In Katowice steht viel auf dem Spiel

1,5-Grad-Grenze bald überschritten

1,5-Grad-Grenze – Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

Mit Spannung wird der UN-Klimagipfel COP24 in Katowice erwartet. Jüngste Prognosen zeigen, dass das 1,5 Grad-Grenze bald überschritten zu werden droht. Über ihre Erwartungen zu Katowice sprach die Agentur für Erneuerbare Energien mit Prof. Sonja Peterson (IfW-Kiel) und Prof. Claudia Kemfert (DIW).

Der Sonderbericht des IPCC (s. auch: solarify.eu/sputet-euch) zeigte unlängst, dass es bis Ende des Jahrhunderts noch möglich wäre, die Erderwärmung bei 1,5 Grad Celsius zu stoppen. Wie beurteilen Sie diese Ergebnisse?

Sonja Peterson: Insgesamt waren diese Ergebnisse für mich keine Überraschung. Ich wusste, dass die Ziele extrem ambitioniert, aber mit entsprechenden Anstrengungen technisch zumindest erreichbar sind. Politisch ist es schon schwieriger. Klimaschutz ist eben kein Selbstläufer.

Claudia Kemfert: Einerseits ist es natürlich großartig, dass die Begrenzung der Erderwärmung noch möglich ist, andererseits zeigt der Bericht eindrücklich, dass das erhebliche Anstrengungen erfordert. Insofern macht der Bericht Mut, endlich entschlossen zu handeln: Wenn wir jetzt die Ärmel hochkrempeln, ist es zu schaffen! Wir können den irreversiblen Klimawandel noch aufhalten, wenn… – ja, wenn, aber eben auch nur, wenn wir die Treibhausgasemissionen senken, und zwar rasch! Die bisherigen Anstrengungen waren nicht genug. Es ist höchste Zeit zu handeln!

Welche Signale sendet der Bericht an den UN-Klimagipfel in Katowice im Dezember?

Sonja Peterson: Der Bericht zeigt, dass erhebliche Maßnahmen notwendig sind, und er setzt damit bewusst Signale an den Klimagipfel in Katowice: Wir müssen voranschreiten, weil es sonst definitiv auch technisch nicht mehr möglich sein wird, das Klimaziel zu erreichen. Es muss aber auch klar sein, dass es wirklich erheblicher Maßnahmen bedarf und es vermutlich auch nicht ohne negative Emissionen geht, also ohne Technologien zur CO2-Abspeicherung. Meine Kollegen beschäftigen sich hier beispielsweise mit verschiedenen Climate-Engineering-Technologien und sehen hier erhebliche Risiken.

Claudia Kemfert: Wir brauchen mehr Tempo! Das ist die Kernbotschaft. Das Pariser Klimaabkommen wurde zwar schnell ratifiziert, es ist das „Grundgesetz des internationalen Klimaschutzes“. Aber in der konkreten Umsetzung hapert es. Wir dürfen nicht länger den Schwarzen Peter, wer schuld ist, herumreichen, sondern müssen die gemeinsame Verantwortung auch gemeinsam tragen. Dabei sollten die Schnellen die Langsamen unterhaken, damit wir endlich gemeinsam auf der weiten Klimaschutz-Strecke vorwärts kommen.

Laut einer Analyse von Grantham Research Institute on Climate Change and the Environmente, ESRC Centre for Climate Change Economics and Policy (beide London School of Economics) und World Resources Institute (siehe solarify.eu/cop24-magere-ndc-ausbeute) haben bisher nur 16 der 197 Länder, die das Klimaabkommen von Paris unterschrieben haben, einen entsprechenden nationalen Klimaschutzplan definiert. Was erwarten Sie von der COP24?

Sonja Peterson: Es ist eigentlich nichts Neues, dass sich die internationale Gemeinschaft zu gemeinsamen Klimazielen bekennt, die Maßnahmen, die dann aber erfolgen, eine erhebliche Lücke zu den Zielen aufweisen. Hier hat sich in den vergangenen Jahren nicht viel geändert, so war es auch beim 2-Grad-Ziel. Bei festgesetzten Zielen für viele Länder war das Papier bisher sehr geduldig: Es werden schöne Ziele vereinbart, die in der Praxis jedoch nicht erreicht werden. So war das Pariser-Abkommen zwar ein Meilenstein, aber viele Schritte erfolgten einfach zu langsam, gemessen an dem zeitlichen Druck, unter dem wir stehen.

Paris hat einen großen Rahmen geschaffen, dem die Industrie- und Entwicklungsländer zustimmen können. In den nachfolgenden Konferenzen wie in Katowice geht es um die technische Umsetzung zur Erreichung der Ziele, aber auch darum, für die einzelnen Staaten Ziele einzuführen und diese in Reviews nach und nach immer straffer zu gestalten. Der große Rahmen aus Paris war sehr wichtig, aber der Teufel steckt im Detail. Wir müssen nun sehen, wie wir dem Rahmen technisch gerecht werden können. So wie ich das wahrnehme, geht es in Katowice substantiell darum, dass man sich jetzt wirklich darüber verständigt, wie die Ziele nun behandelt werden, wie man unterschiedliche Zielarten in konkrete Emissionen umrechnet. Das hat möglicher Weise viel mehr Auswirkungen als der große Rahmen, den das Pariser-Abkommen geschaffen hat.

Claudia Kemfert: In Katowice muss ein klarer Maßnahmen-Katalog für kollektives und schnelles Handeln entstehen. Die „Willigen und Handelnden“ sollten endlich beherzt lospreschen. Die Lösung ist denkbar einfach: Klimaschutz muss zur ‚Conditio sine qua non‘ werden, also zur Grundvoraussetzung für jegliches Abkommen. Es dürfte kein Handelsabkommen mehr ohne gemeinsame Klimaschutzabkommen geben. Durch ein solches Basis-Abkommen würde nicht nur das Grundgesetz des Klimaschutzes gelebt, sondern auch der Wettbewerb der Handelnden gesteigert. Das dürfte sich für alle Beteiligten lohnen: Klimaschutz-Kooperationen bringen enorme wirtschaftliche Chancen hervor, sie schaffen zukunftsweisende Investitionen für mehr Innovationen, moderne Industrie und eine nachhaltige Wirtschaft.

Folgt: Wie bewerten Sie die politische Lage in den USA und in Brasilien mit Blick auf den Klimawandel und die Entwicklungen in Katowice?