Eine Handreichung von klimafakten.de
Bei Hitzewellen, Starkregen oder Stürmen möchten viele wissen: Ist das schon der Klimawandel? Doch die Frage ist schwierig zu beantworten, das Thema komplex. Frank Böttcher, langjähriger Wetterjournalist und Vorstandsmitglied der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft erklärte am 13.11.2018 auf klimafakten.de, was man bei Berichten über Extremwetter und Klimawandel vermeiden sollte – und wie man es besser macht.
In den vergangenen Monaten war die Frage in aller Munde: Welchen Anteil hatte der Klimawandel an der extremen Dürre und Hitze des Sommers 2018? Doch auch schon bei früheren Hitzeperioden, bei Starkregen und Überschwemmungen oder aktuell bei den verheerenden Waldbränden in Kalifornien oder Taifunen auf den Philippinen – der (mögliche) Zusammenhang mit der Erderhitzung interessiert das Publikum sehr. Journalistinnen und Journalisten schreiben deshalb häufig über den Zusammenhang von Klimawandel und Extremwetterereignissen. Doch das Thema ist kompliziert, die Wissenschaft im Fluss, die Fußangeln für die Berichterstattung zahlreich.
[note Frank Böttcher, 50, DMG-Vorstandsmitglied, arbeitet seit 2007 als Wettermoderator, zunächst für private Hörfunk- und Fernsehsender, seit 2014 auch für den Norddeutschen Rundfunk (NDR). Seine meteorologische Laufbahn begann er schon als Jugendlicher – als ehrenamtlicher Niederschlagsbeobachter für den Deutschen Wetterdienst (DWD). Jahrelang hat er in Hamburg den Extremwetterkongress organisiert, 2014 mit seinem ARD-Kollegen Sven Plöger das Buch Klimafakten veröffentlicht. 2018 erschien sein Buch Reise durch das Extremwetter der Erde. Wir fragten ihn, worauf Medien bei der Berichterstattung über Extremwetter und Klimawandel achten sollten – und was es zu vermeiden gilt.]
1. Fehler: Sie sagen, der Klimawandel habe ein Extremereignis „verursacht“
Ganz gleich, ob Hitzewelle oder Starkregen: Der Klimawandel ist nie der einzige Grund für eine bestimmte Wetterlage. Viele Faktoren tragen dazu bei, dass es zum Beispiel stürmt und/oder gießt. „An einem einzelnen meteorologischen Phänomen kann ich den Klimawandel weder beweisen noch widerlegen“, erläutert Böttcher. Weder ist beispielsweise ein zu heißer Sommer der Beweis für den Klimawandel noch ist ein kalter Winter der Gegenbeweis.
Besser: Danach fragen, welchen Anteil der (menschengemachte) Klimawandel an einem Wetterereignis hat
„Am besten stellen wir uns vor, dass der zusätzliche Antrieb, der den Klimawandel verursacht, bei jedem Wetter wie ein Rauschen im Hintergrund dabei ist“, so Böttcher, „bestimmte Wetterlagen häufen sich, andere werden seltener.“ Im Oktober 2018 traf beispielsweise der tropische Wirbelsturm Leslie vom Atlantik aus auf die Küste Portugals, es gab zahlreiche Verletzte, der Verkehr brach zusammen, tausende Haushalte waren ohne Strom. Bei der Berichterstattung über Ereignisse wie diese empfiehlt es sich zu fragen: Treten Stürme dieser Größenordnung und Strukur aufgrund des Klimawandels in Europa häufiger oder seltener auf? Beziehungsweise: Werden Wetterereignisse dieser Schwere wahrscheinlicher oder unwahrscheinlicher?
„Mit immer besseren Modellen gelingt es der Wissenschaft zunehmend besser, den Anteil abzuschätzen, den die globale Erwärmung an einem bestimmten Wetterereignis hat“, erläutert Böttcher. Als Attributionsforschung wird dieser noch junge Zweig der Klimawissenschaften bezeichnet. So kam ein internationales Forscherteam beispielsweise zu dem Ergebnis, dass sich die Wahrscheinlichkeit für Extremsommer wie jenen von 2018 durch den Klimawandel bereits verdoppelt hat. Umgekehrt konnten Forscher beispielsweise nachweisen, dass die Wahrscheinlichkeit für die Dürre, die den brasilianischen Bundesstaat São Paulo im Jahre 2014 heimsuchte, durch den Klimawandel nicht wesentlich beeinflusst wurde.
