DIW-Untersuchung für Bündnis 90/Die Grünen: Klimaziele 2030 wackeln bereits jetzt
Schlimme Vorzeichen: Die Bundesregierung wird nicht nur ihr Ökostromziel – damit auch das Klimaschutzziel – für 2020, sondern höchstwahrscheinlich auch das für 2030 verfehlen. 2030 werden mit den aktuell im EEG festgelegten Ausbaukorridoren im Stromsektor voraussichtlich lediglich 55 Prozent Erneuerbare Energien erreicht – 10 Prozentpunkte weniger als im Koalitionsvertrag festgelegt. Und: Selbst wenn der Kohleausstieg wie von der Kohlekommission vorgeschlagen zustande käme, würden auch dann die Klimaziele nicht erreicht. Das hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) im Auftrag der grünen Bundestagsfraktion in ihrer Untersuchung „Erneuerbare Energien als Schlüssel für das Erreichen der Klimaschutzziele im Stromsektor“ publiziert.
Um dagegen wirklich 65% zu erreichen, wären der Studie zufolge 4.300 MW Wind und 4.500 MW Solar mehr pro Jahr erforderlich – anstelle von nur 2.900 MW, bzw. 2.500 MW. Grundsätzlich wäre bis 2030 sogar auch ein Ökostrom-Anteil von 85 bis 100 Prozent möglich – wenn mehr Solar- und Windenergiekapazitäten an Land zugebaut und das Ausbauziel der Offshore-Windenergie erhöht werde. Dieser beschleunigte Ausbau hat dabei nicht nur positive Auswirkungen auf das Klima. zudem zeigt die die Studie wieder einmal, dass der stärkere Ökostrom-Ausbau den Strompreis senkt, nicht erhöht, wie oft behauptet. Einfache Gleichung: Je höher der Anteil Erneuerbarer Energien am Strommix, desto geringer sind die Effekte des Kohleausstiegs auf den Börsenstrompreis. Solarify dokumentiert die Zusammenfassung der Studie.
Zusammenfassung der Studie
Der Ausbau erneuerbarer Energien ist ein entscheidender Bestandteil bei der Erzielung nationaler, europäischer und internationaler Klimaschutzziele; dies gilt insbesondere für den Stromsektor, in dem eine bis zu 100prozentige Versorgung mit Erneuerbaren sicher und kostengünstig erreicht werden kann. Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2020 den Ausstoß von Treibhausgasen gegenüber 1990 um 40% zu reduzieren; bis 2050 sollen die Emissionen sowohl in Deutschland als auch in der gesamten Europäischen Union sogar um mindestens 80-95% sinken. Die gegenwärtig geplanten und die von der Kommission Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung verabschiedeten politischen Instrumente sind allerdings nicht ausreichend, um die deutschen Klimaschutzziele für 2020 als auch für 2030 einzuhalten. Die vorliegende Studie untersucht daher die Auswirkungen eines verstärkten Ausbaus erneuerbarer Energien im Stromsektor in Verbindung mit einem Kohleausstieg bis 2030; durch diese Maßnahmen soll u.a. die dauerhafte Verfehlung der Klimaschutzziele verhindert werden.
Mit den aktuell im EEG festgelegten Ausbaukorridoren wird im Jahr 2030 ein Anteil von ca. 55% in der Stromerzeugung erreicht. Der gegenwärtige Koalitionsvertrag sieht eine Anhebung des Erneuerbarenziels für 2030 auf 65% vor. Um dieses Ziel zu erreichen bedarf es einer Anpassung des jährlichen Bruttozubaus auf 4,4 GW für Photovoltaik und auf 4,3 GW für Wind Onshore. Bei einer weiteren Steigerung der Ausbauraten sowie einem Anstieg von Wind Offshore von geplanten 15 GW auf 20-35 GW kann der Anteil der Erneuerbaren bis 2030 auch auf 85% – 100% gesteigert werden. Dadurch würde ein wichtiger Beitrag zur Einhaltung der deutschen und europäischen Klimaschutzziele erreicht und international ein Zeichen für eine Energiewende mit Erneuerbaren gesetzt. Des Weiteren ist der Stromsektor in der Lage, die abzusehende Zielverfehlung anderer Sektoren zu kompensieren, was ökonomisch und umweltpolitisch effizient ist.
Zur Analyse von Klimaschutzmaßnahmen im Stromsektor werden in dieser Studie ein Investitionsmodell und ein Kraftwerkseinsatzmodell verwendet, um den kostenminimalen Kraftwerkspark in Deutschland und Europa bis 2030 bzw. 2050 zu ermitteln. Dabei werden fünf unterschiedliche Szenarien untersucht, welche unterschiedliche Zeithorizonte für den Kohleausstieg (2038 und 2030) und unterschiedliche Anteile Erneuerbarer am Stromverbrauch (55%, 65%, 85%, 100%) berücksichtigen.
Die Modellergebnisse zeigen, dass der Ausbau erneuerbarer Energien eine effiziente Ergänzung zu einem beschleunigten Kohleausstieg darstellt, und auch eine Vollversorgung mit Erneuerbaren (100%) im Stromsektor möglich ist. Bei einer Abschaltung der Kohlekraftwerke bis 2030 wird dessen Kapazität in den 85%- bzw. 100%-Erneuerbaren-Szenarien überwiegend durch Gaskraftwerke mit synthetischem Gas (Power-to-Gas Anlagen) ersetzt, zu einem geringen Teil auch durch Erdgaskraftwerke bzw. Geothermie. Im Szenario Kohle- und Erdgasausstieg kann eine sichere Stromversorgung durch die vertiefte Integration in das europäische Stromnetz sowie die verstärkte Nutzung von Speichern gewährleistet werden.
Der Zubau von Erneuerbaren wirkt sich dämpfend auf die Börsenstrompreise aus, dagegen führt die Verwendung von Erdgas aufgrund relativ hoher Rohstoffpreise (18-30 €/MWh) zu steigenden Strompreisen. Auch die CO2-Zertifikate werden im Lauf der Klimaschutzmaßnahmen teurer (40-60 €/t CO2) und schlagen auf den Strompreis durch. Insgesamt ist für 2030 mit leicht steigenden Börsenstrompreisen zu rechnen; diese sind umso geringer, je höher der Anteil der Erneuerbaren ist. Da der resultierende Börsenstrompreis im „85% ohne Kohle“ Szenario in der gleichen Größenordnung wie im letzten Jahrzehnt liegt, sind nur sehr begrenzte Auswirkungen für die energieintensive Industrie zu erwarten.
Die Modellergebnisse zeigen, dass durch einen verstärkten Ausbau erneuerbarer Energien sowie einen Kohleausstieg bis 2030, dringend benötigte Klimaschutzmaßnahmen getroffen werden können. Eine Kombination aus der Investition in erneuerbare Energien sowie Nachfragereduktion (Effizienzverbesserung und Verhaltensanpassungen) und –management (Stromspeicher, Demand-Side-Management) können darüber hinaus zur Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit der Stromversorgung beitragen. Um neben der deutschen Energiewende auch die internationale Ebene einzubeziehen sollte sich Deutschland zudem auch wieder verstärkter für die Umsetzung der Dekarbonisierung Europas und die Einhaltung der globalen Pariser Klimaschutzziele einsetzen.
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