Höchste Baumartenvielfalt in den feuchtwarmen Tropen
„Es ist wie ein 1.000-Teile-Puzzle, von dem wir nur wenige Puzzleteile hatten, und von dem wir auch das Gesamtbild nicht kannten”, sagt Chase. „Mit unserem Ansatz konnten wir die fehlenden Teile berechnen und das Puzzle zusammensetzen.” Die neue Methode ermöglicht es den Forschern, die Baumartenvielfalt für unterschiedlich große Flächen zu berechnen, zum Beispiel für ein Naturschutzgebiet, für einen Staat oder für einen ganzen Kontinent. Dadurch konnten sie untersuchen, welche Einflussfaktoren die Variation der Baumartenvielfalt auf unserem Planeten bestimmen. Die Analyse hat gezeigt, dass das Klima der wichtigste Faktor ist: Die höchste Baumartenvielfalt findet sich in den feuchtwarmen Tropen. Dennoch unterscheidet sich die Baumartenvielfalt zwischen verschiedenen Orten gleichen Klimas zum Teil erheblich. Im südlichen China zum Beispiel finden die Forscher eine Vielfalt, die deutlich größer ist als in klimatisch ähnlichen Regionen.
Dabei ist jedoch wichtig: Wie viel „Extra-Vielfalt“ an Orten wie China zu finden ist, hängt von der Sicht des Betrachters ab. „Wenn man in einem Wald steht und die Anzahl der Arten um einen herum zählt, wird einem der Unterschied zwischen China und einer klimatisch ähnlichen Region wahrscheinlich gar nicht auffallen. Erst wenn man von einem Standort zum nächsten wechselt und die Arten zusammenzählt, die man an mehreren Standorten gesichtet hat, wird deutlich, wie artenreich China ist“, so Chase.
Beta-Diversität
Die Unterschiedlichkeit solcher benachbarter Standorte wird Beta-Diversität genannt. Über eine größere Region gesehen bedingt sie eine hohe Gesamtvielfalt. Keil und Chase konnten mit ihrer Analyse zeigen, dass dieses Maß der Biodiversität in den trockenen (nicht den feuchten) Tropen besonders hoch ist, vor allem dort, wo es gebirgig ist – neben Süd-China zum Beispiel in Mexiko oder im äthiopischen Hochland. Ein Grund für diese hohe Beta-Diversität könnten Ereignisse in der geologischen Vergangenheit wie Eiszeiten sein. „Während der letzten Vereisung konnten die Bäume nur in Bergtälern überleben und wurden dadurch voneinander isoliert“, erklärt Keil. „Wenn man heute in einem dieser Täler steht, so sieht man eine mittelhohe Anzahl von Baumarten. Aber wenn man über den Kamm klettert und ins Nachbartal hinabsteigt, findet man andere Baumarten und im nächsten Tal wieder andere.“
Keil und Chase geht es in erster Linie darum, zu verstehen, wie Biodiversität auf dem Planeten verteilt ist und welche Faktoren dafür verantwortlich sind. Aber ihr Modell kann auch dazu genutzt werden, Strategien für den Naturschutz zu entwickeln, vor allem für Wälder, deren Baumartenvielfalt noch nicht stark vom Menschen verändert wurde. In den Bergen Chinas zum Beispiel reicht es nicht, nur ein Tal zu schützen. Erst die Vielzahl der unterschiedlichen Täler macht den hohen biologischen Wert dieser Gegend aus. „Um Biodiversität wirklich zu verstehen und schützen zu können, müssen wir sie gleichzeitig auf der lokalen und auf der regionalen Skala betrachten“, sagt Keil. „Wir brauchen also sowohl die Perspektive des Naturforschers, der im Wald steht, als auch das große Bild, das sich bei der Betrachtung eines ganzes Staates ergibt. Unser Ansatz macht dies nun möglich.“ (Volker Hahn, Tabea Turrini)
->Quellen:
- idiv.de/de/news/medienmitteilungen/archiv-2019/artikel
- Originalpublikation: Keil, P., & Chase, J. M.: Global patterns and drivers of tree diversity integrated across a continuum of spatial grains. Nature Ecology & Evolution (2019). doi:10.1038/s41559-019-0799-0