Bei der Berichterstattung über Extremwetter ist deshalb eine sinnvolle Frage: „Wie groß ist der Anteil des Klimawandels an der Wahrscheinlichkeit des Extremwetterereignisses X oder Y?“
2. Häufiger Fehler: Vermischung von Häufigkeit und Intensität
Seit rund vier Jahrzehnten nehmen die Schäden durch Unwetter in Deutschland zu, etwa an Häusern, Straßen- oder Stromnetzen. Versicherungsunternehmen führen darüber Buch (und rechnen dabei sorgfältig zum Beispiel den Effekt durch die allgemeine Preissteigerung heraus). Doch es wäre falsch, von den zunehmenden Schadenshöhen auf eine steigende Zahl von Gewitterstürmen zu schließen. Klimaforscher können noch nicht mit Sicherheit sagen, dass Unwetter in Deutschland bereits häufiger geworden sind (siehe Punkt 5). Warum Gewitter immer mehr Schäden verursachen, liegt eher an ihrer jeweiligen Intensität.
Besser: Präzise sein
Bei der Berichterstattung zu Extremwetterereignissen sind genaue Formulierungen besonders wichtig: Nimmt die Stärke von Extremwetterereignissen zu oder ihre Zahl? Oder vielleicht auch beides? Werden zum Beispiel Hitzewellen tatsächlich heißer? Oder dauern sie jeweils länger? Oder steigen die Temperaturspitzen? Verändern sich die Gebiete, in denen Extremeignisse zu erwarten sind?
Ziemlich klar ist der Einfluss des Klimawandels auf die Intensität beispielsweise von Starkregen, erklärt Frank Böttcher – und der Mechanismus dahinter ist relativ simpel: „Eine Atmosphäre, die wärmer ist, kann mehr Feuchtigkeit aufnehmen. Diese Feuchtigkeit muss dann auch wieder heraus, und das passiert im Sommer auch durch stärkere Gewitter. Das ist reine Physik.“ Für die Experten steht deshalb fest, dass in Deutschland das Risiko für Sachschäden im Sommer durch die Zunahme stärkerer Unwetter zunimmt.
Niedrigwasser am Rhein bei Wiesbaden im August 2018. Über Hitzeextreme und ihren Zusammenhang mit dem Klimawandel kann die Forschung bereits relativ sichere Aussagen treffen – etwa dass die Wahrscheinlichkeit für einen Rekordsommer wie jenen von 2018 sich infolge der Erderwärmung bereits verdoppelt hat – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft für Solarify.
3. Fehler: Allgemeine Schlüsse aus (zu) kurzen Zeiträumen ziehen
Man kann in den Langzeit-Daten zur Erderwärmung zahlreiche kurze Zeitabschnitte finden, in denen die globale Lufttemperatur nicht gestiegen ist. Doch daraus lässt sich keinesfalls schließen, der Klimawandel mache eine Pause, so Frank Böttcher. „Es ist wichtig zu verstehen, dass es erhebliche Schwankungen im Klimasystem geben kann“, erläutert er. „So kann die globale Lufttemperatur als Ergebnis der natürlichen Variabilität auch mal ein paar Jahre lang stagnieren oder sogar sinken.“
Besser: Die Entwicklung über längere Zeiträume betrachten – und auf das gesamte Klimasystem schauen
Um Daten korrekt einzuordnen, müsse man auf das gesamte Klimasystem schauen, betont Böttcher. So ist ein Blick allein auf die Entwicklung der Lufttemperaturen der Erde zu wenig. „Die Atmosphäre nimmt nur 2,3 Prozent der Energie auf, die durch den menschlichen Einfluss zusätzlich ins Klimasystrem gelangt. Einen weitaus größeren Teil, nämlich 93 Prozent nehmen die Ozeane auf.“
So stagnierte etwa die Lufttemperatur im Zeitraum 2003 bis 2013, doch zugleich wurden die Weltmeere wärmer. „Wenn kühlere Strömungen nach oben kommen, nimmt der Ozean mehr Energie aus der Atmosphäre auf und dämpft somit den Anstieg der globalen Lufttemperatur“, erläutert Frank Böttcher. „Aber sobald wärmere Wassermassen an die Oberfläche kommen, springt der atmosphärische Temperaturanstieg wieder an.“
