Buch „Künstliche Photosynthese – besser als die Natur“
„Die künstliche Photosynthese ist der Heilige Gral der Forschung“, meint Leticia González, Vorständin des Instituts für Theoretische Chemie an der Universität Wien laut einem Artikel in uni:view vom Januar 2019: „Schon alleine deswegen, weil wir ein Energieproblem haben und dringend saubere, nachhaltige Energieträger benötigen.“ Nun diskutieren drei Wissenschaftler (Holger Dau, Philipp Kurz und Marc-Denis Weitze) in einem neuen Buch unter dem Titel „Künstliche Photosynthese – besser als die Natur“, welches Potenzial die künstliche Photosynthese hat.
Die Künstliche Photosynthese ist ein vielversprechender Ansatz für die nachhaltige, CO2-neutrale Produktion von Brenn- und Wertstoffen. Ihr Vorbild ist die biologische Photosynthese, über die Pflanzen aus Licht, Luft und Wasser die meisten Bausteine für den Energie- und Stoffkreislauf des Lebens gewinnen.
Weltweit arbeiten heute Forscherinnen und Forscher an der Entwicklung von Verfahren, bei denen die Energie des Sonnenlichts für die Produktion von Brennstoffen wie Wasserstoff und Methanol oder für die Synthese von Kunststoffen genutzt wird. In der Künstlichen Photosynthese wird Solarenergie mithilfe von katalytischen Prozessen umgewandelt und zur Erzeugung von Brenn- und Wertstoffen eingesetzt. Die Produktion erfolgt in vollständig integrierten Systemen wie beispielsweise „künstlichen Blättern“ oder durch eine direkte Kopplung von Photovoltaik- und Elektrolyseanlagen. Der Vorteil dieses Ansatzes: Die erzeugten Stoffe lassen sich speichern, lagern und transportieren.
Das Buch beschreibt Motivationen, Grundlagen und Visionen zur Künstlichen Photosynthese in Wissenschaft, Kunst und Gesellschaft. Aktuelle Forschungsthemen, Pilotprojekte und mögliche Hürden für die Umsetzung im Kontext der Energiewende werden vorgestellt und bewertet.
2016 haben die deutschen Wissenschaftsakademien (Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften und Union der deutschen Akademien der Wissenschaften) eine Arbeitsgruppe zur Erforschung der Künstlichen Photosynthese. Die Forschung zur Künstlichen Photosynthese sucht nach entsprechenden Wegen, Brenn- und Wertstoffe zu erzeugen, um fossile Rohstoffe künftig zu ersetzen. Damit könnte die Künstliche Photosynthese einen wichtigen Baustein bei Umsetzung der Energiewende darstellen. Was dafür jetzt zu tun ist, beschrieben die Wissenschaftsakademien am 15.05.2018 2018 in ihren Empfehlungen an Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft. Jetzt ist ein Buch daraus geworden.
Die naturwissenschaftlichen Grundlagen der Künstlichen Photosynthese wurden in den vergangenen zwei Jahrzehnten gründlich erforscht. Darauf aufbauend konnten im Rahmen nationaler und internationaler Projekte bereits vielversprechende Testsysteme entwickelt werden, in denen vor allem Teilreaktionen der Gesamtprozesse untersucht und optimiert werden. So kann es gelingen, verschiedene Brenn- und Wertstoffe einzig mit Sonnenlicht als Energiequelle – bei vollständigem Verzicht auf fossile Ausgangsstoffe – zu produzieren.
Während erste größere Power-to-X-Anlagen bereits ihren Testbetrieb aufgenommen haben, befindet sich die Künstliche Photosynthese hingegen noch weitgehend auf der Ebene der Grundlagenforschung. Geeignete Systeme existieren bislang als Labor-Prototypen, sodass eine belastbare Kosten- Nutzen-Analyse und eine ökonomisch vertretbare Zukunftsprognose derzeit noch nicht möglich sind. Die Fortschritte der letzten Jahre rücken eine großtechnische Produktion „solarer Brenn- und Wertstoffe“ in den Bereich des Machbaren. Als wesentliche Herausforderung sehen Fachleute aus der Industrie die Skalierbarkeit der vorhandenen Ansätze. Dabei ergeben sich Schnittstellen und Anknüpfungspunkte zu schon existierenden Technologien, zum Beispiel zur effizienten Kopplung von Photovoltaik- und Elektrolyse-Systemen. Ein großtechnischer Einsatz der Künstlichen Photosynthese und die damit verbundene Abkehr von einer fossilen Energieversorgung kann allerdings nur dann gelingen, wenn Chancen und Herausforderungen der neuen Technologien frühzeitig in einem breiten gesellschaftlichen Dialog diskutiert werden.
