Den ökologischen Fußabdruck reduzieren, ganz ohne Verbote – Waldkirch und Leutkirch wollen zeigen wie’s geht
Jeden Tag Schnitzel und Erdbeeren im Winter: Das muss nicht sein. Denn was nur die Wenigsten wissen: Ein Drittel unseres ökologischen Fußabdrucks entsteht rund ums Essen. Zwei Städte im Allgäu und Breisgau wollen das ändern – ganz ohne Vorschriften. KERNiG steht für: „Kommunale Ernährungssysteme als Schlüssel für städtische Nachhaltigkeit“. Das Projekt wird vom Bundesforschungsministerium von 2016 bis 2019 gefördert.
Nachhaltig – was ist das eigentlich? Strom aus Windkraft, Wärme aus der Erde, Fahrrad- anstatt Autofahren: Daran denken die meisten Menschen – und darauf konzentrieren sich viele Städte und Gemeinden, wenn sie „grüner“ werden wollen. Doch eines geht dabei oft unter, obwohl es für jeden Menschen zum Alltag gehört: die Ernährung. Dabei schlummert hier großes Potenzial. Ein Drittel unseres ökologischen Fußabdrucks entfällt auf diesen Bereich. Das ist mehr, als auf Energie und Mobilität zusammen.
Im Forschungsverbund KERNiG, der vom Bundesforschungsministerium seit 2016 gefördert wird, wollen Wissenschaftler daher gemeinsam mit den zwei Städten Waldkirch im Breisgau und Leutkirch im Allgäu deren Fußabdruck schrumpfen. Ihr Ziel ist es, eine Lebensmittelversorgung und Ernährung zu fördern, die umwelt- und klimafreundlich, wirtschaftlich tragfähig und fair ist. Keine leichte Aufgabe, wie sich schnell zeigte.
Denn: „Ernährung aktiviert die Menschen gar nicht“, wie der Freiburger Umweltsozialwissenschaftler und Projektkoordinator Heiner Schanz zum Projektstart feststellen musste. Zwar sei das Thema vielen Menschen wichtig – aber bitte im Privaten. Dass die Gemeinde einem sagt, was man essen darf… ein No-Go!
Essen ist mehr als das, was auf den Teller kommt
Doch darum geht es auch nicht. „Bewusste Entscheidungen – ohne Vorschriften“: Das ist das Ziel, wie Schanz erklärt. „Essen ist viel mehr als das, was auf den Teller kommt“, sagt er. Wie hängen die Dinge zusammen? Dafür möchten die Forschenden das Bewusstsein schärfen. Also: Welche Produktions- oder Lieferketten gibt es – und wie lassen sie sich nachhaltig steuern? Ist regionale Ware immer besser als Ware aus dem Ausland? Wie wird Essen produziert – und unter welchen Zwängen stehen Händler? Dieses Wissen wollen die Forschenden unter die Menschen bringen. Denn sie glauben: „Über Ernährung lässt sich Nachhaltigkeit in Kommunen viel umfassender anstoßen als über eher technische Felder wie Energie und Mobilität“, so Schanz.
Tipp: KERNiG kennenlernen
Am 25.04.2019 präsentieren Forschende und Beteiligte ihr Projekt auf der Slow-Food Messe in Stuttgart. Mehr dazu finden Sie hier.
„Früher war das Wissen über die Zusammenhänge weit verbreitet“, meint Schanz. Da war klar: Montag ist im Allgäu Schlachttag. Stück für Stück wurde dann das „ganze Tier“ über die Woche verbraucht. „Heute erwarten Gäste im Restaurant, jederzeit ein Schnitzel zu bekommen“, sagt Schanz. Und auch Erdbeeren im Winter seien für viele ein Muss. Auch privat lebten viele Menschen früher nachhaltiger. „Sie hatten beim Kochen schon die Verwertung möglicher Reste im Blick. Gab es am Montag Dampfkartoffeln, folgten am Dienstag eben die Bratkartoffeln“, erklärt der Umweltsozialwissenschaftler.
