Den Wandel zeitlich flexibel gestalten
Derzeit sind Politiker überzeugt, dass mengenmäßige Vorgaben an Aufbau und Einsparungen zeitlich klar gegliedert in offenbar jährlich nachvollziehbaren Schritten erfolgen sollen. Der Entwurf des deutschen Klimaschutzgesetzes sieht straffe Zeitpläne und Eskalationsstufen von Interventionen in jedem Sektor des Energiesystems vor. Dieser Planungsansatz passt nicht sehr gut zu Prozessen, die mit neuen Technologien und industriellen Strukturen die wirtschaftlich-technische Basis unseres Landes und Europas grundlegend verändern werden. Solche Prozesse bedürfen einer Anlaufphase, die von einer Hochlaufphase gefolgt ist, um dann in ein gleichmäßiges Wachstum überzugehen. Die Entwicklungskurven von PV und Windkraft sind hervorragende Beispiele aus dem bisher erreichten Umbau der Energieversorgung, wie man aus Abbildung 1 erkennen kann. Eine geforderte zeitlich lineare Abarbeitung über- oder unterfordert das System in seiner Umgestaltung. Das Ausbleiben eines kontinuierlichen Wachstums nach der Hochlaufphase ist symptomatisch für das nicht-systemische Handeln des Staates, der mit Festhalten an einer Technologieförderung das Wachstum bremst, anstatt durch Freigabe des Rahmens und Bepreisung von CO2 die Einkopplung der Erneuerbaren in andere Sektoren zu unterstützen.
Viel nützlicher als ein zeitlich linearer Verlauf ist ein kontinuierliches Monitoring der erfolgten Änderungen, um rechtzeitig gegensteuern zu können. Dieses Instrument ist in Deutschland mit der Monitoring-Kommission beim BMWi bereits eingerichtet. Sie hat einen sehr detaillierten Kriterienkatalog mit Indikatoren (Anlage 11) gesammelt, mit dem sie die Zielerreichung in vielen Dimensionen abbilden und auch im zeitlichen Verlauf vorausschätzen kann. Eine vertrauensvolle Nutzung dieses Instruments minimiert unnötige Aufwendungen für einen sachlich nicht gerechtfertigten linearen Verlauf der Umgestaltung des Systems.
Eine zeitliche Flexibilität im Umbauprozess bedingt einen klaren, von allen Akteuren zur Kenntnis genommenen und zumindest mehrheitlich akzeptierten groben technischen Plan, wohin sich das Energiesystem entwickeln soll. Solch ein Plan könnte wie in Abbildung 7 skizziert aussehen. Das Grundkonzept in diesem Modell ist, möglichst viele Elemente und Relationen des heute existierenden Systems zu übernehmen und nach Möglichkeit nur an den Energieträgern (jeweils unterste Zeile in den Blöcken A, B, C) Veränderungen vorzunehmen. Am Ende des Prozesses ist das System vollständig defossilisiert und basiert auf freien Elektronen und synthetischen Brennstoffen (Kraftstoffe) als zwei Erscheinungsformen regenerativer Energie.
Ein derartiger Plan, der die Richtung der Veränderung weist, muss schemenhaft bleiben, da über die Laufzeit zu viele Einzelheiten angepasst werden müssen. Nötig sind allerdings quantitative Ziele (Anlage 12) für jedes Element des Energiesystems, die in hinreichend langen Zeitabständen (Dekaden) gefasst sind. Diese sind in den Anlagen 2, 10, 12 beispielhaft angegeben. Allerdings fehlen allgemein akzeptierte Transformationspfade dorthin. Bei der Aufstellung der quantitativen Ziele wurde kaum Rücksicht auf die systemische Wechselwirkung einzelner Festlegungen genommen. Ein Beispiel hierfür wäre die Bevorzugung der Elektromobilität im System. Daher ist es notwendig, unter dem Gesichtspunkt der Entwicklung des Gesamtsystems die Zielkorridore noch einmal zu überprüfen. Dies sollte ausgehend von einer Information über den gegenwärtigen Stand und einer nachvollziehbaren Begründung für das Zahlenwerk in einem wesentlich transparenteren Prozess geschehen als er bisher Verwendung fand. Ein ungünstiges Beispiel für solch einen Prozess ist die Darstellung der Arbeit der Kohlekommission in Deutschland, die eine transparente Begründung für ihre Empfehlungen nicht gegeben hat.
Eine Konzeption des Energiesystems und eines Transformationspfades ist kein Fahrplan, da die systemische Komplexität, die lange Dauer des Transformationsprozesses und die Existenz zahlreicher von den Akteuren nicht beeinflussbarer Größen eine Planung in Einzelheiten verunmöglichen.
Ein immerwährendes ad-hoc-Aushandeln der Richtung des Umbaus der Energieversorgung, verbunden mit wiederholten Debatten über die Ziele und Grundlagen dazu, kann es nicht geben. Dazu ist die Bedeutung des Energiesystems im Gefüge einer Gesellschaft zu groß. Eine fortwährende Einflussnahme wechselnder politischer Strömungen auf den Umbau der Energieversorgung kann es auch nicht geben. Dazu sind die Zeitspannen, in denen sich ein Wandel der Infrastruktur vollzieht, zu lange.
Daher ist die absolut vordringliche Aufgabe, eine verbindliche Einigung der relevanten Akteure über ein Konzept als notwendige Ergänzung zur Festlegung von Zielen, die weitgehend erfolgt ist, herbeizuführen. Eine „Ansage“ zu diesen Zielen ist kein geeignetes Mittel in europäischen Gesellschaften. Vielmehr sind umfangreiche Anstrengungen zur Information über Optionen an die Bevölkerung erforderlich. Allerdings sind die Methoden dazu nicht gut entwickelt, und die Kommunikation bedarf einer leistungsfähigen Begleitforschung, um die Konsequenzen der resultierenden Willensbildung differenziert genug einzufangen und für den Entscheidungsprozess verfügbar zu machen.