„Wichtigstes Instrument zur Ausgestaltung der Energieunion“ aber: „zu weiche Steuerung“

ESYS mit Stellungnahme „Verordnung über das Governance-System für die Energieunion und für den Klimaschutz“ 

Nur mit einer gemeinsamen klima- und energiepolitischen Strategie kann die EU ihren Beitrag zum Pariser Klimaübereinkommen COP21 leisten. Die „Verordnung über das Governance-System für die Energieunion und für den Klimaschutz“ soll in Kürze in Kraft treten und die Steuerung einer gemeinsamen europäischen Klima- und Energiepolitik sicherstellen. Wie aber kann die EU angesichts begrenzter Gesetzgebungskompetenzen in der Energiepolitik ein CO2-neutrales Energiesystem in Europa schaffen? Diese Fragen standen – auch angesichts der Mitte Dezember zu Ende gehenden UN-Klimakonferenz in Katowice – im Mittelpunkt der Veranstaltung, in deren Rahmen am 13.12.2018 in Berlin die Stellungnahme „Governance für die Europäische Energieunion“ von ESYS vorgestellt wurde.

Bildmontage © Gerhard Hofmann für Solarify

Die Stellungnahme einer 11köpfigen Arbeitsgruppe des Akademienprojekts „Energiesysteme der Zukunft“ unter Leitung von von Sabine Schlacke (Direktorin Institut für Umwelt- und Planungsrecht an der WWU Münster), Michèle Knodt (Direktorin Jean Monnet Centre of Excellence „EU in Global Dialogue“ (CEDI), Institut für Politikwissenschaft an der TU Darmstadt) und Christoph Böhringer (Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg) zeigt Möglichkeiten auf, wie auf deutscher und europäischer Ebene die Spielräume der Governance-Verordnung effektiv genutzt und weitergehende energiepolitische Maßnahmen ergriffen werden können.

ESYS-Direktoriumsmitglied Eberhard Umbach nannte den Veröffentlichungszeitpunkt in seiner Begrüßung „punktgenau“. Wenn zwei Prozent Anteile am weltweiten Treibhausgasausstoß auch wenig seien, „aber als Partner können wir eine Menge mitbewegen“ – leider seien wir im Augenblick „nicht mehr so angesehen“ – (Umbach erwähnte die in diesem Zusammenhang die kürzliche Verleihung des Fossil of the Day am Rand der COP24 in Katowice – siehe solarify.eu/peinlich-deutsche-klimapolitik-am-cop24-pranger).

Sabine Schlacke riet in ihrer Präsentation dazu, wir sollten uns „davor hüten, zu sagen: ‚das sollt ihr jetzt unbedingt machen'“– andererseits habe man sehr sehr konkret sein wollen beim Brückenschlag zwischen aktuellen Problemen und dem Blick in die weitere Zukunft. Sie zeigte sich überzeugt, dass „nationale Anstrengungen ins Leere laufen, wenn wir uns nicht rechtzeitig um die europäische Vernetzung kümmern“. Schlacke setzte Hoffnungen in die Kattowitzer COP24. Aber um die Klimaziele zu erreichen, bräuchten wir eine komplette Dekarboniserung des Weltenergiesystems. Das Dilemma dabei sei, dass völkerrechtliche Vereinbarungen schwer durchzusetzen seien.

Schlacke bezeichnete die Europäische Energie-Governance als „Paradigmenwechsel“: Immerhin sollten bis 2030 die Treibhausgase gegenüber 1990 um 40% reduziert, ein Anteil der Erneuerbaren von von mindestens 32 Prozent erreicht, die Energieeffizienz um mindestens 32,5 Prozent gesteigert und ein Stromverbundgrad von 15 Prozent erreicht werden.

Kernelement des Paradigmenwechsels mit zahlreichen Einzelmaßnahmen von Neufassung der Elektrizitätsbinnenmarkt-, der Erneuerbare Energien-Richtlinie und der Stärkung der Energieeffizienz-Anstrengungen sei die Governance-Verordnung – ihr Ziel: die Festlegungen der COP21 einhalten und die 2030er Klimaziele der EU erreichen. ESYS hat die Entstehung des Governance-Gesetzes-Pakets mit der Arbeitsgruppe Energieunion aus Rechts-, Technik- und Politikwissenschaftlern begleitet – dieses soll Heiligabend in Kraft treten.

Schlacke äußerte zunächst Kritik: Zwar sei die Verzahnung von Energie- und Klimapolitik gut, aber die Festlegung rein EU-weiter Ziele überließen den Mitgliedsstaaten zu großen Gestaltungsspielraum. Zwar seien Instrumentarium – mitgliedsstaatliche  iNEK-Pläne (integrierte Nationale Energie- und Klimapläne) und Langfriststrategien grundsätzlich geeignet, aber es fehlten wirksame Sanktionsmechanismen gegenüber Mitgliedsstaaten. Insgesamt monierte Schlacke eine „zu weiche Steuerung“ und forderte „ergänzende und wirksame Sanktionsmechanismen gegenüber Mitgliedsstaaten“.