4: Fehler: Wissenschaft kann alle Extremwetter gleich gut einschätzen
Über Gewitter zum Beispiel gibt es bislang zu wenige Daten, um belastbare Aussagen zu ihrer Langfristentwicklung und den Zusammenhang mit dem Klimawandel treffen zu können. „Gewitter sind in der Regel eher kleinräumig“, sagt Böttcher. „Deren stärkster Niederschlag fällt oft an einer Messstation vorbei. Deshalb wurden in der Vergangenheit viele Starkregenfälle gar nicht gemessen, und die wenigen Treffer sind statistisch nicht immer verlässlich.“
rst seit rund 20 Jahren wird die Information über das Auftreten von Gewittern hierzulande flächendeckend gesammelt, seitdem erfassen Radarstationen des Deutschen Wetterdiensts (DWD) Niederschläge über dem gesamten Bundesgebiet. „Wir müssen auf die Daten der nächsten Jahrzehnte warten, um besser sagen zu können, wie sich die Starkregenfälle in Folge des Klimawandels verhalten, ob sie häufiger vorkommen, oder ob es häufiger zu stationären Gewitter kommt als früher. Zwar spricht im Moment deutlich mehr dafür als dagegen – aber sicher sagen kann man es noch nicht. Unsicherheit zu erwähnen, ist ehrlich; sie ist fester Bestandteil der Naturwissenschaft. Sie ist mal größer und mal kleiner.“
Besser: Das Publikum hinter die Kulissen der Forschung blicken lassen
Verfeinerte Klimamodelle und schnellere Computer machen es zunehmend möglich, extreme Wetterphänomene in einen direkten Zusammenhang mit dem Klimawandel zu bringen. Es schafft Vertrauen, bei der Berichterstattung diesen Kontext zu erläutern und genau zu benennen, warum Klimaforscher die Rolle des globalen Wandels für eine bestimmte Region oder ein bestimmtes Ereignis bereits verstehen – und weshalb dies bei anderen Ereignissen (zum Beispiel Gewitter, siehe oben) noch nicht mit wissenschaftlicher Sicherheit möglich ist.
„Je direkter ein Extremwetter mit der Temperatur zusammenhängt, desto verlässlicher kann man heute bereits sagen, ob und wie sehr es mit dem Klimawandel zusammenhängt”, erklärt Frank Böttcher. Am größten ist die Sicherheit bei Temperaturextremen – also bei Hitzewellen oder der Abnahme von extrem kalten Tagen; am niedrigsten ist die Sicherheit bei der Entwicklung von kleinräumigen Niederschlagsereignissen, also zum Beispiel Gewittern.“ Daneben gibt es auch regionale Unterschiede: Bei tropischen Stürmen (etwa Hurrikanen bzw. Taifunen) zeigt sich ein Zusammenhang mit dem Klimawandel bereits deutlich – weil sie über den wärmer gewordenen Ozeanen mehr Energie aufnehmen können, werden sie stärker (aber nicht unbedingt häufiger). Hingegen gibt es für Stürme in Mitteleuropa weniger Signale für größere Veränderungen. Böttcher: „So zeigen an der Nordsee sowohl Mittelwinde als auch Windspitzen seit 1880 keine signifikanten Veränderungen.“
5.Fehler: Den Eindruck erwecken, die Forscher würden die Zukunft kennen
Mittlerweile gelingt es den Forschern immer besser, eine Verbindung von Extremwetter und Klimawandel nachzuweisen. Doch wie die Verhältnisse in 80 Jahren aussehen werden, hängt zum Beispiel stark davon ab, inwieweit es den Menschen gelingt, den Ausstoß des Klimagases CO2 zu reduzieren. Klimamodelle sind daher immer Szenarien, die auf Annahmen menschlichen Verhaltens basieren und dürfen deshalb nie mit Prognosen gleichgestellt werden.
