum Klimaschutz ergreifen würden, werden wir uns auch dann noch mit den unvermeidlichen Auswirkungen beschäftigen müssen.Wir müssen wissen, wie unsere kritischen Infrastrukturen für die Bewältigung von neuen Extremereignissen wie Starkregen oder Dürren sicher gemacht werden können, um diese Erkenntnisse in Szenarien der Behörden einfließen zu lassen und auf die Folgen der Klimakrise adäquat zu reagieren.
Trotz dieser bestehenden Forschungsbedarfe zu einzelnen Aspekten ist der unmittelbare Handlungsbedarf bei der Minderung der Treibhausgase wissenschaftlich unstrittig. Gleichzeitig wird politisch nicht genug getan. Diese Kluft zwischen Wissen und Handeln müssen wir besser verstehen, um sie endlich schließen zu können. Dafür gilt es insbesondere die sozialpsychologische, verhaltensökonomische und kommunikationswissenschaftliche Forschung in Bezug auf die Klima-krise zu stärken und die Rolle von Emotionen, Werten und Normen für Handlungsfähigkeit von Gesellschaften herauszuarbeiten. Wir brauchen eine verstärkte Forschung zu bestehenden Lösungsansätzen, um Hürden bei der Umsetzung zu analysieren und die Klimaschutzpolitik hinsichtlich ihrer sozial-ökologischen Nachhaltigkeit weiterzuentwickeln. Gerade in anwendungsnahen Bereichen sind mehr transdisziplinäre Forschungsformate zu stärken, um WissenschaftlerInnen mit PraxispartnerInnen aus Zivilgesellschaft, Verwaltung, Wirtschaft und Politik für die Entwicklung nachhaltiger Lösungen zusammenzubringen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

ein Rahmenprogramm zur Klima- und Klimafolgenforschung zu beschließen, das ressortübergreifend alle Förderaktivitäten der Bundesregierung im Bereich der Klima- und Klimafolgenforschung verknüpft, bündelt, weiterentwickelt und stärkt. Mit diesem Rahmenprogramm sollen
a) pro Jahr bis zu 100 Millionen Euro zusätzlich für die Klima- und Klimafolgenforschung bereitgestellt werden;
b) Schwerpunkte auf die Klimaforschung im Bereich der Klimamodellierung, regionaler und sektoraler Aspekte der simulierten Klimaänderung sowie die Klimafolgenforschung, insbesondere bezüglich regionaler Un-terschiede und Interaktionen mit anderen gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Wandlungsprozessen, gesetzt werden;
c) insbesondere biologische, chemische, geologische, ozeanographische, meteorologisch, geophysikalische und glaziologische Langzeitmessungen verstetigt und intensiviert werden;
d) die Weiterentwicklung der Mess- und Beobachtungsinfrastruktur und der Datenauswertung auch in neuen, interdisziplinären Modellverbünden auf Dauer sichergestellt werden;
e) die Allianz für Meeresforschung zügig vorangebracht werden um die vorhandene Expertise in der Küsten-, Meeres-, Ozean-, Tiefsee- und Polarforschung zu bündeln und die deutsche Forschungsflotte, seegehenden Großgeräte und datentechnischen Infrastruktur weiterzuentwickeln. und mit einer eigenen Strukturellen Förderung von bis zu 100 Millionen Euro pro Jahr finanziert werden;
f) interdisziplinäre Ansätze in der Klima- und Klimafolgenforschung gestärkt werden, insbesondere um die Zusammenarbeit von Natur-, Lebens- und Sozialwissenschaften zu fördern;
g) die Forschung für die zivile Sicherheit stärker mit der Klimaforschung verschränkt werden um die Ergebnisse in die Katastrophenszenarien der zuständigen Behörden einfließen zu lassen;
h) stärker erforscht werden, wie die Infrastrukturen hierzulande und weltweit angesichts der extremen Auswirkungen der Klimakrise gesichert werden müssen;
i) die empirische, international vergleichende Forschung zu Politikinstrumenten und Lösungsansätze ausgebaut werden, um politische und ökonomische Maßnahmen zum Klimaschutz auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse weiterzuentwickeln;
j) die sozio-ökonomischen Transformationsforschung in Sinne der Nachhaltigkeit und des Klimaschutzes gestärkt werden, um gesellschaftliche Veränderungsprozesse für eine erfolgreiche Dekarbonisierung der verschiedenen Lebens- und Wirtschaftsbereiche anzustoßen;
k) die sozialpsychologische, verhaltensökonomische und kommunikationswissenschaftliche Forschung zur Klimakrise gestärkt werden, also Ansätze sowohl zur Vermittlung der Erkenntnisse der Klimaforschung in Politik und Gesellschaft also auch zur Erkenntnisgewinnung aus der Gesellschaft für die Klimaforschung. Dies sollte den Wissenstransfer im Bereich der Bildungsmaßnahmen mit einschließen;
l) transdisziplinäre Forschungsansätze umfassend verankert werden. Hier soll die Forschungsagenda im Codesign zwischen Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Verwaltung erarbeitet und beispielsweise im Rahmen von Reallaboren für den Klimaschutz kooperativ umgesetzt werden;
m) die international ausgerichtete Friedens- und Konfliktforschung hinsichtlich der klimabezogenen Risiken gestärkt werden, um zu verhindern dass Gesellschaften durch die Klimakrise weiter unter Druck geraten und bewaffnete Auseinandersetzungen und Fluchtdynamiken zunehmen;
n) Maßnahmen, die die internationale Zusammenarbeit in der Klimaforschung fördern, weiter ausgebaut werden.

->Quellen: