Das Vorwort
In ihrem Vorwort bedauern Ulrich Brand, Maja Göpel, Barbara Muraca, Tilman Santarius und Markus Wissen zunächst, dass die Debatte über die Zukunft unserer Gesellschaft aktuell vor allem vom politisch rechten und rechtsextremen Spektrum dominiert werde. Deren schlichte These sei, wenn das – angeblich zentrale – Problem der Migration und vor allem der Geflüchteten gelöst sei, dann werde alles irgendwie gut, dann würden alle Krisen überwunden. Die in vielen Ländern erstarkende Rechte bestimme zunehmend auch den Ton der Debatte im bürgerlichen Milieu. Sie konstruiere einen äußeren Gegner, der an „unseren Wohlstand“ wolle und daran gehindert werden müsse. Dabei gehe es nicht nur darum, die europäischen Grenzen zu stärken, sondern auch darum, es Migranten und Geflüchteten schwer oder besser unmöglich zu machen, sich unter neuen Umständen eine Lebensperspektive aufzubauen. Die problematische Konsequenz daraus sei, dass viele von strukturellen Umbrüchen in der Gesellschaft betroffene Menschen sich in der etablierten Parteienlandschaft nicht gehört fühlten und dieser Rhetorik von populistischen Parteien folgten.
„Fragen nach dem Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen spielen diese rechtsextremen Parteien herunter oder tun sie als fortschrittsfeindlich ab. Gleichzeitig treten sie die Idee der internationalen Solidarität mit Füßen. Anstatt eines konstruktiven Dialogs, der wichtige Ängste und Zukunftswünsche der Menschen in diesem Land thematisiert, liefern sich die Parteien zunehmend abstoßende Duelle der gegenseitigen Anschuldigungen und Verdächtigungen. Zudem ist bedenklich, dass marktorientierte – neoliberale – Rezepte gegenüber den rechtspopulistischen Positionen den Anstrich von vernünftigen Lösungen erhalten. Dabei rechtfertigen diese Ansätze die ansteigende soziale Ungleichheit damit, dass Konkurrenz und Standortwettbewerb angeblich notwendig seien, um Wirtschaft und Wohlstand dynamisch zu halten. Freihandel sei die vernünftige Antwort auf den Brexit oder die Trumpsche Abschottung. Und Investor*innen sollen auf keinen Fall vergrault, sondern mehr denn je durch ‚gute‘ Bedingungen – sprich: die Absenkung arbeits-, gesundheits- oder umweltpolitischer Standards – angelockt werden. Österreichs jüngstes Standortsicherungsgesetz ist hierfür ein Paradebeispiel. Die Forderung nach einem Guten Leben für Alle findet angesichts von Hassreden, Fake News und ‚Wachstum und Standortsicherung um jeden Preis‘ in Zeiten gesellschaftlicher Polarisierung und (vermeintlichen oder realen) Abstiegsängsten nur schwer Gehör im öffentlichen Raum. Im alltäglichen Austausch sind es jedoch Themen rund um die Lebensqualität, die die Menschen bewegen. Öffentlich debattiert werden sie aber kaum.“
Stattdessen werde das Gute Leben fast ausschließlich als zunehmend materieller eigener Wohlstand (miss-)verstanden. In der Folge griffen viele zu billigen – sozial und ökologisch problematisch produzierten – Lebensmitteln, Kleidung und High-Tech-Geräten. Weil sie aber lieber nicht wissen wollen, wie sie hergestellt wurden, blendeten die meisten aus, „dass diese Form der imperialen Lebensweise auf der respektlosen Ausbeutung der Natur und anderer Menschen basiert – in der eigenen Gesellschaft und vor allem international. Gleichzeitig zwinge die immer größere Schere zwischen Arm und Reich viele Menschen auch in materiell reichen Gesellschaften dazu, auf solche Waren und Dienstleistungen zurückzugreifen. Dafür müssten aber noch ärmere Menschen und die Natur ausgebeutet werden. „Egal ob sich Menschen damit den Zugang zu lebensnotwendigen materiellen Gütern oder soziale Anerkennung für sich und ihre Kinder verschaffen wollen – durch ihren Konsum verstärken sie oft unfreiwillig den sogenannten Krieg der Armen gegen die Armen. Daraus folgen Ausbeutung und Unterdrückung anderer statt Umverteilung und Solidarität.“
Die imperiale Lebensweise sei aber auch deshalb so tief verankert, weil sehr viele Menschen Teil dieser Lebensweise seien, egal wie kritisch sie die Ausbeutung anderer Weltregionen und der Natur sähen. Deswegen müsse zusätzlich zur Veränderung des individuelle Konsumverhaltens auch das Wirtschaftssystem grundlegend umgebaut werden. Die Arbeits- und Wirtschaftswelt dürfe Menschen nicht mehr in ausbeuterisches Handeln und strukturelle Zwänge bringen.
Gutes Leben für Alle kann nicht auf Kosten anderer gehen!
