adelphi-Studie über Rechtspopulismus und Klimapolitik in Europa
In einer am 26.02.2019 in Berlin vorgestellten Studie untersucht die Berliner Denkfabrik adelphi consult GmbH, wie sich rechtspopulistische Parteien in Europa zum Problemfeld Klimawandel und Klimaschutz verhalten. Die Studie benennt im Lichte des wachsenden Rechtspopulismus Risiken und Nebenwirkungen für eine zukünftigen europäische Klimapolitik, diskutiert das Für und Wider von Koalitionen demokratischer Parteien mit Rechtspopulisten und fordert ein Umsteuern in der Klimakommunikation. Der Titel – auf Deutsch „Bequeme Wahrheiten“ – erinnert an Al Gores mehrfach preisgekrönten Dokumentarfilm über den Klimawandel „An Inconvenient Tuth“ von vor 13 Jahren.
Rechtspopulistische Parteien sitzen heute in sieben Regierungen der EU-Mitgliedstaaten – so die adelphi-Medienmitteilung zur Studie: „Nach der Europawahl 2019 werden sie voraussichtlich rund 25 Prozent der Abgeordneten im europäischen Parlament stellen. Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in demokratische Institutionen und Europa scheint zu schwinden. Gleichzeitig erleben wir eine Transformation von Leben, Arbeit und Mobilität europäischer Gesellschaften, die sich durch Digitalisierung, Urbanisierung und den Klimawandel noch verstärkt.“
Vor diesem Hintergrund haben Stella Schaller und Alexander Carius (adelphi) in ihrer explorativen Studie die Stimmen und das Gewicht rechtspopulistischer Parteien untersucht. Sie stellen Fragen, aus denen sich ein neuer Anspruch an die europäische Klimapolitik ergibt:
- Wie verbreitet ist Desinformation zum Klimawandel?
- Welche Argumente und Narrative nutzen Rechtspopulisten für oder gegen eine Klima- und Energiepolitik – national und multilateral?
- Bedroht das Aufstreben der Rechtspopulisten Europas Rolle als klimapolitischer Vorreiter?
Dazu haben sie die 21 stärksten rechtspopulistischen Parteien in Europa und deren Haltung zu Klimaforschung und Klimapolitik betrachtet – von der deutschen AfD und Großbritanniens UKIP über Ungarns Fidesz, Italiens Lega, den Schweden-Demokraten bis zu Griechenlands Goldener Morgenröte. Sie stützen sich auf offizielle nationale Wahlprogramme, öffentliche Erklärungen und Interviews von Parteispitzen sowie Pressemitteilungen und analysieren das Wahlverhalten der Parteien im Europäischen Parlament.
Klimaskepsis, Fake News und Rechtspopulismus eine braune Sauce
Solarify hat bereits vor gut einem Jahr anhand eines ZEIT-Artikels („Fake-News: Krieg gegen die Wahrheit“ – Die Zeit Nr. 51, 2017) auf diesen Zusammenhang hingewiesen (siehe solarify.eu/klimaskepsis-fake-news-und-rechtspopulismus-eine-braune-sauce). Erläutert wurde die meist von rechts ausgehende und um sich greifende Praxis, wissenschaftlich unstrittige Forschungsergebnisse und Argumente auf Faktenbasis durch nicht belegbare bzw. frei erfundene Behauptungen zu ersetzen. Die Autoren Maximilian Probst und Daniel Pelletier hatten in ihrem Artikel zunächst einleuchtend dargelegt, dass Rechtspopulisten Fake-News nicht erfunden haben (weder den Begriff – Webster’s Dictionary zufolge geht der Begriff auf das Jahr 1890 zurück – noch den taktischen Umgang damit). Denn bereits seit mehreren Jahrzehnten organisierten Energiekonzerne und konservative Medien Desinformationskampagnen, um Zweifel am menschengemachten Klimawandel zu säen.
In ihrem vielzitierten Buch “Merchants of Doubt” (deutsch: „Die Machiavellis der Wissenschaft“ – siehe: solarify.eu/die-machiavellis-der-wissenschaft) belegten Naomi Oreskes und Erik M. Conway schon 2014, wie einige Wissenschaftler im Interesse der Wirtschaft für die Öffentlichkeit den Anschein erwecken, als gäbe es wissenschaftliche Differenzen über bereits entschiedene Fragen. Die Motive: Geld und Wichtigtuerei, und, dass man politisch oder religiös einem Standpunkt verbunden ist; man kann mit einer Außenseitermeinung erhöhte Aufmerksamkeit und Zuspruch einer eigenen Anhängerschaft genießen – oder, man kann sich einfach in eine Ansicht verrannt haben und davon nicht mehr loskommen. (Aus: globalklima.blogspot.de im Artikel über das amerikanische Original „Merchants of Doubt“ auf solarify.eu/haendler-des-zweifels)
Sinn: Zeit gewinnen
In erster Linie sollen Zweifel an den Ursachen des anthropogenen Klimawandels geweckt werden. Eingeräumt wird, dass es zwar eine globale Erwärmung gibt, aber widerstreitende Theorien darüber, was die Ursachen sein könnten. Oder, dass die globalen Zeitreihen Fehler enthalten, die ihre Aussagekraft einschränken. Dass man Modellen nicht vertrauen könne und noch abwarten müsse, bis sie besser seien. Dass viele Detailfragen bei den Rückkopplungen unklar seien und erst noch gelöst werden müssten und bis dahin die Klimasensibilität doch Spekulation sei. Sinn dieser Taktik ist, Zeit zu gewinnen. Es geht nicht darum, die andere Seite zu überzeugen, sondern Politik und Öffentlichkeit sollen den Eindruck haben, dass es noch zu früh sei, sich mit einer Entscheidung festzulegen. Dieser Zeitgewinn ist der Gewinn der interessierten Unternehmen, die diese Think Tanks finanziell unterstützen. Ein weiterreichendes Ziel ist aber, überhaupt die wissenschaftlichen Grundlagen für Umwelt- und Gesundheitsschutz zu unterminieren, indem man generell Wissenschaftler in diesen Bereichen unglaubwürdig macht.
Folgt: Zusammentreffen von Rechtspopulismus und Klimaskepsis kein Zufall