Gutachten der „Wirtschaftsweisen“ zu CO2-Bepreisung – „Historische Chance“ zum Kurswechsel
Eine CO2-Steuer wäre erst mal in Ordnung – später sollte aber der Emissionshandel eine größere Rolle spielen – sagt der Rat der Wirtschaftsweisen – einer Medienmitteilung zufolge. Denn eigentlich sei der ETS das bessere System, so die Gutachter bei der Übergabe ihres CO2-Bepreisungs-Gutachtens. Weil das aber nicht einfach durchsetzbar sei, schlagen sie zunächst eine CO2-Abgabe vor. Und sie bekommen Unterstützung von unerwarteter Seite: Mehrere Wirtschaftsvertreter machten sich für die Einführung einer CO2-Steuer stark. Derweil ist die Union dagegen, wird die CO2-Bepreisung zumindest zurückhaltend bis kritisch beäugt. Einige Unionsabgeordnete präsentierten ein eigenes Konzept. Die Bundesregierung will nun bis Ende September damit klarkommen, wie sie das Treibhausgas bepreisen will.
Die fünf „Wirtschaftsweisen“ empfahlen, den CO2-Ausstoß von Heizungen und Verkehr zu verteuern. Sie halten eine CO2-Steuer auf Sprit oder Heizöl für einen schnellen Weg zu den Klimazielen im Jahr 2030. Die Abgabe müsse aber regelmäßig angepasst, und die Einnahmen allein für den Klimaschutz verwandt werden, heißt es im am 12.07.2019 an Kanzlerin Angela Merkel (CDU) übergebenen und veröffentlichten Gutachten. Was der Staat so einnehme, solle er aber an die Bürger zurückgeben, entweder pauschal oder durch eine Senkung der Stromsteuer, empfiehlt das Gremium.
Nur Übergang
Solche nationalen Lösungen sind nach Ansicht der Experten allerdings nur übergangsweise sinnvoll. Spätestens zum Jahr 2030 sollte der Emissionshandel europaweit auf Verkehr und Heizen ausgeweitet werden. Bereits jetzt müssen sich die Energiewirtschaft und Teile der Industrie in der EU an einem Handel mit Emissionszertifikaten beteiligen. Für sie gibt es damit schon einen CO2-Preis. Der Weg dorthin müsse jetzt eingeleitet werden, damit das System spätestens 2030 greifen könne. Wegen der Abstimmungen innerhalb Europas gilt dies kurzfristig als nicht umsetzbar. Ein solcher Handel mit Rechten für Gas oder Öl allein in Deutschland sei grundsätzlich auch eine Option, sei aber ebenfalls nicht schnell umzusetzen.
„Die aktuelle Debatte bietet die historische Chance, die kleinteilige, teure und ineffiziente deutsche Klimapolitik so umzustellen, dass die Bepreisung von CO2 im Zentrum steht“, erklärte Christoph Schmidt, der Vorsitzende des Sachverständigenrates. Um den Klimawandel insgesamt zu bekämpfen, sei aber ein weltweit abgestimmtes Vorgehen unverzichtbar. Deutschland könne als Vorbild zeigen, dass Klimaschutz effizient und ohne große gesellschaftliche Verwerfungen möglich sei.
Deutschland hinkt seinen internationalen Verpflichtungen besonders im Verkehr und im Gebäudesektor hinterher. Bis 2030 muss der Treibhausgas-Ausstoß um 55 Prozent gegenüber 1990 zurückgehen. Bislang sind dies nicht einmal 30 Prozent. Die Koalition hat vereinbart, bis Ende des Jahres ein Klimaschutzgesetz zu beschließen, mit dem das Ziel sicher erreicht wird. Das sogenannte Klimakabinett will daher am kommenden Donnerstag konkrete Vorschläge zur Senkung des Treibhausgas-Ausstoßes von allen Ministerien sammeln und diskutieren. Auch ein CO2-Preis wird dabei eine Rolle spielen.