Hier setzt das Buch des I.L.A. Kollektivs an: „Die Perspektive einer solidarischen Lebensweise basiert dabei auf zentralen Prinzipen für das gesellschaftliche Zusammenleben, sowie für Politik und Wirtschaft: Gutes Leben für Alle kann nicht auf Kosten anderer gehen! Es kann keine nachhaltigen Geschäftsmodelle in einer nicht nachhaltigen Volks- und Weltwirtschaft geben! Es wird keine nationalistischen und konkurrenzgetriebenen Strategien für einen langfristigen Wohlstand geben können! Damit liefert das Buch zum einen eine Begriffsklärung und ein Verständnis vom Guten Leben, das als Gegenmodell zu Ausgrenzung und Abschottung, zu Zukunftsblindheit und Fremdenfeindlichkeit steht. Das ist wichtig, denn in wirren Zeiten bedarf es kluger Konzepte, die Haltung, Orientierung und Alternativen bieten.“
Zum anderen plädiere das Buch „dafür, die imperiale Lebensweise zurückzudrängen und gleichzeitig die solidarische Lebensweise aufzubauen. Das ist heute nicht selbstverständlich, selbst wenn es die Vereinten Nationen in ihrer Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung von September 2015 ähnlich formulieren.“ Dringend nötige Kämpfe zur Verteidigung emanzipatorischer Errungenschaften bedürften der Ergänzung um neue Visionen eines Guten Lebens. Es gehe auch darum, im Hier und Heute konkrete Alternativen für die Zukunft voranzutreiben. Diese lägen auf ganz unterschiedlichen Ebenen: „Im beruflichen Alltag, indem beispielsweise schädliche Sektoren (wie der Braunkohlesektor oder die Automobilindustrie) aufgegeben beziehungsweise umgebaut werden, im gesellschaftlichen Engagement, zum Beispiel für eine demokratische und sozial-ökologische Energieversorgung oder Mobilität, im privaten Verhalten, wie durch Verzicht aufs Auto, in der Reform politischer Institutionen oder in einer Stärkung kritischer Medien.“
Eine solidarische Gesellschaft sei nicht nur dringend nötig, sondern auch möglich. Dabei dürfe es nicht nur Konflikte mit herrschenden und mächtigen Interessen geben, sondern die notwendigen tiefgreifenden Veränderungen – und damit die Abkehr von bestimmten Gewohnheiten – müssten positiv erfahrbar sein. Es gehe schließlich um „die Freiheit, nicht mehr auf Kosten anderer leben zu müssen“. Die Autoren gehen soweit zu prognostizieren, „dass genau die vielen kleinen Projekte einer solidarischen Lebensweise Werkstätten dieser Befreiung sein können. Denn hier können Menschen gemeinsam kreativ und selbstwirksam alternative Formen des Zusammenlebens ausprobieren und erleben. So können sie der Angst schürenden populistisch-rechten Hetze eine konstruktive und visionäre Praxis entgegenstellen.“ Das Autorenkollektiv stellt detailliert dar, welche Ansatzpunkte es in unterschiedlichen Bereichen wie der Landwirtschaft, dem Wohnen, der Mobilität oder der Sorge bereits gibt. Gleichzeitig stellen sich die Autoren auch der Frage, welche politischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen nötig sind, um die solidarische Lebensweise auf nationaler und globaler Ebene zu verankern. Die Vorwortschreiber zum Abschluss: „Das Buch sprüht vor Ideen, seine Lektüre ist anregend und eine große Freude. Wir gratulieren dem zweiten I.L.A.-Kollektiv zu dieser vorzüglichen und wichtigen Arbeit. Und wir sind froh darüber, dass wir bei unseren persönlichen Begegnungen und Diskussionen miterleben durften, mit wie viel Leidenschaft und Energie dieses Projekt angegangen und umgesetzt wurde.“
„Eine sorgende Gesellschaft schiebt sorgende Tätigkeiten nicht allein familiären und verwandtschaftlichen Beziehungen zu. Die Sorge-Utopie (siehe Glossar), die wir als Autor*innen verfolgen, stellt sich gegen Diskriminierung bezogen auf Geschlecht, Klasse und Ethnizität. Wir wollen der derzeitigen Ungleichheit und damit verbundenen Ausbeutung von sorgenden Menschen entgegenwirken. Und wir wollen natürlichen menschlichen Abhängigkeiten einen zentralen Platz in der gesellschaftlichen Organisation geben. Der Blick auf Sorge zeigt, wie gleich wir sind – abhängig voneinander, abhängig von der Natur. Staatliche Rahmenbedingungen erkennen diese Abhängigkeit an und ermöglichen alltägliche Sorge. Und in professionalisierten Bereichen der Sorge ist Zeit für solidarische Beziehungen und menschliche Begegnungen.“
->Quellen:
- I.L.A. Kollektiv (Hrsg.) Das gute Leben für alle – 128 Seiten, oekom verlag München, 2019,ISBN-13: 978-3-96238-095-3, 20.00 €
- oekom.de/das-gute-leben-fuer-alle
- zeit.de/energiewende-klimawandel-utopie-strassenverkehr-gutes-leben
- ilawerkstatt.org
- fuereinebesserewelt.info