Christian Breyer im Solarify-Selbst-Gespräch
„Ein zeitgeschichtliches Dokument von politischem Versagen“ nennt Skandinaviens erster „Solar-Professor“ Christian Breyer von der Lappeenranta Universität (LUT) Finnland (ein „Q-Cells-Gewächs“ aus dem Reiner-Lemoine-Institut) die Zerstörung vieler Hoffnungen, vor allem in Ostdeutschland, durch „dilettantische Industriepolitik unterstützt von sinistren Gewerkschaften“. Die Versuchung sei einfach groß, „in de facto halben Legislaturperioden zu denken“. Dennoch bleibt er Optimist: Der Druck müsse anhalten, das ist wichtig für ihn. Dann bleibe die Wirkung der Klimawandelleugner eher gering. #Fridays4Future (siehe solarify.eu/fridays4future-junge-generation-fordert-politik-fuer-ihre-zukunft) könne „elementarer Teil der Sozialisation einer ganzen Generation werden“. Breyer war einer der ersten Unterzeichner des Unterstützungsaufrufs von Scientists4Future – inzwischen sind es mehr als 23.000 – für die klimastreikenden Schüler (300.000 am 15.03.in Deutschland).
Wann endlich wird das ewige Spiel aufhören, dass Arbeitsplätze und Wählerstimmen gegen Umwelt- und Klimaschutz ausgespielt werden?
Dieses vermeintliche Argument war noch selten überzeugend. Knapp 100.000 Arbeitsplätze sind in der Branche der Erneuerbaren Energien in den vergangenen Jahren in Deutschland verloren gegangen, letztlich wegen einer visionslosen Energiepolitik, die aktiv Erneuerbare Energien behindert hat. Das ist unverzeihlich und rückwärtsgewandt. Gerade strukturschwache Regionen in Mittel- und Ostdeutschland hatten einmal eine rosige Zukunft mit Erneuerbaren Energien, was leider mit konservativ-liberal-sozialdemokratischen Regierungen in einer Mischung aus aktiver Zerstörungsabsicht und dilettantischer Industriepolitik weitestgehend zerstört wurde, auch noch aktiv unterstützt von sinistren Gewerkschaften. Das ist ein zeitgeschichtliches Dokument von politischem Versagen. Das Land kann gut auf fehlgeleitete Gewerkschaften verzichten, die behaupten, dass Kohlejobs um vieles wertvoller sein sollen als solche in der Branche der Erneuerbaren Energien. Gewerkschaftsfunktionäre mit solch schändlichem Verhalten gehören verjagt, da werde ich sehr wütend. Wir können nur hoffen, dass sich Wähler nicht mehr hinters Licht führen lassen und ihre Konsequenzen daraus ziehen, auch bei Parteien, die offensichtlich unter massivem Einfluss von solch irregeleiteten Gewerkschaften stehen.
Wie groß ist die Gefahr, dass weltweit die Klimawandelleugner überhand nehmen? Was kann man dagegen tun?
Trotz aller entsprechender Risiken und permanenter Verleumdungskampagnen, scheint die Wirkung eher gering zu sein. Nach Hitzesommer, Gletscherschmelze, trockenen Flüssen, Rekordstürmen und wärmeren Wintern ist es für die Menschen doch keine Frage mehr, dass der Klimawandel stattfindet, und dass er menschengemacht ist. Realitätsverweigerer gab und gibt es immer, aber als Minderheit.
Welche Hoffnung gibt es, dass Politiker beginnen, längerfristig zu denken?
Die Hoffnung ist nur gerechtfertigt, wenn permanenter Druck zu entsprechendem wünschenswerten Verhalten führt. Die Versuchung wird nur allzu groß sein, in de facto halben Legislaturperioden zu denken. Noch einmal, permanenter Druck wird notwendig sein, sowohl von der Straße, wie inzwischen auch von namhaften Unternehmen, die verlässliche und klare Politikziele einfordern, damit sie ihre Unternehmensentwicklung entsprechend ausrichten können. In vielen Bereichen ist die Aussage eindeutig: Barriere und Risiko Nr. 1 ist – plan- und visionslose Politik. Wenn nun die junge Generation schlicht Performance des Politikbetriebs einfordert, besteht berechtigte Hoffnung, dass nun die Verweigerungshaltung für Fortschritt aufgebrochen wird. Die letzten Jahre hatten im Energiebereich doch schon Züge einer Mehltaulethargie. Das scheint sich nun erzwungenermaßen zu ändern.
Wenn ich mich frage, welche Chancen hat das Klimaschutzgesetz von Svenja Schulze…
Die Hoffnung stirbt zuletzt. Etliche Chancen wurden in der Vergangenheit nicht konsequent angegangen. Das rächt sich nun mit verfehlten Zielen, die ohnehin schon nicht ambitioniert genug waren. Deutschland ist vom Vorreiter zum Nachzügler abgestiegen. Es bleibt zu hoffen, dass der Druck von der Straße weiter zunimmt, so dass der Widerstand überwunden werden kann.