Unerwartete Unterstützung aus der Wirtschaft
„Wir brauchen in Europa oder in allen Industriestaaten eine CO2-Steuer, die berechenbar langfristig steigt“, sagte Frank Appel, Chef der Deutschen Post, der Rheinischen Post. „Dann können sich Konsumenten und Unternehmen in ihrem Verhalten anpassen und gezielt in Anlagen investieren, die den Ausstoß von CO2 begrenzen.“ Als Chef des größten europäischen Logistikkonzerns glaube er nicht, dass Klimaschutz der Wirtschaft schade, sagte Appel weiter. „Wir werden grüneres Wachstum haben, aber nicht weniger. Weniger Wachstum wäre ja nur zu erwarten, wenn Menschen verboten wird, bestimmte Waren zu kaufen oder irgendwohin zu reisen.“
Offen für eine Steuer auf das Treibhausgas zeigte sich auch Bosch-Chef Volkmar Denner: „Technologie-Offenheit ließe sich über die CO2-Bepreisung fördern, etwa über eine Steuer auf die Treibhausgas-Emission“, schrieb der Chef des weltgrößten Autozulieferers in seiner Kolumne im Bosch-Unternehmensblog. Aber: „Die CO2-Bepreisung allein wird nicht zur Klimaneutralität in allen Wirtschaftssektoren führen.“ Es brauche flankierende Maßnahmen. Zum Beispiel könnten die Einnahmen aus der Steuer wieder in die Verkehrswende investiert werden.
Zustimmung zu den Vorschlägen des Sachverständigenrats kam auch vom Maschinenbauverband VDMA. „Benzin, Diesel oder Strom müssen nach ihrer Klimaschädlichkeit bepreist werden“, sagte Naemi Denz, Mitglied der VDMA-Hauptgeschäftsführung. „VDMA und Sachverständigenrat stimmen darin überein, dass eine Bepreisung des CO2-Ausstoßes langfristig sektorübergreifend ausgestaltet sein muss. Ein Emissionshandelssystem für alle Sektoren wäre aber der falsche Weg. Dies würde völlig unterschiedliche Betroffene in ein einheitliches System zwingen. Ein Markt mit Teilnehmern unterschiedlicher Preissensitivitäten und Investitionshorizonten würde nicht effizient funktionieren. Die weitere Idee des Sachverständigenrats, ein separates Emissionshandelssystem für Gebäude und Verkehr zu etablieren, wäre ein gangbarer Weg, wenn damit die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie nicht beeinträchtigt wird. Grundsätzlich sieht der Maschinenbau jedoch die Notwendigkeit, alle Abgaben und Umlagen zu reformieren, die Energieträger betreffen. Damit schaffen wir einen tatsächlich marktwirtschaftlichen und sektorübergreifenden Ansatz. Dies würde die weitere Entwicklung klimafreundlicher Technologien fördern, was zur Erreichung der Pariser Ziele unabdingbar ist.“
Der Verband der Automobilindustrie (VDA) forderte hingegen eine internationale Lösung. Notwendig sei ein „sektorübergreifender und mindestens EU-weiter Ansatz“, sagte Präsident Bernhard Mattes. „Damit können die CO2-Emissionen effizient und nachhaltig gesenkt werden.“<
Zurückhaltend zeigte sich Lufthansa-Chef Carsten Spohr: „In Deutschland haben wir bereits eine CO2-Steuer, übrigens deutlich höher als die jüngst für Frankreich angekündigte. Sie heißt lediglich Luftverkehrssteuer“, sagte er der „NZZ am Sonntag“. Er könne aber nur davor warnen, dass jedes Land in Europa seine eigene und womöglich unterschiedlich ansetzende Maßnahme einführe. „Das hätte massive Umgehungseffekte seitens der Airlines und der Passagiere zur Folge.“
Folgt: Unions-MdB mit eigenem Konzept: Fester Sockelbetrag plus Marktpreisanteil