Deutschland muss EU-Emissionsvorgaben endlich einhalten – sonst wird es teuer
Von Hans-Jochen Luhmann – mit freundlicher Genehmigung des Autors
Mit Geld muss man umgehen können. Man hat sich ein Budget vorzugeben; und sich daran dann zu halten. Disziplin ist gefragt. Stattdessen Schulden zu machen beziehungsweise in der Buchführung zu schummeln, ist verführerisch. Das gilt privat, das gilt für den Staat gleichermaßen.
Die Konservativen in Deutschland rühmen sich gerne, sie könnten mit Geld umgehen, andere hingegen nicht. Deswegen ist auf deutsches Betreiben hin, im Gegenzug zur Euro-Einführung, der europäische Stabilitäts- und Wachtumspakt geschlossen worden, mit der berühmten „Schuldenbremse“ – die dann ironischerweise 2003 erstmals von Deutschland „gerissen“ wurde, ausgerechnet von der rot-grünen Regierung unter Schröder und Fischer. Das Urteil, nur „wir Konservativen“ können das, schien bestätigt. Diesen Ruf setzen die Konservativen derzeit in der Klimapolitik Deutschlands aufs Spiel. Die CDU/CSU nimmt eine Position ein, die besagt: Budgetbegrenzung? Ohne uns! Das ist Sozialismus, das akzeptieren wir nicht!
Zu erinnern ist an organisatorische Sitten solider Haushaltspolitik. Da gibt es ein Ministerium mit besonderen Rechten gegenüber den übrigen Ressorts. Sein Name in Deutschland: Finanzministerium. Anderswo ist das Amt des Ministers für den Haushalt, „Schatzkanzler“ genannt, von der Aufgabe der Steuer- und Zollpolitik getrennt. Der Haushaltsminister legt ein Budget für alle Ressorts in Summe fest – nicht willkürlich, sondern entsprechend der Vorgabe der erwarteten laufenden Einnahmen. Unter seiner Federführung wird das Budget aufgeteilt auf die Ressorts – nicht schematisch, sondern priorisiert. Anschließend, im Vollzug, wacht er darüber, dass die Ressorts sich an die Vorgaben halten und nicht eines über die Stränge schlägt. Dafür, um beides zu können, ist im Haushaltsministerium für jedes Ressort ein Spiegel-Referat eingerichtet.
Die Kunst der Konservativen, wenn sie mit Geld umgehen können, ist: dieses Instrumentarium bedienen. Das heißt, erstens, das Budget als vorgegebenes Limit akzeptieren, es nicht aus wahltaktischen Gründen aufblähen; und, zweitens, Strenge walten lassen gegenüber Begehrlichkeiten und den Unwillen von Einzel-Ressorts, sich dem gemeinsamen Finanzrahmen zu fügen. Mit „Sozialismus“ hat das nichts zu tun, im Gegenteil. Es geht gerade darum zu vermeiden, dass Einzelne Lasten aus Disziplinmangel „sozialisieren“ dürfen.
Ein Klimaziel, zum Beispiel die Zwei-Grad-Grenze (siehe solarify.eu/zwei-grad-grenze), entspricht einer Menge noch emittierbarer Treibhausgase. Das Ziel, den Klimawandel zu stoppen, bevor er programmiert ist, über + 2° C hinauszuschwingen, entspricht einer präzise bestimmbaren Restmenge CO2 – zu „verwenden“ bis (maximal) 2050. Dieses Restbudget ist auf die Jahre 2021 bis 2050 zu verteilen. Das hat Europa getan. Das Gesamtbudget entspricht der Dreiecks-Fläche unter einer sinkenden Geraden von 2021 bis 2050 – in 2050 wird die Nulllinie erreicht. Wesen der Klimapolitik ist Budgeteinhaltung.
Die Budget-Vorgabe der EU ist von 2021 an noch verschärft – Deutschland muss liefern
Die EU hat ihren Teil des globalen Budgets genommen und aufgeteilt. Sie hat zunächst 40 Prozent der Emissionen bei sich behalten, vor allem die aus den Großfeuerungsanlagen – und hat diese ihrem Emissionshandelssystem unterworfen. Den Rest, 60 Prozent, aus Millionen Kleinquellen, zuvörderst im Verkehr, in Gebäuden und in der Landwirtschaft, hat sie an die Mitgliedstaaten der EU weitergereicht, auf die aufgeteilt. Das wurde in Dekaden periodisiert: 2013 bis 2020; 2021 bis 2030, usw. In Deutschland ist das die gute Hälfte der Quellen insgesamt.