Wie dauerhaft können Fridays for Future und Scientists for Future als Bewegung werden?
Die #Fridays4Future Bewegung hat die besten Chancen ein elementarer Teil der Sozialisation einer ganzen Generation zu werden. Das wäre eine einmalige Chance, einen dauerhaften nicht endenden Druck auf die Politik auszuüben. Die globale Bewegung hat schon jetzt eine historische Dimension erreicht – noch nie war eine so junge Generation global so vernetzt, und so vereint um für ein gemeinsames Ziel zu kämpfen: eine gemeinsame lebenswerte Zukunft. Wir alle sitzen in einem Boot, dem zerbrechlichen blauen Juwel im unendlichen Nichts, können die Probleme nur gemeinsam lösen und haben die gleichen Gegner, die 1% der Superreichen, welche die Zukunft der 99% direkt und indirekt zerstören.
Als Mitunterzeichner der ersten Stunde unterstütze ich #Scientists4Future voll und ganz. Als Wissenschaftler erarbeite ich mit meinem internationalen Team Energiewendeszenarien in global-lokaler Auflösung und kämpfe mit den Methoden der Wissenschaft. Mein Team hat die meisten wissenschaftlichen Fachveröffentlichungen zu 100% Erneuerbaren Energien zu konkreten Regionen weltweit veröffentlicht. In vielen Ländern und Weltregionen sind wir die ersten und einzigen die Energiewendeszenarien zu einem vollständig Erneuerbaren Energiesystem veröffentlichen. Dies hilft Wissenschaftlern und Energiesystemplanern und Energieexperten weltweit.
Das Schöne ist, dass sich die Wissenschaft und die junge Generation die Hand reichen, um gemeinsam eine längst überfällige progressive Klimapolitik zu erzwingen, gegen den Widerstand einer ignoranten, willfährigen und damit letztlich verantwortungslosen Politik. Eigentlich verstößt eine in Aspekten des Klimawandels unwillige Regierung gegen Art. 1 des Grundgesetzes, weil durch Unterlassen die Lebenschancen der heute jungen und aller weiteren Generationen verwirkt werden. Dieses Versagen muss nun mit massivem Druck beendet werden. Verantwortungslose Repräsentanten des aktuellen Politikbetriebs könnten schon bald in den politischen Ruhestand verabschiedet werden, so dass eine neue Generation aktiv und fortschrittsgerichtet eine verantwortliche Politik gestalten kann. Dies ist zumindest mein ganz persönlicher Wunsch.
Wir sind an dem Punkt angekommen, den es 1968 in Deutschland schon einmal gab, als die junge Generation die Elterngeneration mit ihrem eigenen Versagen konfrontierte. Dies lässt mich hoffen, dass ein erneuter „Marsch durch die Institutionen“ die Gesellschaft nachhaltig ändern kann. Schön, dass ich als Wissenschaftler, Vater und engagierter Bürger hierzu mit meiner Arbeit in vielen Ländern weltweit zu einer nachhaltigeren Entwicklung beitragen kann.
Prof. Christian Breyer, Lappeenranta University, Finnland (LUT), der erste Professor für Solarwirtschaft Skandinaviens, konzentriert sich auf Forschung und Lehre in Bezug auf vollständig nachhaltige Energieszenarien und Marktmechanismen. Er sagt, diese einzigartige Professur biete eine große Chance, den großen Energiewandel zur Nachhaltigkeit zu erforschen und zu lehren. Denn nur nachhaltige erneuerbare Energie werde das Überleben unserer globalen Zivilisation ermöglichen. Die Erschöpfung der fossilen und nuklearen Ressourcen, die Auswirkungen des Klimawandels und die globale Energieungerechtigkeit seien nur durch eine ökologische, wirtschaftliche und ethisch nachhaltige Energieversorgung – die Solarwirtschaft – zu bewältigen. Vor kurzem hat er mit seinem Team eine Untersuchung zum Thema „Übergang zu 100% EE ohne gesellschaftliche Verwerfungen möglich“ (als erste Arbeit dieser Art im renommierten Wissenschaftsjournal) in Nature publiziert (siehe solarify.eu/wirtschaftlich-sinnvoller-weg-globalem-klimaneutralen-stromnetz-bis-2050).
Breyer kam vom Reiner Lemoine Institut zur LUT, wo er als Geschäftsführer und wissenschaftlicher Direktor tätig war. Er promovierte 2012 an der Universität Kassel über die „Ökonomie hybrider Photovoltaik-Kraftwerke“. Zuvor arbeitete er mehrere Jahre in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung von Q-Cells. Er ist einer der Mitbegründer der DESERTEC Foundation, engagiert sich in der Energy Watch Group, im Photovoltaic Power Systems Programme der International Energy Agency und ist im Steering Committee der European Technology and Innovation Platform Photovoltaic.