Die EU müsse ein großes Bündel an Handlungsoptionen

  1. effektiv implementieren
  2. finanzieren
  3. Nichtbefolgung sanktionieren, und
  4. durch Allianzen flankieren

zu 1. Effektiv implementieren bedeute, den deutschen iNEK-Plan rechtsverbindlich im geplanten Bundesklimaschutzgesetz  verankern, die deutsche Kohleausstiegsstrategie in den iNEK-Plan integrieren, Städte, Gemeinden und Bundesländer bei Erstellung und Umsetzung der iNEK-Pläne und Langfriststrategien intensiv einbeziehen und Öffentlichkeitsbeteiligung effektuieren, indem ein Mehrebenen-Energiedialog initiiert werde und vereinheitlichende Leitlinien für die Öffentlichkeitsbeteiligung in der EU eingeführt würden.

zu 2. Finanzielle Anreize setzen und finanzieren bedeute, europäische Struktur- und Investmentsfonds mit den iNEK-Plänen verknüpfen, indem energiepoliotische Maßnahmen im Rahmen der anstehenden Fonds-Reformen durch Aufnahme klimabezogener Förderziele (Energieeffizienz in den Strukturfonds), durch Förderung regionaler Kooperationen (CO2-arme Wirtschaft) gestärkt würden und durch Kooperationsprojkete mehrerer Mitgliedsstaaten zur Bewältigung grenzüberschreitender Herausforderungen (Strukturwandel in Kohleregionen)gestärkt würden.

zu 3. Nichtbefolgung der Governance-Verordnung sanktionieren heiße, dass Umweltverbände auf nationaler Ebene durch Anpassung des Umweltrechtsbehelfsgesetzes (UmwRG) Klagerechte erhalten sollte, denn auf diese Weise könnten sie gegen fehlende oder zu wenig ambitionierte Energie- und Klimapläne vorgehen – und Sanktionierung durch Kopplung von ESI-Fonds und Governance-Verordnung: unzureichende Umsetzung von Kommissionsempfehlungen sollten durch  Beschränkung/Streichung von Strukturfondsmitteln sanktioniert werden können.

zu 4. Governance-VO durch grenzüberschreitende Allianzen flankieren bedeute, Vorreiterallianzen und Strategien differenzierter Integration bilden (Mitgliedsstaaten und Drittstaaten)

  • Allianz für einen Kohleausstieg – Ausstiegsgesetz mit Abschaltzeitpunkten nach Vorbild des Atomausstiegs, sowie Nachnutzung bestehender Infrastrukturen (z.B. Umbau von Kohle- zu Speicherkraftwerken)
  • Allianz zur Festsetzung eines CO2-Preises – CO2-Bepreisung bisher nicht vom ETS erfasster Sektoren, und Steuer/Abgabe in Form eines CO2-Preises für alle Energieträger unter Beachtung verfassungsrechtlicher Hürden

Nichterfüllung oder Verstöße gegen die Governance müssten einklagbar werden, daher sollten sie ins Gesetz geschrieben werden.

Impuls zu Stellungnahme aus der EU-Kommission

Einen Impuls zu Stellungnahme gab Johannes Schilling von der Generaldirektion Energie der Europäischen Kommission. Er nannte die Governance-Verordnung das wichtigste Instrument zur Ausgestaltung der Energieunion, aber auch zur Weiterentwicklung des deutschen Energiesystems, sie biete einen einheitlichen Ansatz für Klimapläne, Steuerungsmechanismen und Beteiligung der Öffentlichkeit. Sie sei ein Art Soft Governance, habe aber ebenso einen harten Kern.

Wer soll E-Union wie steuern und wie effektiv? 8,1 Mio Arbeitsplätze zeigten: saubere Energie ist da um zu bleiben. Die Klimaübereinkunft vom COP21 befördere den Übergang und biete die Chance, weitere Arbeitsplätze in nachhaltiger Energie zu schaffen. Bereits heute würden 44 Milliarden in der EZ in Erneuerbare Energien investiert – aber andere holen auf, wir müssten weiter investieren, wenn wir führend bleiben wollten. Viele Teile der Energiewende hätten in Nischen begonnen, und nach und nach den Weg in den Mainstream gefunden, die Kosten sanken, aber es sei dafür ein leistungsfähiger und stabiler Rechtsrahmen nötig.

Die Energieunion habe keinen alleinigen Manager, die Bürger müssten auf kooperative Weise unterstützend eingebunden werden. Schilling fragte wie wir steuern, und verlangte einen modernen offenen Management-Ansatz mit Raum für gegenseitiges Lernen, effektiven Regulierungsbehörden, und zu förderndem Wettbewerb beim Weiterbau.

Wie kann EU eingreifen? Die Mitgliedsstaaten müssten besser zusammenarbeiten und sich koordinieren; die Kommission spiele eine durchgehende Rolle in Planung und Durchführung – erste nationale Entwürfe sollen bis bis Ende Dezember vorliegen – die wird die EU dann evaluieren, und bis Ende 2019 in einem iterativen Prozess prüfen, wie EU-Empfehlungen in nationale Pläne aufgenommen werden könnten. Die EU werde konitinuierlich berichten – die Berichte würden in ein Monitoring einfließen.

Rolle der EU-Kommission sei zwar klar vorgegeben, aber von anderen beeinflusst

Im Rahmen der Implementierung der EU-Energiepolitik und auf der Basis von Berichten der Mitgliedsstaaten – sonst sei kein Fortschritt möglich, müstsen betroffene Staaten Maßnahmen ergreifen, wenn die Referenzniveaus in fünf Jahren nicht erreicht würden. Wenn Mitgliedsstaaten ihre Pläne aktualisieren wollten, könnten die Ambitionsniveaus nicht abgeschwächt, aber erhöht werden. Dafür müssten viele Akteure an einem Strang ziehen. Die EU-Kommission wird ihren Beitrag leisten. Wissenschaftliche Analysen werden immer ein Beitrag sein. Daher forderte Schilling die anwesenden Forscher auf: „Bleiben Sie nicht nur auf den Zuschauerrängen, sondern bringen Sie sich aktiv ein!“

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