Essen verbindet – quer durch alle Parteien, Berufe und Schichten
Für all das möchten die Forschenden wieder ein Bewusstsein schaffen. Ihr Ansatz dabei: Vernetzung aller Akteure, also der Stadtverwaltung, der Bürger sowie der „Marktakteure“. Ernährung soll so zu einem gemeinsamen Thema aller Stadtbewohne werden. Denn lange Zeit kochte jeder dabei sein eigenes Süppchen: „Angebote zur Ernährung liefen oft nebeneinander vorbei, ohne dass die Beteiligten es wussten“, sagt Heiner Schanz. So boten die „Landfrauen“ Kochkurse an – ebenso wie die Volkshochschule. Und die Kirchen luden zum Mittagstisch für alleinstehende Senioren ein – ebenso wie einige Gastronomen.
Das hat sich jetzt bereits ein Stück weit geändert. Quer durch alle Berufe, Parteien und soziale Schichten haben beispielsweise Leutkircher Bürger eine Initiative gegründet, die den gleichen Namen wie das Forschungsprojekt trägt. Mit Seminaren, Vorträgen, Lesungen und Präsentationen sorgt sie dafür, dass jeder Leutkircher weiß, wie lokale und regionale Lebensmittel verarbeitet werden. Und weil das Thema „nicht aktiviert“, wie Schanz sagt, bringt die KERNiG-Initiative es zu den Menschen: So gibt es etwa im örtlichen Schwimmbad in Waldkirch eine Ausstellung, die zeigt, wie Ernährung Städte „bewegt“.
„Gläserne Produkte“ auf dem Bauernmarkt
Bei den Veränderungen sind die Bewohner aber nicht beim Reden stehengeblieben. Es gibt bereits viel Konkretes – und vieles soll noch folgen. So wird Leutkirch Schritt für Schritt zu einer „Ernährungs-Stadt“. Seit 2017 gibt es bereits Mitmachgärten in der Innenstadt sowie Kräuter- und Gemüsegärten in Kitas und Schulen. Zudem werden Pachtflächen vorrangig an ökologisch wirtschaftende Landwirte vergeben.
Ein weitere Clou: Beschicker des Bauernmarktes zahlen keine Standgebühren mehr, wenn sie „gläserne Produkte“ anbieten. Soll heißen: Es muss stets klar sein, wie diese produziert wurden und woher sie kommen. Heiner Schanz ist mit den ersten Ergebnissen zufrieden. „Nachhaltigkeit bei der Ernährung ist jetzt in den Köpfen angekommen – es taucht überall auf“, sagt Schanz. Wobei, „Nachhaltigkeit“ stimmt nicht ganz. „Mit dem Begriff können eher wenige Menschen etwas anfangen“, meint der Experte. Was besser funktioniere seien Begriffe wie Qualität oder Heimat. „Das aktiviert“, sagt er. Aber auch der Projektname bleibt im Kopf: „Ach, Sie sind doch von KERNiG“ – das bekommen die Wissenschaftler in Leutkirch und Waldkirch nun regelmäßig zu hören.
Hintergrund
KERNiG steht für: „Kommunale Ernährungssysteme als Schlüssel für städtische Nachhaltigkeit“. Das Projekt wird vom Bundesforschungsministerium von 2016 bis 2019 im Förderschwerpunkt „Sozial-ökologische Forschung“ (SÖF) gefördert und ist Teil der Leitinitiative Zukunftsstadt für eine nachhaltige Stadtentwicklung. Kooperationspartner sind die Universität Freiburg, Universität Kassel, die Zeppelin Universität Friedrichshafen, das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL), das Projekt NAHhaft sowie die Städte Waldkirch im Breisgau und Leutkirch im Allgäu.