Die Pointe der Klimapolitik in Deutschland ist, dass sie jüngst strikte Budgetpolitik wurde. Das wird wenig gesehen. Öffentlich wird häufig noch so getan, als ob man Punktziele, zum Beispiel im Jahr 2020, für sämtliche Quellen, auch die Großemittenten, zu erreichen habe; das sind die sogenannten nationalen Klimaziele der Bundesregierung. Die gibt es zwar, aber die sind lediglich „nice to have“-Politik. Ernst ist etwas anderes: Die Budget-Vorgabe für Kleinquellen, von der EU administriert – gilt seit 2009, greift seit 2013 und ist von 2021 an noch verschärft. Das ist das Feld, wo Deutschland liefern muss.
Maßgabe ist: Deutschland hat dafür zu sorgen, dass die Kleinquellen auf seinem Territorium in Summe das vorgegebene Budget pro Periode nicht überschreiten. In dem Maße, wie das nicht gelingt, hat der Bund Rechte für die überschießenden Emissionen aus dem zwischenstaatlichen Handel für Kleinquellen-Rechte hinzuzukaufen. Wenn er das in einem Jahr nicht kann, weil der Markt zu eng ist, muss er im Folgejahr kaufen, zuzüglich Zins und Zinseszins. EU-seits wurde das im Jahr 2009 beschlossen; die Politik in Deutschland hat aber seitdem lediglich die Hände in den Schoß gelegt.
Nun beginnt das böse Erwachen. Im Jahr 2016 haben die Kleinquellen mehr zu emittieren begonnen als Deutschland Freirechte erhält; zwei Jahre später ist das Guthaben der Vorjahre aufgebraucht, seit 2018 türmt Deutschland Schulden auf. Bis 2020 ist gegen die Verschuldung angesichts der Verfasstheit der Klimapolitik innerhalb der Bundesregierung nichts mehr groß zu machen – den Haushältern bleibt allein, auf die Launen der Natur zu hoffen, dass sie weiterhin warme Winter wie 2018 bescheren. Zu erwarten ist: Für etwa 80 Millionen Tonnen CO2 Überschreitung (kumuliert) bis 2020 muss der Bund Rechte kaufen. 300 Millionen Euro wurden dafür in den Bundeshaushalt eingestellt.
Für die folgende Periode, das Jahrzehnt bis 2030, steht eine weitere Schuldenaufnahme und also Herausforderung in deutlich anderer Größenordnung an. Gegenüber der Vorperiode ist Zweierlei deutlich verschärft worden: Erstens wurde der Neigungswinkel der jährlichen Zuteilung von Freirechten, mit dem es abwärts, Richtung Null, geht, deutlich abgesenkt; und zweitens wurde der EU-weite Pool der Zukaufmöglichkeiten eingeschränkt – das heißt, die Preise werden steigen.
Das ist die Herausforderung, die ansteht. An ihr haben die Konservativen sich zu bewähren. Sie müssen zeigen, dass sie mit knappen Budgets umgehen können. Oder meint die CDU/CSU eigentlich: „Das ist uns zu schwer, das ist nicht zu packen! Wir gehen damit nach Brüssel, die EU muss auf unseren Antrag hin die Begrenzung wenn nicht aufheben so doch anheben“? Wählt sie die Option der Kapitulation, besteht sie auf Schulden-Aufnahme, so ist ihr Markenkern beschädigt. Eine Chance bei jüngeren Wählern hat sie dann auf Dauer vergeben. Und: Der Bundesrechnungshof, der schon zu lange dazu geschwiegen hat, wird der Politik in Berlin die Leviten lesen.
Dieser Beitrag erschien zum ersten Mal am 21.07.2019 in der Rubrik „Forum“ des Magazins der Süddeutschen Zeitung.
Hans-Jochen Luhmann, Jahrgang 1946, hat Mathematik, Volkswirtschaftslehre und Philosophie studiert. Viele Jahre war er Experte für Steuerfragen am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie und ist dort heute Emeritus – Foto © privat