Besser: Unsicherheiten benennen
„Ein wesentlicher Faktor für Glaubwürdigkeit besteht darin, die Unsicherheit zu benennen“, sagt Klimaexperte Böttcher. „Wir wissen nicht, ob der Temperaturanstieg bis zum Ende des Jahrhunderts exakt 1,5 oder sogar 2,4 Grad Celsius betragen wird. Klar ist aber, dass er niedriger ausfällt, wenn die Menschheit entsprechende Maßnahmen ergreift – und dass es auf der Erde heißer wird, wenn wir weitermachen wie bisher.“ Der Meteorologe unterstreicht, dass folglich jedes Klimaszenario eine Aussage ist, die aus „wenn…“ und „dann…“ besteht.
6. Fehler: Die Zukunft als normal zu bezeichnen
Das Klimasystem ist träge, es reagiert erst mit Zeitverzögerung auf Veränderungen, etwa die Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre. „Das Klima steckt bereits mitten im Wandel“, erläutert Frank Böttcher. „Es wird sich irgendwann ein neuer, stabiler Zustand einstellen. Doch das, was wir heute erleben, ist ein System im Veränderungsprozess.“ Das bedeutet auch: Selbst wenn die Treibhausgasemissionen heute stoppen würde, würden die Lufttemperaturen weiter zunehmen, der Meeresspiegelanstieg sich noch jahrhundertelang fortsetzen. Ein neuer Zustand wird uns dann zur Regel, aber ein „normaler“ Zustand ist das nicht.
Besser: Bezüge zwischen aktuellen Wetterextremen und der Zukunft herstellen
Doch erlaubt die Frage nach dem künftigen Zustand laut Böttcher erhellende Vergleiche mit dem Zustand in der Gegenwart. Steigt beispielsweise die Temperatur im Sommer an besonders vielen Tagen auf über 30 Grad Celsius, so kann man eine Aussage darüber treffen, wann (nach den wahrscheinlichsten Szenarien) ein solcher Sommer in Zukunft die Regel wäre. Ergebnis: Der Sommer 2018 wäre in einem mittleren Klimaszenario für das Jahr 2070 der Regelzustand.
7. EXTRATIPP – Besser: Bilder im Kopf erzeugen
„Klima und Klimawandel sind schwierige, abstrakte Themen“, sagt Frank Böttcher. „Umso wichtiger ist es, anschauliche Metaphern zu verwenden und so dem Publikum beim Verstehen zu helfen.“
Beim Zusammenhang von Extremwettern und Klimawandel biete sich zum Beispiel das Bild eines Würfels an: Eine Sechs (also ein Extremwetter) gibt es bei normalen Spielverlauf immer mal wieder. Die menschlichen Veränderungen des Klimasystems manipulieren den Würfel – es gibt künftig zwei oder gar drei Seiten, die sechs Punkte zeigen. Es wird also beim Würfeln viel öfter eine Sechs fallen. Ihre Wahrscheinlichkeit steigt deutlich. Aber niemand wird mit Sicherheit sagen können, ob eine bestimmte Sechs (bzw. ein bestimmtes Extremwetter) nicht auch bei einem ungezinkten Würfel (oder einer Welt ohne Klimawandel) aufgetreten wäre. Genau deshalb ist es so wichtig, nach der Wahrscheinlichkeit bzw. Häufigkeit von Extremwettern angesichts eines veränderten Klimas zu fragen statt danach, ob der Klimawandel ein bestimmtes Extremwetter direkt verursacht hat.
Ein weiteres Bild, das Frank Böttcher empfiehlt: Der Mensch verändert das Klima in etwa so, als würde er einen Ventilator neben einen tropfenden Wasserhahn stellen. Die Grundmechanismen der Physik wirken weiterhin (also die Wassertropfen fallen nach unten). Aber je stärker man den Ventilator hochdreht (bzw. in das Klimasystem eingreift), desto stärker werden die Wassertropfen abgelenkt.
Text: Stephanie Eichler