Die Akademien gaben sechs Empfehlungen zu Künstlichen Photosynthese:
Die durch Künstliche Photosynthese produzierten Brenn- und Wertstoffe können helfen, fossile Rohstoffe künftig zu ersetzen. Damit kann Künstliche Photosynthese einen wichtigen Beitrag zur Umsetzung der Energiewende leisten. Was dafür jetzt zu tun ist, beschreiben die deutschen Wissenschaftsakademien in ihren Empfehlungen an Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft:
- Empfehlung 1: Einbeziehung neuer Technologien zur nachhaltigen Produktion von Brenn- und Wertstoffen in Zukunftsszenarien
Soll die Energieversorgung im Jahr 2050 vollständig oder zumindest weitgehend ohne fossile Brenn- und Kraftstoffe auskommen, werden Wind- und Solaranlagen eine zentrale Rolle spielen, deren Leistung jedoch schwankt. Die Versorgung könnte abgesichert werden, wenn große Mengen fluktuierender Solar- und Windenergie in Form nicht-fossiler Brennstoffe langfristig gespeichert werden (stoffliche Energiespeicherung). Dabei bietet die Künstliche Photosynthese eine weitere Methode, um auch chemische Wertstoffe aus unbegrenzt verfügbaren Bestandteilen der Luft (CO2, Stickstoff) mit Wasser unter Nutzung erneuerbarer Energien zu gewinnen. Die solare Erzeugung von Brenn- und Wertstoffen aus Wasser und CO2 sollte daher künftig in die nationalen und globalen Konzepte der Energiegewinnung und des Klimaschutzes verstärkt einbezogen werden. - Empfehlung 2: Fortführung der breit angelegten Grundlagenforschung
Die Forschung zur nachhaltigen Brenn- und Wertstoffproduktion findet in Deutschland in zahlreichen Einzelprojekten und interdisziplinären Forschungsgruppen statt. Je nach Projekt widmen sich die Forscherinnen und Forscher unterschiedlichen Fragestellungen: Sie untersuchen beispielsweise neue Lichtabsorber und entwickeln Katalysatoren sowie Verfahren der Synthetischen Biologie. In anderen Projekten wird etwa erforscht, wie sich CO2 zur Kunststoffproduktion nutzen lässt, wie Pilotanlagen gebaut und gesteuert werden könnten oder wie sich nachhaltige Stoffzyklen ökonomisch modellieren lassen. Diese Forschungsvielfalt ist sinnvoll und sollte beibehalten werden. Auf diese Weise könnte die Grundlagenforschung wissenschaftlich-technische Innovationen, die als „Game Changer“ wirken, möglich machen. - Empfehlung 3: Verstärkte Koordination von Grundlagenforschung und industrieller Forschung
Um Brenn- und Wertstoffe mit Technologien der Künstlichen Photosynthese nachhaltig produzieren zu können, müssen Forschungs- und Entwicklungsarbeiten besser koordiniert und vernetzt werden. Diese Koordination könnten existierende Einrichtungen wie die Verbundforschung der Bundesministerien, Exzellenzcluster oder Forschungszentren übernehmen, etwa nach dem Vorbild der „Kopernikus-Projekte für die Energiewende“. Da bisher unklar ist, wie großtechnische Anlagen optimal geplant und errichtet werden können, sollte auch die industrielle Forschung frühzeitig in diesen Prozess miteinbezogen werden. Nur so lassen sich unter Berücksichtigung gesellschaftlicher und gesetzlicher Rahmenbedingungen klare ökonomische Perspektiven für die Produktion nicht-fossiler Brenn- und Wertstoffe aufzeigen. - Empfehlung 4: Fokus auf Systemintegration und Evaluation der Kostenvorteile hochintegrierter Systeme der Künstlichen Photosynthese
Technologien der Künstlichen Photosynthese verbinden die Umwandlung von Solarenergie mit der Produktion von Brenn- und Wertstoffen. Durch Integration in einem Gerät oder einer kompakten Anlage könnten die Stoffe effizienter und kostengünstiger hergestellt werden. Zahlreiche, zum Teil schon sehr leistungsfähige Einzelkomponenten für die Künstliche Photosynthese sind bereits bekannt und im Labor gut untersucht. Dennoch befindet sich die Forschung und Entwicklung dieser Systeme noch in einem frühen Stadium. Vor allem ist unklar, wie einzelne Schlüsselprozesse sinnvoll gekoppelt und in das