Aufruf zu Weitblick, Technologieoffenheit und Kooperation
von Matthias Grünig
Der Berliner IT-Fachmann Matthias Grünig nennt seinen Aufruf bescheiden einen „naiven Versuch“ – der studierte Physiker mahnt ultimativ politischen Nachholbedarf an: Es müsse viel mehr Geld in die Erforschung alternativer Treibstoffe investiert werden. Denn die fossilen Energien und die Umweltressourcen neigen sich dem Ende zu, die Weltbevölkerung wachse weiter, der Klimawandel bedrohe die globalen Lebensbedingungen, die ökonomische Ungleichheit der Kontinente und monopolistischen Machtgefüge festigten sich.
„Und wir reden hier über eMobilität, Smart City, 5G, Auto-Autos, The Cloud und KI. Ist das angemessen oder bereits Verdrängung? Eine Verdrängung, zubereitet von Zukunftsmachern, deren Influencer und eilfertigen Lobbyisten, die von bizarren Geschäftsmodellen in einer disruptiven Welt träumen? Von der Erhaltung der Natur und einem Leben im Einklang, vom Menschen als natürlichem „Verbrenner“, seiner Biologie und Sozialisation ist zumindest hier keine Rede mehr. Auch nicht von der oben skizzierten Realität.
Wird mit der Einrichtung von 5G und dem Internet der Dinge bei uns die Welt auf den richtigen Weg gebracht? Eine derartige Vergeudung von gesellschaftlicher Energie zum Umbau in eine angeblich unaufhaltsam Schöne Neue Welt muss angesichts der globalen Wirklichkeit sogar als Flucht davor gelten. Wäre es nicht angemessen, dabei zu helfen, Kreislauftechnologien, die mit der Natur kooperieren, zu entwickeln und diese Technologien weltweit arbeitsteilig etablieren zu können?
Ziel wäre eine weltweit CO2-neutrale (oder noch besser: senkende) Energieversorgung , eine nachhaltige Land- und Wasserwirtschaft sowie eine globale Wohlstandangleichung mit einhergehenden Stabilisierung der Weltbevölkerung. Wenn man so will, auf eine weltweite Konvergenz eines lebenswerten und nachhaltigen Leben hin zu arbeiten.
Der Weg dahin muss nicht alles umkrempeln. Wenn es uns beispielsweise gelingt, synthetische Kraftstoffe aus Sonne, CO2 und Wasser in ausreichendem Maß zu produzieren, dann hätten wir bereits eines der größten Probleme gelöst. Ärmere sonnenreiche Länder hätten eine lukrative Handelsware, das Klima wäre stabilisiert und die alten Infrastrukturen könnten weiter genutzt werden. Das heißt aber, wir reichen Industrieregionen müssen Hoch-Technologie entwickeln und etablieren helfen, damit andere Länder als Energielieferanten und Selbstversorger in die Weltgemeinschaft eintreten könnten.
Unsere Zukunft liegt nicht mehr allein bei uns. Dies gilt weltweit für alle Länder. Die erste gute Nachricht: Wir in Deutschland und Europa haben mehr Produktivität und Kapazität, als wir selbst benötigen. Und folgen wir den Digitalisierungs-Apologeten, dann in Zukunft noch viel mehr. Wir haben tatsächlich etwas zu verschenken. Die zweite gute Nachricht: Die Erforschung von Kreislauftechnologien steht erst am Anfang, und die Möglichkeiten, adaptive kleinteilige HighTech für die Fläche zu entwickeln, waren noch nie so fortgeschritten.
Nutzen wir die Chance, unsere Fortschrittspotenziale in Umlauf zu bringen. Dazu gehört auch die bisherige Wind- und Solartechnologie. Aber wir müssen dringend schon jetzt Alternativen zur batteriegetriebenen Elektrifizierung finden, weil diese Technologie allein wegen des Ressourcenbedarfs schnell an ihre Grenzen stoßen wird. Danach stünden wir, was die globale Ungleichheit angeht, eher noch schlechter da als heute.
Um es beispielhaft zu benennen: Entwickeln wir endlich Technologien, die Afrika und später auch den Nahen Osten in die Lage versetzen, Kraftstoffe zu produzieren, die wir benötigen werden! Ressourcen und weltweiter Bedarf stoßen an ihre Grenzen. Die Welt wird in vielerlei Hinsicht „enger“.
Das Prinzip, weltweit arbeitsteilig für eine lebenswerte und stabile Welt zu kooperieren, steht auf der Agenda. Die Industriestaaten – ihr Reichtum und Technologiepotential – sind für den Aufbau besonders gefordert. Das wäre aus meiner Sicht vernünftige internationale Politik in heutiger Zeit. „First“ ist keine Alternative. Die Folgen davon sehen wir in den armen Ländern. Und Großmachtstreben schafft keine neuen Ressourcen, sondern nur Konflikte.
Das sind doch positive Aussichten: Genügend zu haben, genügend zu tun, zu erforschen, zu entwickeln und zu helfen für eine weltweit verortete Heimat. (Aus historischer Sicht oft auch eine Wiedergutmachung im Wissen um begangene Fehler). Es sind Aussichten auf ein Win-Win.
Sind unsere Parteien – der politische Diskurs – weitblickend genug? Haben sie (wir) den Mut, Technologie unter das Kuratel der Nützlichkeit (nützlich für unser Leben) zu stellen? Überlassen wir die Technologiekritik den Lobbyisten? Wie definiert man heutzutage nationale Interessen? Wie kann man über Europa hinaus Kooperationen für Kreislauftechnologien schaffen? Warum nicht Russland einbinden? Definieren wir Politik immer noch nur an Hand von Interessenkonflikten?
Hier gibt es politischen Nachholbedarf. Mein Aufruf: Es gilt, massiv (3 Mrd. p.a.) in Erforschung und Entwicklung von Kraftstoffgewinnung zu setzen, die sich im Feld (etwa Afrika) bewähren muss, um dort schnell Anwendung zu beiderseitigem Vorteil zu finden. Rückschläge, hohe Einstiegssubventionen (PPP) und die Erwartung von Innovation durch Methoden-Wettbewerb sind einzupreisen. Es muss schnell der Nukleus (Pilot) für ein solches arbeitsteiliges Energie-WinWin geschaffen werden. (Projekte in der Landwirtschaft und Wasserwirtschaft sind hierbei nicht vergessen.)
Nun aber zur Rehabilitation von Politik: Wir müssen offensichtlich Neuland gestalten. Wir schaffen das!“
Matthias Grünig, geb1947, wuchs in Hamburg auf und wohnt seit 1966 in Berlin. Nach dem Physikstudium an der FU Berlin und wissenschaftlicher Arbeit an der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt wechselte er 1978 zu einem Softwarehaus und arbeitete als Softwareentwickler im Bereich Prozessdatenverarbeitung und Laborinformationssysteme. 1996 gründete er eine Beratungsfirma für Medizininformatik und arbeitet seit 2015 als Freiberufler. Er hat nach eigener Aussage mittlerweile einige hunderttausend Lines of Code verfasst und empfiehlt Java Script für den Hausgebrauch und als private Algorithmen-Maschine. Bereits 2005 beschäftigte er sich mit dem Konzept privater Sofwareagenten als frühem Gegenentwurf zu heutigen Cloud-Apps. 2012 verfasste er sein erstes Plädoyer für künstliche Photosynthese als größtes Lösungspotential für eine lebenswerte globale Entwicklung. Dem Credo ‚Digitalisierung muss nützlich sein‘ kommt für ihn in der Zukunftsdebatte immer mehr Bedeutung zu.