Lichtinduzierte Ferroelektrizität in Strontiumtitanat entdeckt

Forschungserfolg für MPSD-Team

Mit Licht lassen sich Materialeigenschaften nicht nur messen, sondern auch verändern. Besonders interessant sind dabei Fälle, in denen eine fundamentale Eigenschaft eines Materials verändert werden kann, wie z.B. die Fähigkeit, Strom zu leiten oder Informationen in einem magnetischen Zustand zu speichern. Ein Team um Andrea Cavalleri vom Max-Planck-Institut für Struktur und Dynamik der Materie in Hamburg, hat einer Medienmitteilung vom 14.06.2019 zufolge nun Lichtimpulse aus dem Terahertz-Frequenzspektrum benutzt, um ein nicht-ferroelektrisches Material in ein ferroelektrisches umzuwandeln. Ferroelektrizität ist ein Zustand, in dem die Atome im Kristallgitter eine bestimmte Richtung „aufzeigen“ und dadurch eine makroskopische elektrische Polarisation ausbilden.

Die Fähigkeit, diese Polarisation umzukehren, macht ferroelektrische Materialien besonders geeignet für die digitale Informationskodierung und -verarbeitung.  Die Entdeckung der lichtinduzierten Ferroelektrizität ist für eine neue Generation von Hochgeschwindigkeitsgeräten von großer Relevanz und wurde am 14.06.2019 in der Zeitschrift Science vorgestellt.

Komplexe Materialien zeichnen sich dadurch aus, dass ihre ungewöhnlichen makroskopischen Eigenschaften von vielen konkurrierenden Wechselwirkungen bestimmt werden. Im Gegensatz zu konventionelleren Materialien, wie dem Silizium, aus denen heutzutage die meisten elektronische Schaltkreise bestehen, können komplexe Materialien viele verschiedene makroskopische Phasen und Eigenschaften aufweisen, welche durch vielfältige mikroskopische Wechselwirkungen erzeugt werden.

Ein Konkurrenzkampf zwischen den Wechselwirkungen führt dann zu einem Kompromiss der verschiedenen Phasen und Eigenschaften, der jedoch nicht einzigartig ist und sich oft in einem nicht-stabilen Gleichgewicht befindet. Daher können leichte Störungen, wie z.B. die Bestrahlung eines solchen Materials mit Licht, dramatische Veränderungen der Eigenschaften des Festkörpers hervorrufen.

Ultrakurze Terahertz-Pulse erzeugen eine ferroelektrische Phase im paraelektrischen Strontiumtitanat. Durch eine optisch induzierte Verformung der Probe werden flexoelektrische Domänen mit entgegengesetzten Polarisationsrichtungen erzeugt – Foto © Jörg Harms, MPSD

Ultrakurze Terahertz-Laserpulse sind dabei besonders geeignet, da sie direkt mit dem atomaren Kristallgitter wechselwirken und dabei die atomaren Anordnungen innerhalb von kürzester Zeit verändern. Diese Art der kohärenten Anregung von Gitterschwingungen hat sich in der Vergangenheit als eine geeignete Methode für die Manipulationen der elektrischen Eigenschaften oder magnetischen Anordnungen in einer Reihe von komplexen Materialien, einschließlich Supraleitern, erwiesen.

In ihrer neuen Studie beschreiben die Wissenschaftler, wie sie eine ferroelektrische Ordnung in einem Material induzieren, eine Eigenschaft von Festkörpern, die für technische Anwendungen relevant ist. Ferroelektrizität beschreibt die spontane, langreichweitige Ausrichtung von elektrischen Dipolen, die zu einer makroskopischen Polarisation ähnlich der Magnetisierung in einem Ferromagneten führt. Im Allgemeinen tritt Ferroelektrizität nur in einigen speziellen Materialien auf; die Hamburger Gruppe hat jedoch entdeckt, dass auch nicht-ferroelektrische Materialien durch Licht in eine ferroelektrische Phase gezwungen werden können.

Strontiumtitanat (STO) ist bei allen Temperaturen paraelektrisch und bildet keine langreichweitige ferroelektrische Ordnung aus. Nach der Anregung von Gitterschwingungen in STO mithilfe von Lichtpulsen beobachteten die Forscher aber optische und elektrische Eigenschaften, die für die Ferroelektrizität typisch sind. Der Ursprung dieses unerwarteten Effekts liegt in der nichtlinearen Natur des Kristallgitters. Das angeregte Phonon gibt einen Teil seiner Energie in Form von Druck an den Festkörper ab, was zu einer räumlich variierenden Strukturverformung innerhalb des angeregten Bereichs führt.

Unter diesen Bedingungen wird eine Materialeigenschaft namens Flexoelektrizität angeregt, die eine makroskopische Polarisation erzeugt. Auffallend ist, dass der photoinduzierte Zustand stundenlang nach seiner Entstehung weiterbesteht – ein Beweis, dass das Material in eine neue quasi-stabile Phase übergeht.

„Die Fähigkeit, ferroelektrische Zustände mit Licht in kürzester Zeit zu induzieren und zu steuern, könnte die Grundlage für Technologien der nächsten Generation bilden“, sagt Tobia Nova, Erstautor des Artikels. Ferroelektrische Materialien sind bereits das Herzstück von verschiedenen technischen Entwicklungen, die ihre spontane elektrische Polarisation nutzen, um stabile Speicherchips oder „always on“ Computer herzustellen. Da die im Hamburger Experiment demonstrierte lichtinduzierte ferroelektrische Phasciencese durch Terahertzpulse erzeugt wird, sind elektrooptische Geräte denkbar, die mit solch hohen Geschwindigkeiten arbeiten.

Da Flexoelektrizität eine verbreitete Materialeigenschaft ist, geht die Möglichkeit, ultraschnellen flexoelektrischen Polarisationen zu induzieren, weit über das spezifische Beispiel von STO hinaus. Darüber hinaus ist STO ein häufig genutztes Substrat zur Herstellung komplexer Heterostrukturen. Daher kann der optische Zugang zu flexoelektrischen Polarisationen auch umfangreiche Anwendungen in der Manipulation von kollektiven Phänomenen an Heterostrukturen und Grenzflächen finden.

Möglich wurde diese Arbeit durch den ERC-Synergiezuschuss „Frontiers in Quantum Materials‘ Control“ (Q-MAC) und das Hamburg Centre for Ultrafast Imaging (CUI). Das Center for Free-Electron Laser Science (CFEL) ist ein Gemeinschaftsunternehmen von DESY, der Max-Planck-Gesellschaft und der Universität Hamburg.

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