Gesamtsystem integriert werden können. Power-to-X-Technologien beruhen auf denselben chemischen Schlüsselprozessen, nutzen jedoch die Elektrizität des Stromnetzes als Energiequelle. Wie sich Power-to-X technisch umsetzen lässt, ist besser erforscht als die Anwendung der Künstlichen Photosynthese. Um zu untersuchen, wie und wo die Künstliche Photosynthese eine sinnvolle Ergänzung oder Alternative zu Power-to-X-Technologien darstellen kann, empfehlen die Akademien eine rund zehnjährige Forschungs- und Entwicklungsphase für integrierte Laborsysteme und Pilotanlagen, gefolgt von einer kritischen Bewertung. - Empfehlung 5: Bewertung des Potenzials der Künstlichen Photosynthese
Der Umbau des Energie- und Rohstoff systems hat naturwissenschaftlich-technische, ökonomische, ethische und gesellschaftliche Dimensionen. Dies erfordert einen weit gefassten Diskurs zwischen Vertreterinnen und Vertretern der Natur-, Ingenieur-, Wirtschafts- und Gesellschaftswissenschaften und der Industrie. Ziel ist es, das Potenzial der Künstlichen Photosynthese realistisch auf Skalierbarkeit, Energieeffizienz, Verfahrenstechnik und Kosten zu überprüfen, bevor entsprechende Ansätze für die großtechnische Anwendung weiterentwickelt werden. Diese Prüfung sollte – in Anbetracht der großen internationalen Konkurrenz und der hochrangigen Zielsetzung – sorgfältig erfolgen, damit vielversprechende Forschungs- und Entwicklungsarbeiten nicht vorschnell beendet werden. - Empfehlung 6: Intensiver gesellschaftlicher Dialog zur Künstlichen Photosynthese im Kontext der Energiewende
Die Energiewende betrifft alle gesellschaftlichen Gruppen. Bürgerinnen und Bürger sollten daher frühzeitig für neue Technologien sensibilisiert werden, mit denen fossile Energieträger langfristig ersetzt werden könnten. In diesem Kontext spielt die Gewinnung von „erneuerbaren“ Brenn- und Wertstoffen durch Künstliche Photosynthese eine große Rolle. Angesichts des frühen Entwicklungsstadiums, in dem sich die Künstliche Photosynthese derzeit befindet, sollte die Technologie sachorientiert, transparent und ergebnisoffen diskutiert werden. Besonders wichtig ist es, über Aspekte wie Versorgungssicherheit, die Verfügbarkeit von Rohstoffen und Klimaeffekte zu informieren. Dabei ist es notwendig, nicht nur die wissenschaft lichen und technischen Grundlagen sowie die aktuellen Forschungsergebnisse zu vermitteln, sondern auch wirtschaftliche und ökologische Zusammenhänge verständlich darzustellen. Journalistisch vermittelte Informationen können helfen, die gesellschaftliche Relevanz des Themas zu erhöhen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie andere Akteure sollten künftig – neben den Medien – auch stärker mit zivilgesellschaftlichen Organisationen direkte Kontakte pflegen. Wird die Öffentlichkeit frühzeitig in Entscheidungsprozesse eingebunden, können für alle Beteiligten die Bedingungen der Akzeptanz für die neuen Technologien geklärt werden. Die Akademien können diesen gesellschaftlichen Dialog sinnvoll unterstützen, indem sie Diskussionsforen und Austauschplattformen anbieten.
Die Buchautoren: Holger Dau ist Professor im Bereich Biophysik an der FU Berlin; Philipp Kurz leitete jahrelang eine Arbeitsgruppe zur künstlichen Fotosynthese in Kiel und ist seit 2012 Professor für Bioanorganische Chemie in Freiburg; Marc-Denis Weitze ist promovierter Chemiker, Privatdozent für Wissenschaftskommunikation an der TU München und leitet den Themenschwerpunkt Technikkommunikation bei acatech. Die drei Autoren verstehen ihr Werk als Diskussionsbeitrag zur Energie- und Rohstoffversorgung der Zukunft. Sie wollen dazu beitragen, ein breites Publikum für die künstliche Fotosynthese zu interessieren.
Künstliche Photosynthese – Besser als die Natur? von: Dau, Holger; Kurz, Philipp; Weitze, Marc-Denis – ISBN 978-3-662-55718-1, –eBook 16,99 €, Softcover 22,99 €, Erhältliche Formate: PDF, EPUB
->Quellen: