Umstrittenes Staatsziel Klimaschutz

Auch Atomausstieg in Verfassung?

Ausschuss-Saal – Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

Die Forderung der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, mit einer Änderung des Grundgesetzes eine verfassungsrechtliche Stärkung des Klimaschutzes zu erreichen, trifft bei Experten auf unterschiedliches Echo. Das wurde  – so der parlamentseigene Pressedienst heute im bundestag – während einer öffentlichen Anhörung des Innenausschusses am 11.02.2019 deutlich. Laut einem von den Grünen vorgelegten Gesetzentwurf (19/4522) soll in den Artikel 20a des Grundgesetzes „konkretisierend und mit klarstellender Wirkung“ eingefügt werden, „dass die internationalen Zielvorgaben und Verpflichtungen bei der Erfüllung der Schutzpflicht verbindlich sind“. Zugleich soll „der bestehende Konsens zum Ausstieg aus der Atomenergie auf Ebene der Verfassung festgeschrieben“ werden.

Während der Anhörung machten die Befürworter der Gesetzesinitiative geltend, dass damit ein Schutzniveau fürs Klima geschaffen werde, an das sich der Gesetzgeber halten müsse. Die Kritiker hielten dagegen, dass das Grundgesetz schon jetzt in Artikel 20a durch das Staatsziel Umweltschutz den Gesetzgeber zum Klimaschutz verpflichte. Würde der Grünen-Vorschlag umgesetzt, käme dies einer „Entparlamentarisierung“ nahe, hieß es.

Lisa Badum, Sprecherin für Klimapolitik der Bündnis-Grünen:  „Die sich verschärfende Klimakrise muss als große nationale Aufgabe auch im Grundgesetz verankert werden. Deutschland verpasst seine Klimaziele und ist weit ab vom Erreichen der Pariser Klimaziele. Klimaschutz im Grundgesetz gibt Klarheit und Planungssicherheit. Wir fordern die Bundesregierung auf, dass sie sich beim Klimaschutz nicht länger aus der Verantwortung zieht. Besonders interessant ist das Agieren der CSU, die in München für den Verfassungsrang von Klimaschutz ist, und in Berlin dagegen. Das ist nicht konsistent und nicht glaubwürdig.“

Manuela Rottmann, Mitglied im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz: „Die Aufnahme von Klimaschutz ins Grundgesetz ist überfällig. Es dient der Generationengerechtigkeit und verdient daher den besonderen Schutz des Staates. Wer dem Klimaschutz aber eine solch geringe Bedeutung beimisst, vergisst die kommenden Generationen und gibt ihnen nur trübe Aussichten für die Zukunft.“

Aus Sicht von Prof. Christoph Degenhart von der Universität Leipzig wäre die Einfügung des Klimaschutzes ins Grundgesetz „demokratiestaatlich problematisch“. Der Gesetzgeber könne schon jetzt Maßnahmen für den Klimaschutz treffen, müsse diese aber im Verhältnis zu anderen Staatszielen wie etwa dem Sozialstaatsprinzip, das unter anderem sozialverträgliche Energiepreise als Ziel hat, abwägen. Degenhart forderte: „Komplexe energiepolitische Grundsatzentscheidungen sollten vom Gesetzgeber getroffen und nicht verfassungsrechtlich zementiert werden.“ Dies gelte auch für den Atomausstieg.

Prof. Alexander Proelß von der Universität Hamburg sagte, die Unter-Zwei-Grad-Grenze des Pariser Klimavertrags sei ein globales Kriterium und könne nicht national heruntergebrochen werden. Es statuiere gerade keine einzelstaatlichen quantifizierten Emissionsreduktionspflichten, sondern lediglich eine allgemeine Temperaturzielvorgabe, hinsichtlich derer jede Vertragspartei die bestmöglichen Bemühungen unternehmen und geeignete Maßnahmen treffen müsse, um dieses kollektive Ziel zu erreichen, sagte er.

Prof. Johannes Saurer von der Universität Tübingen sah ebenfalls keinen verfassungspolitischen Handlungsbedarf. Die Instrumente für eine effektive Klimaschutzgesetzgebung stünden bereit, sagte Saurer. Von den vorgeschlagenen Erweiterungen des Artikel 20a rate er ab. Was die angedachte Untersagung der Stromerzeugung durch Kernenergie im Grundgesetz angeht, so sei dies zwar verfassungsrechtlich möglich, „verfassungspolitisch jedoch nicht empfehlenswert“, sagte er.

Privatdozent Ulrich Vosgerau warnte davor, auch künftige internationale Klimaverträge mittels Grundgesetzänderung am Bundestag vorbei in deutsches Recht übernehmen zu wollen. Was das angedachte Atomkraftverbot angeht, so sei zum einen unklar, was die Autoren des Gesetzentwurfes unter Kernenergie verstünden. Zudem sei es „demokratietheoretisch bedenklich“, wenn man die Debatte um die Nutzung der Kernkraft durch eine Grundgesetzänderung für alle Zeit beenden wolle, so Vosgerau.

Für die von den Grünen angeregte GG-Änderung sprach sich Prof. Wolfram Cremer von der Ruhr-Universität Bochum aus. Das Bundesverfassungsgericht habe in seinen letzten Entscheidungen den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen in Artikel 20a „nicht gerade hochgehängt“. Der Klimaschutz führe auf Verfassungsebene ein stiefmütterliches Dasein, befand Cremer. Der Gesetzentwurf sei ein Versuch, „eine gewisse Parität herzustellen“. Das bedeute, dass der Gesetzgeber verpflichtet werden könne, Maßnahmen zum Klimaschutz zu ergreifen. Es sei richtig, etwas mehr Verantwortung beim Bundestag zu platzieren, sagte Cremer.

Der Gesetzgeber mache von den vorhandenen Instrumenten für den gesetzlichen Klimaschutz nicht ausreichend Gebrauch, sagte Ursula Philipp-Gerlach. So gebe es zwar einen Klimaschutzplan, aber kein entsprechendes Gesetz, auf das sich Betroffene vor Gericht berufen könnten. „Weil die Gestaltungsspielräume nicht genutzt worden sind, ist es doch erst zur Idee der grundgesetzlichen Verpflichtung gekommen“, sagte die Anwältin. In einer „bedrohlichen Situation für künftige Generationen“ müsse auch das Verfassungsrecht „neue Wege gehen“, forderte Philipp-Gerlach. (hib/HAU)

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